Begierde nach Fremden

Mit "Afrika! Afrika!" erweckt Heller Kolonialphantasmen zu neuem Leben und macht Andersartigkeit zum Geschäft.

Seit 16. November ist der Wiener Prater wieder ein Ort, an dem der Blick auf “das Fremde” gerichtet ist. Dieser Blick kann Massen in Bewegung setzen, wenn die Begierde als leitendes Motiv entsprechend wach gerufen wird. André Heller versteht es seit Jahren, diese Anziehungskraft mit multimedialen Illusionswelten zu erzeugen, mit emotional aufgeladenen Erlebnisräumen, die immer auch den tristen Alltag ein wenig vergessen lassen. Jetzt gastiert er mit seiner Produktion “Afrika! Afrika!” in Wien, wo er nach dem Erfolg in Deutschland zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern eine Zirkus-Manege errichten ließ. Ungeachtet ihrer genauen Herkunft, Lebensgeschichte und individuellen Sozialisation sind sie alle mit dem Etikett “Afrika” versehen. Denn “Afrika”, so trommelt die dahinter stehende PR-Maschinerie bereits seit Wochen, sei ein “Paradies der Lebensfreude”, ein “Königreich der Gaukler” – und genau das gelte es zu vermitteln.

Dass sich mit Events und Spektakelkultur viel Geld verdienen lässt, ist eine Zeiterscheinung, zu der André Heller nicht unwesentlich beigetragen hat. Noch gilt er manchen als moralische Instanz, gegen seinen Willen wird er immer wieder für ein politisches Amt ins Spiel gebracht. Ein bizarrer Mosaikstein mehr im gegenwärtigen Sittenbild der Republik, denn hinter dem Afrika-Entertainment des “Magiers der Fantasie” tun sich historische und politische Zusammenhänge auf, die mit den Erfordernissen einer zeitgemäßen, demokratischen und weltoffenen Gesellschaft nicht vereinbar sind.

Bereits in den Völkerschauen des 19. Jahrhunderts wurden Menschen in massenwirksamen Unterhaltungsprogrammen regelrecht vorgeführt. Eine besondere Leidenschaft galt dem fernen Afrika. Die Darbietungen enthielten Performances, Tänze vor dem Hintergrund künstlich erzeugter Urwaldklänge sowie die Inszenierung besonderer körperlicher Fertigkeiten. Schon damals staunte das Publikum über Schlangenmenschen, Jongleure und rituelle Handlungen, deren breite Faszination sogar in literarische Werke Eingang finden sollte. 1897 hielt der österreichische Schriftsteller Peter Altenberg in Ashantee, einer heute pittoresk anmutenden Stimmungsprosa, seinen Voyeurismus bei der Annäherung an die “Neger der Goldküste im Wiener Thiergarten” fest: “Man hörte schon die Musik. Wie das Geräusch unter einem rollenden Eisenbahn-Waggon, wenn er über eine Eisen-Brücke fährt. Die Priesterin befindet sich bereits in Extase, macht horrende Bewegungen.”

Die Ashanti wurden hinter Gitter gehalten und ließen die zu dieser Zeit sehr stark sexualisierten Sehnsüchte nach Tuchfühlung mit den Körpern und Gebräuchen der von der britischen Krone kolonialisierten und deportierten Stammesangehörigen quasi beim Spaziergang wahr werden. Doch nicht nur die Zoos erfreuten sich großer Beliebtheit. Auch zirzensische Schauplätze dienten als Attraktionen vorrangig dem Zweck, einen sicheren Raum anzubieten, der die Begegnung mit der Andersartigkeit völlig ungefährlich machte. Das zumeist großstädtische Publikum wusste sich bei dem dargebotenen Nervenkitzel jedenfalls in Sicherheit, die angesichts der Konjunktur kulturdarwinistischer Überzeugungen in Politik und Medien nicht selten mit Überlegenheit gleich gesetzt wurde.

André Heller wird jedoch nicht müde, in den vielen Interviews zu “Afrika! Afrika!” seine guten Absichten hervorzukehren. Er verweist darauf, dass ein Euro jeder verkauften Eintrittskarte künstlerischen Hilfsprojekten zu Gute kommen soll – bei Preisen zwischen 29 und 125 Euro. Offensichtlich leitet den Kreativunternehmer auch hier die Gewissensnot. Er kann jedenfalls nicht darüber hinweg täuschen, dass seine Produktion in erster Linie ihm selbst zu ansehnlichen Erträgen verhilft, nicht aber jenen Menschen, die nun auch in Österreich dem Marketingslogan “Kontinent des Staunens” eigentlich zugeordnet werden.

Die Wiederbelebung kolonialer Phantasmen ist ein völlig ungeeignetes Mittel, Afrika in das Blickfeld öffentlicher Aufmerksamkeit zu rücken. Es ist diese Inszenierung des Staunens, die letztlich Andersartigkeit zementiert – mit oftmals fatalen Folgen. Die glanzvoll dekorierten Zeltpaläste schaffen das Refugium, für wenige Stunden mit leuchtenden Augen einem kulturellen Ausnahmezustand beizuwohnen. Diese Umkehrung der Wahrnehmungen darf allerdings nicht ohne Widerspruch hingenommen werden. Denn außerhalb herrscht eine Normalität, die für jene Menschen, die auch aus Afrika zu uns kommen, um vor Elend, Umweltzerstörung und Perspektivenmangel Zuflucht zu finden, keine sichere Distanz bereithält, sondern eine immer größere Gefahr bedeutet. Das Staunen gebührt eigentlich einem Europa, das zur Abwehr der Migration aus Afrika Festungen hoch zieht und beim Vollzug immer neuer Fremdengesetze eine Dimension erreicht, die das Fundament der Grundrechte zunehmend erschüttert.

Vor diesem Hintergrund benötigen Künstlerinnen und Künstler, deren kreative Leistung dem Publikum zur Vorstellung gebracht wird, nicht die Kulturimport-Almosen der Massenunterhaltungsindustrie, sondern Räume und strukturelle Möglichkeiten, um sich selbst zu vertreten und in einer Vielzahl von emanzipatorischen Projekten am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Beispiele wie jenes der “Recherchegruppe zur schwarzen österreichischen Geschichte” oder der Schwarzen Frauen Community zeigen Wege des kritischen Umgangs mit kultureller Differenz auf. Aber daran war André Heller bei “Afrika! Afrika!” offenkundig nicht gelegen.