Die Sonne scheint für alle gleich …

Ein Kommentar zur Dauerinszenierung der rot-weiß-roten Opferrolle

Was waren das für Zeiten, als der 1. April 2000 noch Jahrzehnte entfernt in einer unsicheren Zukunft lag? 1952 – die Vier im Jeep drehten bereits seit sieben Jahren ihre Runden – präsentierte das offizielle Österreich ein kostenaufwendiges Repräsentationsprojekt, das die Gefühlswelten des ganzen Erdballs nachhaltig erweichen sollte. Ein Land unter der Knute der Besatzungsmächte, gedungen und erniedrigt, dabei so frei von jeder Schuld.

Mit der ehemaligen NS-Filmgröße Wolfgang Liebeneiner konnte die wiedererrichtete demokratische Republik schließlich den Mann auserwählen, der mit der Science-Fiction-Komödie “1. April 2000” den sehnlichsten Wunsch auf die große Leinwand geschrieben hat. Und als sei es von einem, in den Reihen dicht geschlossenen Gefangenenchor dargeboten, klingt das rot-weiß-rote Freiheitsmotiv von damals tatsächlich bis heute im kollektiven Gedächtnis nach: “Die Sonne scheint für alle gleich. Warum nicht auch für Österreich?”

Der italienische Autor Daniele Giglioli beschreibt in seinem aktuellen Werk “Die Opferfalle” das Opfer als den Helden unserer Zeit. “Opfer zu sein”, ist da zu lesen, “verleiht Prestige, verschafft Aufmerksamkeit, verspricht und fördert Anerkennung. Es immunisiert gegen jegliche Kritik.” Vielleicht hat Giglioli sogar in Österreich die entscheidende Inspiration dafür gefunden. Vielleicht aber hat er auch seine Nase hierzulande nur zu tief in den Boulevard gesteckt. Er trifft jedenfalls einen Wesenszug mit höchster Präzision.

Das weiß auch die Kronen Zeitung und schwört die Nation gerade in diesen Tagen vorsorglich darauf ein, besser mit stolzer Brust mit dem “Schwarzen Peter” leben zu lernen, solange es, wie am vergangenen Sonntag in einem Brief von Chefredakteur Klaus Herrmann zu lesen war, recht und billig sei, auf Österreich immer nur hinzuhauen.

Ein armes und gequältes Land. Das Kleinformat hat mit der Leidensnummer jahrzehntelang viel Geld verdient. 1972 mit der doch – ach so – ungerechten Disqualifizierung unseres eigentlichen Olympiasiegers Karl Schranz. 1986, also vor nunmehr 30 Jahren, mit der internationalen Schmähung von Bundespräsident Kurt Waldheim aufgrund der Verdunkelung seiner nationalsozialistischen Vergangenheit. Und dann auch noch 2000, als die EU-Vierzehn die Regierungsbeteiligung der rechtsextremen FPÖ unter Jörg Haider mit einer temporären Reduktion der bilateralen Beziehungen zu Österreich quittierten. Da soll doch das ewige Auflagenhoch auch 16 Jahre später keinen jähen Abbruch erleiden.

Es ist das behagliche Wohlgefühl der Ohnmacht, so bringt es auch Giglioli auf den Punkt, das sich plötzlich mit der Unschuld paart. Österreich war doch auch immer nur Opfer, dabei sehr wohl stets strebsam auf der Suche nach Ordnung und Glück. Nun wird dem kleinen Land, das sich von den schmutzigen Geschäften finsterer Mächte glaubhaft fernzuhalten sucht,  genau das unentwegt zur Vorhaltung gemacht.

Unter solchen ideologischen Voraussetzungen trifft das weinselige Suderantentum immer wieder auf neuen fruchtbaren Boden. Das wird auch angesichts der aktuellen Herausforderungen in Europa besonders deutlich, die allerdings aufgrund der supranationalen Dimension von Flucht- und Migrationsbewegungen nur gemeinschaftlich und über Staatsgrenzen hinweg auf Dauer gemeistert werden können.

Österreichische Passionsspiele sind da auf europäischer Bühne jedenfalls gänzlich fehl am Platz. Dafür braucht es – ganz im Gegenteil – eine spürbare Wiederbelebung von Internationalismus und Solidarität. Und vielleicht sollte der Geist der Aufklärung in der post-feudalen Gesellschaft von Opferlämmern doch noch einmal eine Chance kriegen – mit einem großen Hinweisschild auf den Ausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit. Denn die Sonne scheint für alle gleich – und hoffentlich auch in Österreich!