Mit der Polizei an einem Tisch

Ein Kommentar zum Trend einer neuen Bürgergesellschaft durch aktive Teilnahme an der Kriminalitätsbekämpfung

Vermutlich sind wir schon in absehbarer Zeit gut beraten, den ganzen langen Tag den Mund nicht aufzumachen. Denn in Verdacht gerät, wer ganz einfach nicht zu schweigen weiß. Und überhaupt ist vielleicht schon bald jede Form von Verhaltensauffälligkeiten wohlweislich zu vermeiden. Will heißen: nur nicht von der Norm abweichen, keineswegs dagegen reden und schon gar nicht die unantastbare Ordnung unserer alltäglichen Konventionen in Frage stellen! In diesem Sinne sollten wir auch über eine Neuerung nicht allzu viele Worte verlieren: Ich und du und sie und er  – es dauert nicht mehr lange, dann sind wir alle Polizei.

Zu den Hintergründen: Vergangene Woche ist das österreichische Innenministerium an die Öffentlichkeit getreten, um über das Ansteigen der Unsicherheit bei gleichzeitigem Rückgang der Anzeigen in der aktuellen Kriminalitätsstatistik zu informieren. Somit hat sich das Amt für innere Sicherheit auch außerhalb des Landes umgesehen, wie denn dieser Entwicklung am besten beizukommen sei. “Community Policing” ist die hippe Bezeichnung für einen internationalen Trend, der auch für die Alpenrepublik die entscheidende Wende bringen soll.

Die Strategie der Einrichtung einer dezentralisierten und bürgernahen Polizei existiert in den USA tatsächlich bereits seit fünf Jahrzehnten, wo ein Verständnis der Exekutivbehörden als soziale Dienstleistungsunternehmen zwar grundsätzlich überwiegt, aber dennoch in signifikant hohem Ausmaß vielen Menschen im Laufe eines Jahres das Leben kostet. Die österreichische Ausführung will sich daran naturgemäß kein Beispiel nehmen. Die Initiative setzt hierzulande folgerichtig dort an, wo das Böse gemeinhin sein Unwesen treibt – in den Bezirken und Gemeinden. Auf dieser Ebene sollen die Bürgerinnen und Bürger angehalten werden, sich aktiv an den Sicherheitsmaßnahmen in ihrem Lebensumfeld zu beteiligen. Alle können dabei mitmachen – denn fortan sitzen wir, wie es Innenministerin Mikl-Leitner trefflich formulierte, “mit der Polizei an einem Tisch”.

Angst und Sorge haben als sicherheitspolitische Leitmaximen in Österreich schon vor längerem eine vor allem medial tief verankerte Sonderrolle eingenommen. Unter diesem Antrieb sieht die Neuausrichtung der Kriminalitätsbekämpfung nunmehr unter anderem auch die Einrichtung von Sicherheitsgemeinderäten vor, die als Schnittstellen zwischen der Bevölkerung und der Kommune in Sicherheitsbelangen dienen sollen. Und noch mehr: Nach Helmi in der Verkehrserziehung für Kinder und dem Hausverstand für den berauschenden Konsum könnte schon bald auch der “Sicherheitsbürger” die rot-weiß-rote Heldengalerie um eine weitere herausragende Persönlichkeit bereichern. Seine Stunde ist jedenfalls gekommen. Eine Beobachtung hier, ein Hinweis da – der moderne Kontrollstaat greift allemal sehr gerne auch auf den großen Lauschangriff der eigenen Bevölkerung zurück.

“Jede Gesellschaft”, erklärt Paul Kellermann vom Institut für Soziologie an der Universität in Klagenfurt, “bestimmt selbst, was als Verbrechen gesehen wird. Sie bestimmt vor allem auch, was legal und was legitim ist.” Genau darin aber liegt ein schwerwiegendes Problem. Das allgemeine Sicherheitsgefühl ist mitnichten ident mit – obwohl oftmals auch international verbindlich – juristischen Grundsätzen von Recht, Gesetzesbruch und Strafverfolgung. So wird gegenwärtig etwa nur allzu klar ersichtlich, dass insbesondere die gesellschaftliche Gruppe der sozial und ökonomisch Schwächsten voreilig und meist völlig unbegründet als Hochrisikofaktor eingestuft wird, auf deren Rücken sich dann auch noch die auf pöbelnden Applaus ausgerichtete Politik sich in populistische Untiefen begibt.

Ein besonders erschreckendes Anschauungsbeispiel bot am heutigen Tag die Stadt Linz. Obwohl der sozialdemokratische Bürgermeister Klaus Luger zu einem runden Tisch eingeladen hatte, um über sinnvolle Lösungen im Umgang mit Bettlerinnen und Bettlern zu beraten, ließen die städtischen Behörden ein Zeltlager noch in den frühen Morgenstunden im Beisein der Polizei überfallsartig räumen. Das ist schäbig – und erschüttert in erster Linie das Vertrauen in die Politik. Die Vorgehensweise kann aber durchaus auch als eine Konsequenz gewertet werden, wenn sich das Sicherheitsbedürfnis ihre Wege in wahnhaftes Verhalten auf breiter gesellschaftlicher Basis bahnt.

Da bleiben dann in erster Linie unsere Grundwerte auf der Strecke, das friedliche Miteinander im Gemeinwohl und immer öfter auch das Recht auf Unversehrtheit des Individuums. Demokratisierung der Sicherheit hat somit anders auszusehen – etwa durch einen rigorosen Rückzugsbefehl an die Polizei aus den Köpfen der kommunalen Entscheidungsgremien. Nur das kann im öffentlichen Interesse sein – und sollte dies nicht gelingen, wird Politik sich selbst zu einer sehr ernst zu nehmenden Gefahr.