Mit der erstmaligen Austragung einer FIFA-Weltmeisterschaft wächst in Afrika die Zuversicht auf einen Ausweg aus der nicht enden wollenden Misere. Doch noch haben Armut, Staatsdespotismus und globale Krisen den Kontinent sowie dessen Fußball fest im Griff. Ein Lokalaugenschein in Kamerun.
Am Ende hatte es zum Sieg nicht gereicht. Im Finale des afrikanischen Nationencups der Junioren mussten Kameruns “Lionceaux” (Löwenjungen) am 1. Februar neidlos anerkennen, dass die “Black Satellites” aus Ghana beim 2:0 in der ruandischen Hauptstadt Kigali klar überlegen waren. Eigentlich könnte sich das von Fußballerfolgen zuletzt nicht allzu verwöhnte Land, das aufgrund der zentralen Lage und der unterschiedlichen Klimazonen gemeinhin als “Afrika in Miniatur” bezeichnet wird, mit dem Titel des Vizechampions zufrieden geben. Das Ergebnis ermöglicht immerhin die Teilnahme an der im Herbst 2009 in Ägypten stattfindenden U20-Weltmeisterschaft und markiert somit ein psychologisch wichtiges Etappenziel auf dem Weg zur WM 2010 in Südafrika.
Die sorgenvollen Blicke, die am Tag des verlorenen Endspiels vor den TV-Geräten die Runde machten, galten jedoch nicht alleine der kompetitiven Zukunft der nachrückenden Generationen. Mancherorts entsprang die Unruhe schon eher den aktuellen Entwicklungen außerhalb des grünen Rasens. Zwei Tage zuvor war der in Mbouda festlich geplante Saisonauftakt der Jugendliga durch den Gouverneur der Region verboten worden. Die lapidare Begründung: Mit den zu erwartenden Krawallen drohe eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Für Emmanuel Gustave Samnick, den streitbaren Herausgeber der wöchentlich erscheinenden Fußballzeitschrift Ndamba, ist der Vorfall einmal mehr ein Beweis, dass Kamerun “dem Rest des afrikanischen Kontinents eine lange Nase dreht”. Mit einem “Fußball, der Siege erringen kann”, und zwar “ungeachtet der nicht vorhandenen Infrastruktur, der unsinnigen Kämpfe zwischen dem Verband und den durch ihn Bevormundeten sowie der generellen Unordnung in der Rumpelkammer des Staates”. Und dennoch würden diese Siege, so entlädt sich sein Unmut, großteils gegen Nationen erzielt, die unter den gleichen schwierigen Voraussetzungen der Förderung des Nachwuchses mehr Augenmerk schenken. In Kamerun hingegen werde der erforderliche Ehrgeiz nicht in den Stadien erweckt, so Samnick, sondern löse bestenfalls “unnötige Machtquerelen” aus, vor allem “zwischen der Regierung und der Welt des Sports”.
Erinnerungen an bessere Zeiten
Ungewöhnliche Worte in einem Land, in dem es nicht als opportun erachtet wird, die Mächtigen mit öffentlicher Kritik zu konfrontieren. Wie aber konnte es dazu kommen, dass Kameruns Fußball knapp ein Jahr vor der so bedeutsamen FIFA WM 2010 in den Brennpunkt virulenter Konflikte geraten ist? Es hat wohl zuallererst damit zu tun, dass der Sport von ökonomischen und politischen Bedingungsfaktoren nicht losgelöst werden kann. Eine Einsicht, die in Kamerun und vielen anderen afrikanischen Gesellschaften keineswegs auf ungeteilte Zustimmung stößt. Selbst Roger Milla, vor zwei Jahren zum besten Fußballer Afrikas der vergangenen 50 Jahre gewählt, zeigt sich im persönlichen Gespräch davon überzeugt, dass “zu wenig Respekt” für die Spitzen des Staates in letzter Konsequenz “innere Konflikte wie etwa in der Elfenbeinküste” nach sich ziehe. Milla lässt dabei außer Acht, dass noch im Februar 2008 die Menschen in den großen Zentren Kameruns auf die Straßen gegangen sind, um gegen Preistreiberei und für mehr Demokratie zu demonstrieren. Die Staatsgewalt reagierte damals mit aller Härte, verhängte Ausgangssperren und griff zu den Gewehren. Tage später waren Hunderte Tote zu beklagen – darunter eine große Anzahl Jugendlicher.
Die öffentliche Ruhe ist seither wieder hergestellt, an den zentralen Problemen hat sich jedoch wenig geändert. Kaum jemand kann mit dem kärglichen Einkommen die eigene Existenz bestreiten. Viele sind, trotz zumeist guter Bildung, ohne Arbeit oder, im Falle einer Erkrankung, auf der vergeblichen Suche nach medizinischer Versorgung. Von dieser bitteren Realität kann auch die wachsende Zahl der überdimensionalen Werbetafeln im öffentlichen Raum nicht ablenken, denn der Wirtschaftsboom, den die um sich greifende Kommerzialisierung glaubhaft machen will, kommt in Wahrheit nur sehr wenigen zugute. Den Alltag beherrschen mangelnde Transparenz der staatlichen Organe sowie die Machtverflechtungen der Eliten, was sich auch in den Verbänden widerspiegelt. In der obersten Etage ist Afrikas Fußball überhaupt fest in den Händen Kameruns. Issa Hayatou, seit nunmehr 20 Jahren Präsident der Confédération Africaine de Football (CAF), wurde Ende Februar bereits zum fünften Mal wiedergewählt und setzt somit seine Tätigkeit bis 2013 fort. Er stammt aus Garoua, einer Stadt im hohen Norden des Landes. Ebenfalls hier ansässig ist Mohammed Iya, Präsident der Fédération Camerounaise de Football (Fecafoot) und einflussreicher Generaldirektor der heimischen Baumwollproduktion. Seine Wiederwahl im Mai gilt als so gut wie sicher. Damit würde eine außergewöhnliche Konzentration prolongiert, die selbst in Kamerun, wo regionale Herkunft, Familienbeziehungen und ethnische Zugehörigkeit von sehr sensibler Bedeutung sind, nur wenig Popularität genießt.
Etwa eintausend Kilometer südlich von Garoua liegt Obala, im bereits tropischen Einzugsgebiet der Hauptstadt Yaoundé. Die Randlage hat über Jahrzehnte dazu geführt, dass die sich tief in den Dschungel erstreckende Gemeinde zunehmend ins Abseits geraten ist. Das Zentrum bezieht seinen Charme in erster Linie vom regen Treiben auf dem städtischen Markt, der aufgrund der nicht asphaltierten Durchzugsstraße mehrmals täglich in einer Staubwolke verschwindet. Hier schwärmen die Menschen gerne von vergangenen Zeiten, nicht zuletzt deshalb, um sich von den Versäumnissen der Modernisierung etwas abzulenken. Umso größer ist die Freude, wenn sich ein seltener Anlass bietet, der die wichtigsten Fernsehanstalten des Landes nach Obala lockt, um ein bedeutsames Ereignis in das Blickfeld der medialen Aufmerksamkeit zu rücken.
Physiognomie des afrikanischen Fußballs
Am 14. Februar 2009 war es wieder einmal soweit. Dagobert Dang, ein ehemaliger “Lion indomptable” (unbezwingbarer Löwe), feierte seinen offiziellen Abschied vom aktiven Sport. Einen Tag lang galt ihm, der seit langem in Obala lebt, die ganze Aufmerksamkeit. In der Stadt wimmelte es daher nur so von weißen T-Shirts, auf denen – neben einer Vielzahl von Sponsoren – der Name des Jubilars zu lesen war. Zahlreiche Persönlichkeiten des Kameruner Fußballs waren angereist, um dem verdienten Weggefährten in einem freundschaftlichen Match die Aufwartung zu machen. Kurze Zeit später war der Rummel wieder vorbei.
Zurückgeblieben ist neben den Sorgen der Perspektivlosigkeit auch eine gewisse Melancholie, die sich in den Gesichtsausdruck des nunmehr 42-Jährigen eingeschrieben hat. Dang weiß wie kein anderer von den glorreichen Erfolgen des lokalen Klubs Tarzan d’Obala zu berichten, aus einer Zeit vor dem Abstieg in die Niederungen der zweiten Division. Beim Besuch der städtischen Spielstätte klingt dann auch Wehmut durch: “Wer sich von der Physiognomie des afrikanischen Fußballs ein Bild machen will”, so die gedämpfte Stimme, “muss sich die Stadien näher ansehen. Hier offenbart sich der Mangel unseres Systems!” In den 1990er Jahren habe sich das fußballerische Engagement in Kamerun noch einigermaßen bezahlt gemacht, dann kam der erste große Abschwung. Heute gebe es wenig Veranlassung, auf die Zukunftsfähigkeit der nationalen Karriereleiter zu vertrauen. An die “Ehemaligen” denkt ohnehin niemand mehr. Jeder von ihnen muss schauen, dass er es bis zum Ende des Tages schafft.
Doch Dagobert Dang lässt sich nicht unterkriegen und hat die Formation von damals neu aufgestellt. Mit der Gründung einer Schule für junge Fußballtalente unternehmen die Veteranen von Tarzan d’Obala seit Beginn des Jahres den Versuch, dem Lauf der Zeit zu trotzen und ihr Erbe nicht einfach nur tatenlos der Rücksichtslosigkeit einer globalen Verelendung zu überlassen. Geradezu ehrfürchtig haben sie für die Schule den Namen “Les enfants de Roger” (Rogers Kinder) gewählt. Auf einen Nachwuchsstar darf die Gemeinde bereits verweisen. Arnaud Nsemen, der Sohn Dagobert Dangs und Stürmer von Fovu Club de Bahan, führt die Torschützenliste der ersten Liga an.