Eines Tages läutet es an der Tür. Die Studentin der Internationalen Entwicklung staunt nicht schlecht, als plötzlich Beamte des Verfassungsschutzes mit finsterer Miene Zutritt verlangen. Sie stehe, so die knappe Erklärung, im Verdacht, in Aktivitäten des internationalen Terrorismus verstrickt zu sein. Als die junge Frau dann auch noch einen Untersuchungsbeschluss in Händen hält, traut sie ihren Augen nicht. Wie konnte es dazu kommen?
Dieses düstere Szenario ist keineswegs so fern der Realitäten. Spätestens seit Edward Snowden und der durch ihn einer breiten Öffentlichkeit aufgezeigten Details zur Schnüffelpraxis der Geheimdienste bestehen keine Zweifel mehr, dass unsere menschliche Existenz im digitalen Zeitalter der totalen Kontrolle unterliegt. Wer also im Zuge des Studiums – um nur ein Beispiel zu nennen – mithilfe von Google zu asymmetrischen Konflikten und den Krisenerscheinungen im Spannungsfeld der Nord-Süd-Beziehungen recherchiert, könnte sich tatsächlich unwissend der Gefahr aussetzen, dass die algorithmische Auswertung der Sucheingaben die alarmierte Aufmerksamkeit der staatlichen Behörden nach sich zieht.
“Das neue Herrschaftswissen beruht auf Big Data, jenen großen Datenmengen, die es erlauben, unser Verhalten weitgehend vorauszuberechnen und durch kleinere und größere Eingriffe zu optimieren”, schrieb Konrad Becker aus gegebenem Anlass vor kurzem in einem Standard-Kommentar. Der Leiter des in Wien ansässigen World-Information Institute ist Mitinitiator des Netzpolitischen Konvents der österreichischen Zivilgesellschaft, der zu Jahresbeginn 2013 mit dem Ziel ins Leben gerufen wurde, auch in Österreich mit allem Nachdruck “für eine offene, demokratische und zukunftsfähige Gesellschaft” einzutreten. Die jüngsten Abhörskandale und vor allem auch die Ignoranz der obersten Organe der Republik lassen tatsächlich die Alarmglocken schrillen. Mit der Kampagne Finger weg von unserem Netz! will der Konvent nun die Öffentlichkeit wachrütteln. Zahlreiche Gruppen und Organisationen, darunter auch die Initiative für Netzfreiheit, der Arbeitskreis Vorratsdaten, freie Radios sowie die IG Kultur Österreich, haben sich zusammengetan, um eine umfassende netzpolitische Agenda vorzulegen. Das Internet und die neuen Möglichkeiten der Vernetzung, so die gemeinsame Botschaft, erfordern eine Politik, die sich am Gemeinwohl orientiert, an struktureller Erneuerung und gesellschaftlicher Teilhabe – und nicht, wie es derzeit den Anschein erweckt, an den Machtinteressen etablierter Institutionen und profitgieriger Geschäftsmodelle.
Die Debatten im Vorfeld der Nationalratswahl 2013 hätten der öffentlichen Bewusstseinsbildung eine Chance geboten, die Parteien ließen sie jedoch ungenutzt. Die Entwicklung der digitalen Räume, unserer Kommunikation und Interaktion dürfen nicht dem freien Spiel der Interessen von Konzernen und Geheimdiensten überlassen bleiben. Stattdessen braucht es Regularien, die in einem transparenten und auf Grundrechten basierten Verfahren zu definieren sind. Lobbies, Geheimdiensten und Datenmagnaten ist schleunigst Einhalt zu gebieten. Das erfordert eine Netzpolitik, die den Anforderungen demokratisch ausgestalteter Informationslandschaften Rechnung trägt!
Die wichtigsten Anliegen für ein freies Netz:
Datenschutz: Die Wahrung der Privatsphäre ist Grundvoraussetzung für das Vertrauen in die Informationsgesellschaft. Nur wer über die Sammlung, Weitergabe und Analyse der eigenen Daten bestimmen kann, wird ohne Angst die neuen Möglichkeiten nutzen. Strenge nationale und europäische Regelungen können sicherstellen, dass die Privatsphäre bereits in Technologie und Standardeinstellungen geschützt wird.
Netzneutralität: Ein Grundgedanke des Internets ist seit jeher der Anspruch auf freie und gleichberechtigte Kommunikation. Wenn aber zahlungskräftige Konzerne eine Überholspur erhalten, werden Meinungsfreiheit, Innovation und Chancengleichheit der Profitgier geopfert. Die digitalen Netze müssen als öffentliches Forum zum sozialen und kulturellen Austausch erhalten bleiben. Dies ist nur durch Gleichberechtigung von Netztechnologien und Datenübertragung sowie durch Transparenz des Netzwerkmanagements möglich. Es darf folglich auch keine manipulativen Eingriffe in Datenströme und Protokolle geben.
Offene Daten: Datenbestände des öffentlichen Sektors sind grundsätzlich frei zugänglich zu machen. Auch in Österreich bedarf es eines umfassenden Rechts auf Information und Einsicht in die Akten der Verwaltung (Freedom of Information Act). Das gilt in gleichem Ausmaß für Unterlagen öffentlicher Bildungseinrichtungen. Daten, Methoden, Ergebnisse, Forschungspublikationen und Bewertungskriterien der wissenschaftlichen Forschung müssen öffentlich zugänglich, durchsuchbar und reproduzierbar sein.
Urheberrecht: In seiner gegenwärtigen Form schafft das Urheberrecht eine Vielzahl von Unsicherheiten und Problemen. Es droht immer mehr, zu einem Mittel der Kriminalisierung unserer digitalen Alltagskultur zu werden. Davon betroffen sind auch Bibliotheken und Archive. Eine Reform ist längst überfällig, um durch vereinfachte Nutzungsbestimmungen Rechtssicherheit zu schaffen und Eigentumsmonopole über die Wissensinhalte der Informationsgesellschaft zu verhindern.