“Ich habe nichts gegen regierungskritische Institutionen, aber eine Institution, die sich als Kampforganisation gegen Schwarzblau sieht, will auch ich nicht unterstützen.” – Anfang März lehnte sich im Standard-Chat ausgerechnet jenes Mitglied des ÖVP-Bundesparteivorstandes weiter als andere aus dem Fenster, das noch vor einem Jahr als Gegenstimme zur Regierungsbildung mit der FPÖ in den eigenen Reihen aufgefallen war. Folgte Bernhard Görg jetzt einem schlichtweg nüchternen Kalkül? Oder sollten in der Vorwahlzeit Reminiszenzen an finstere Zeiten wachgerufen werden? Droht Wien nach Türkenansturm und Bolschewismus vor den Toren neuerlich Gefahr?
Drei Wochen später war der Spuk vorüber, und der verirrte Gedanke bereits mehr als obsolet. Damit hat der eigentliche Adressat der christ-konservativen Kampfeslaune, die Wiener Netzkultur-Institution Public Netbase t0, aus dieser Ecke vorerst keinen unmittelbaren Schaden mehr zu erwarten. Denn angesichts einer absoluten Rathausmehrheit der SPÖ in Wien muss sich der aus dem Amt scheidende Vizebürgermeister Görg mit einer neuen Rolle zufrieden geben. Bestehen bleibt allerdings der Eindruck, dass mit dem Verwelken der letzten Feigenblätter im Zusammengehen von FPÖ und ÖVP dem kulturellen Felde die düsteren Zeiten jetzt erst so richtig blühen.
Schauplatzwechsel nach Graz. 2001 fand der Auftakt zur Diagonale erstmals in Abwesenheit des für den Film zuständigen Regierungsverantwortlichen statt. Franz Morak zog es vor, sich nicht hinaus zu lehnen. Die Kernaussagen der Eröffnungsreden werden dennoch den Weg zu ihm gefunden haben. Christine Dollhofer und Constantin Wulff, die IntendantInnen der österreichischen Jahresfilmschau, beklagten unter anderem eine “Politik der unüberlegten Maßnahmen”, die es unterlasse, “Interessenvertretungen angemessen einzubeziehen”, und daher fragwürdige Entscheidungen trifft.
Couragierte Worte, die in diesen Tagen nicht allzu häufig anzutreffen sind. Ob den Maßnahmen tatsächlich so wenig Überlegung der Politik zugrunde liegt, lässt sich allerdings so einfach gar nicht sagen. Entscheidungen werden immerhin getroffen. Ungeklärt ist bis zuletzt die Frage, welchen Motiven die Wende für Kunst und Kultur seit einem Jahr in diesem Lande folgt.
Der mittlerweile vollzogene Umbau der Kunstsektion hatte einzig zum Ziel, unliebsame Abteilungsleiter mit der Eselsmütze einer falschen politischen Zugehörigkeit zu versehen. Zwei von ihnen sind inzwischen auf die Ebene der Sachbearbeitung zurückgestuft. Dem Kunststaatssekretariat war entgegen allen Einsprüchen am eigenen Vergeltungsdurst dann deutlich mehr gelegen, als anhand der Kunstverwaltung einen Nachweis von Regierungsqualität zu statuieren. Schließlich wurden nicht nur seit Jahren vorgebrachte Ratschläge und Empfehlungen der Interessenvertretungen ausnahmslos missachtet. Mit der Neustrukturierung der Kunstsektion hat Staatssekretär Morak vor allem inhaltliche Aspekte ignoriert, die eigentlich einen Anstoß hätten geben sollen, dass insbesondere neuen Tendenzen in der Entwicklung von Kunst und Kultur in der Administration entsprechend Rechnung getragen wird.
Sachpolitisch tappt der Kunststaatssekretär im Dunkeln. Das wird vielleicht mit ein Grund gewesen sein, weshalb auch im Zuge der Plenardebatten zum Budget 2002 unter dem Kapitel Kunst die Ankäufe von Nachtsichtgeräten für den so genannten Grenzschutz Erwähnung finden konnten, die Regierungsschwerpunkte Tanz und Neue Medien hingegen mit keiner Silbe. Im Zuge dessen trat einmal mehr auch eine gewisse Beißhemmung der Opposition zutage, die schwarz-blaue Kulturpolitik mit radikalen Gegenstandpunkten zu konfrontieren. Zur Kritik an nachhaltigen Versäumnissen gibt es Anlässe genug.
Während Franz Morak glaubt, mit der Einrichtung eines Tanzbeirats bereits der Breite einer Schwerpunktsetzung zu genügen, deutet die Tatenlosigkeit im Zusammenhang von Kunst und digitalen Medien schon auf ein fatales Gleichgültigkeitsverhalten hin. Noch Anfang März wischte Morak im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung der ÖVP die – wie er es nannte – “Gefahr einer Zweiklassengesellschaft” leichtfertig vom Tisch. Es sei dies ein nicht weiter ernst zu nehmendes Phänomen, das ihn bestenfalls an die Unterteilung der Menschen “in Zeitungsleser und Nichtzeitungsleser, in Theaterbesucher und Nichttheaterbesucher” erinnere. Die Warnungen internationaler Experten, dass eine “digital divide”, also die ungleiche Verteilung von Zugangs- und Nutzungsmöglichkeiten der Zukunftstechnologien, weltweit eine bislang ungeahnte Dynamik der sozialen Friktionen entfesseln werde, nimmt der Staatssekretär für Kunst und Medien ganz offenkundig nicht zur Kenntnis. Demzufolge wird in Hinkunft auch das kulturelle Feld einige Ellbogenkraft aufzubieten haben.
Medialer Flankenschutz ist dem Kunststaatssekretär noch immer sicher. Franz Morak schirmt zwar sein Kabinett vor Einblicken hermetisch ab, sobald aber Signale die Außenwelt erreichen sollen, werden alte Seilschaften bemüht. In Format und News steht dann ein Franz Morak als Familienvater neben Frau und Kindern auf der Bühne, wird ein unzulänglicher Pensionsbeitrag als lange Zeit überfällige Künstlersozialversicherung verkauft, werden Autoren und Kunstmanager als leidenschaftliche Parteigänger des Kanzleramtes vorgeführt. Auch wenn dicke Luft ist, muss das Staatssekretariat nicht auf die Kolportageleistung des Boulevards verzichten. Da kommt es schon vor, dass missliebige Initiativen – wie das Beispiel Public Netbase t0 zeigt – mit Unwahrheiten angeschüttet werden, denen letztendlich mit aufwendigen Rechtsverfahren begegnet werden muss.
Mit dem schwarz-blauen Drang zur Quote wird wohl weiterhin zu rechnen sein. Auch am 29. Juni 2001, wenn Bundespräsident Klestil als der oberste Repräsentant der Republik das Wiener Museumsquartier offiziell eröffnet. Dann steht ihm die gesamte Bundesregierung in geschlossener Formation zur Seite, sowie auch der Landeshauptmann Kärntens, der seine Teilnahme am Festakt bereits schriftlich angekündigt hat. Damit bietet sich den Urhebern der Wende eine publikumswirksame Gelegenheit, auf kulturellem Terrain neoliberale Kreativwirtschaft mit nationalistischem Kameradschaftsgeist zu vereinen. Vielleicht spricht ein Regierungsmitglied in seiner Lobeshymne auf die herausragenden Leistungen des Landes endlich aus, dass politische oder gar zukunftsweisende Überlegungen nicht allzu dringend vonnöten sind, solange das Amalgam aus Vergeltungsdurst und Kampfeslaune die Geschicke des Staates auch nur irgendwohin leitet.
Letzter Schauplatzwechsel nach Salzburg. Hier liegt auf Landesebene die kulturpolitische Verantwortung noch immer in den Händen der SPÖ. Im Februar dieses Jahres hatte demnach der sozialdemokratische Landesrat Othmar Raus im Rahmen eines kulturpolitischen Gespräches mit der IG Kultur Österreich die Möglichkeit, zu deren Überlegungen für eine Politik der kulturellen Differenz und zur Absicherung der Rahmenbedingungen Stellung zu beziehen. Eine Antwort darauf lautete: “Zuviel Geld verdirbt den Charakter!”
Der politische Gegner darf sich über solcherart Verstärkung freuen. Denn persönliche Integrität alleine hat im Kulturbereich noch nie vor dem Hungertod bewahrt.