Ein Tag des Zorns sollte es werden, der Anfang vom Ende einer langen Tyrannei. Doch dann erwies sich der 28. Mai 2011 in Äthiopien als ein Tag wie jeder andere. Vielleicht waren die Erwartungen einfach nur zu hoch geschraubt. Von Tunesien bis Ägypten, so hatte die Nachricht auch die Hauptstadt Addis Abeba erreicht, seien die verhassten Regimes angesichts einer Vielzahl kritischer Aktivitäten in sozialen Netzwerken in die Knie gegangen. Warum also sollte eine Facebook-Mobilisierung zum Umsturz nicht auch im östlichen Afrika möglich sein? Das Land stöhnt noch immer unter den Folgen eines langjährigen Krieges, unter Despotismus, steigenden Lebenskosten und einer enormen Arbeitslosigkeit. Das Verlangen nach Demokratie, Medienfreiheit und Menschenrechten verschafft sich auch hier immer deutlicher Gehör. Folgerichtig versprühten die vielfach herumgereichten Online-Aufrufe der verschiedenen Oppositionsgruppen bis zuletzt großen Optimismus – doch der erhoffte Aufstand fand nicht statt.
Etwa zur gleichen Zeit in Maroua, im Norden Kameruns. Auf Bäumen und Hausmauern waren handgefertigte Plakate aufgetaucht, die für Mitte Juni 2011 zu einer exklusiven Premiere luden. In einem der besten Hotels der Stadt erwartete Kameruns vermeintlich erste Facebook-Party eine illustre Gästeschar, die in einem Wettbewerb das schönste Profilbild sowie die größte Anzahl der jeweils auf der Plattform genutzten Applikationen ermitteln sollte. Doch das belanglose Vergnügen musste sich mit geringem Zulauf zufrieden geben. Umgerechnet zehn Euro Teilnahmegebühren, für viele Menschen fast die Hälfte des monatlichen Einkommens, erwiesen sich als schwer zu überwindende Barriere. Die in den realen Raum übertragenen Freundschaften des virtuellen Netzes haben sich demzufolge so schnell wieder verflüchtigt wie auch die Plakate im öffentlichen Raum.
Der afrikanische Kontinent ist mit seiner sprachlichen, sozialen und kulturellen Vielfalt keinesfalls einheitlich zu fassen. Dennoch sind die Beispiele aus Äthiopien und Kamerun in ihren unterschiedlichen Kontexten signifikant für das allmähliche Vordringen neuer Informationstechnologien in die gesellschaftlichen Realitäten Afrikas. Insbesondere die Verbreitung des Internet ist heute ein oft zitierter Indikator für den Grad der Entwicklung der Länder des Südens. Anfang Juni 2011 präsentierte Frank La Rue, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zur Förderung und zum Schutz des Rechts auf freie Meinungsäußerung, dem Nachrichtendienst IPS eine international vergleichende Statistik. Nutzen in den Industriestaaten 71,6 Prozent der Menschen das Internet, sind es in Afrika nur 9,6 Prozent. Dabei drücken die Zahlen alleine noch gar nicht die Vielzahl der Probleme des Alltags aus, die diesem Gefälle innewohnen. “Für 90% der afrikanischen Bevölkerung jenseits des digital divide”, hielt Olivier Nana Nzepa, Leiter der Abteilung für Informationstechnologien an der Universität Yaoundé, bereits 2005 in einem Grundlagenpapier für den Weltgipfel der Informationsgesellschaft (WSIS) fest, “bleibt die Kommunikation mit der Außenwelt ein Hindernislauf. Wer obendrein des Schreibens nicht mächtig ist, muss schon jetzt den beschwerlichen Weg auf sich nehmen, einen Schuljungen zu finden, der einen Brief verfassen kann. Dann heißt es, auf den nächsten Markttag zu warten, um Busreisende ausfindig zu machen, die den Brief zum nächstgelegenen Postamt bringen. Es kann also durchaus Monate dauern, bis der Brief sein Ziel erreicht”.
Auch in Kamerun trifft der Vormarsch der Technologien auf soziale Voraussetzungen, die von dem vielfachen Versprechen kaum etwas erkennen lassen, dass mit der Privatisierung des Telekom-Sektors und einer Investitionsoffensive im Bereich der IKT-Infrastrukturen auch wertvolle Impulse für die gesellschaftliche Entwicklung geschaffen würden. Obwohl mitunter sogar Schulkinder über ihr eigenes Mobiltelefon verfügen, darf die beachtliche Handydichte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kosten für die meisten erdrückend sind. Kaum jemand kann sich einen längeren aktiven Anruf leisten, was zumeist skurrile Gewohnheiten der wechselseitigen Rückrufappelle zur Folge hat. Neben dem staatlichen Provider Camtel haben vor allem Orange (France Telecom) und der südafrikanische Anbieter MTN den Internet-Markt fest im Griff. Noch immer beläuft sich die Installation eines privaten Breitbandanschlusses auf knapp 400 Euro, die monatlichen Tarife erreichen dann – je nach gewünschter Übertragungsleistung – noch einmal zwischen 50 und 100 Euro. Damit wird deutlich, dass das Kommunikationstor zum World Wide Web tatsächlich nur ganz wenigen offen steht. Obendrein sind die Services in Kamerun fast ausschließlich auf den urbanen Raum beschränkt. Wer die Stadtgrenze hinter sich lässt, gerät allgemein sehr schnell ins strukturelle Abseits. Nicht einmal ein Drittel der Bevölkerung kann auf sauberes Trinkwasser zurückgreifen. Es mangelt aber auch an Elektrizität, Sanitäranlagen, medizinischer Versorgung sowie großflächig auch an einer ausreichenden Netzabdeckung.
Seit vielen Jahren gewährt die Weltbank in beachtlichem Ausmaß Kredite, die darauf abzielen, Afrika über Glasfaserleitungen mit dem Rest der Welt zu verbinden. Ebenso lange schon darf sich vor allem die Telekom-Industrie darüber freuen, dass mehrere Millionen Anrufe zur gleichen Zeit nicht mehr an technischen Unzulänglichkeiten scheitern. Das erhöht zwar die Profite der Unternehmen auf einem noch lange nicht ausgeschöpften Wachstumsmarkt, aber nicht den Umfang einer infrastrukturellen Grundversorgung. Somit tun sich in diesem Zusammenhang auch Fragen auf, die vor allem die Rolle der Politik ins Blickfeld rücken. Lange Zeit galten Medien in den Reihen der afrikanischen Regierungen als Motor des Wandels, als Sprungbrett in die Zukunft, mit dem das Informationszeitalter auf gleicher Augenhöhe zu erreichen sei – etwa nach dem Motto: mit Bandbreite gegen Demokratiedefizite, Analphabetismus und Hunger. Doch im Laufe der Zeit erwiesen sich die Prophezeiungen als bloße Lippenbekenntnisse, denn auf tatsächliche Verbesserungen der Lebensverhältnisse warten die Menschen noch immer vergeblich. Dazu ein Beispiel: Im Jahr 2012 soll ein im Atlantik verlegtes Glasfaserkabel das idyllische Fischerstädtchen Kribi an der Westküste Kameruns erreichen, um in weiterer Folge auch den Tschad und die Zentralafrikanische Republik mit einer zeitgemäßen Internet-Anbindung zu versorgen. Bis in den abgelegenen Norden des Landes sind Tagelöhner unter chinesischer Ingenieursanleitung und extremen Temperaturen darum bemüht, die tausende Kilometer langen Gräben für die Netzausdehnung auszuheben. Nicht ausgeräumt werden damit jedoch die vielen Zweifel, ob diese Anstrengungen auch wirklich für die breite Masse von Nutzen sind – aus gutem Grunde. Kameruns Hauptstadt verfügt schon seit einiger Zeit über drei Glasfaserleitungen, was nicht zuletzt auch in den Medien zum Anlass des Jubelns über bereits erzielte Fortschritte genommen wird. “Das ganze Land”, schrieb die Cameroon tribune in einem IKT-Dossier im Mai 2011, “hat sich zu einem Kommunikationskraftwerk entwickelt, mit einer schnelleren Übertragungsrate und mit einer noch eleganteren Kommunikation”. Die Studierenden an der Universität von Yaoundé können solcherart Feststellungen bestenfalls als blanken Hohn auffassen. Sie sitzen in ihren Informatiksälen und müssen sich mit Offline-Tätigkeiten begnügen, weil das Netz oft tagelang nicht zu erreichen ist. Ähnlich die Situation für Projekte und NGOs. Globaler Austausch und interdisziplinäre Vernetzung werden durch die vielen Ausfälle nachhaltig erschwert, was fatalerweise unter anderem auch dazu führt, dass die mit internationalen Kooperationen einhergehende Ko-Finanzierung dem zivilgesellschaftlichen Sektor auf lange Sicht vorenthalten bleibt.
“In Abstimmung mit anderen afrikanischen Staaten”, so führte die regierungsnahe Zeitung weiter aus, “muss es auch in Kamerun ein nationales Ziel sein, Bedingungen für einen beschleunigten Marsch in Richtung Informationsgesellschaft zu schaffen, wie etwa durch die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung sowie durch die Steigerung der Wettbewerbs- und Ertragsfähigkeit der Unternehmen, von Wissen und Kreativität”. Nicht zuletzt an diesem Punkt setzt die Skepsis an, die bei UN-Sonderberichterstatter Frank La Rue in den Warnungen vor zu großen staatlichen Kontrollabsichten über die Internet-Entwicklung zum Ausdruck kommt. Insbesondere nach den Erfahrungen mit den politischen Umwälzungen im arabischen Raum sei auch in Subsahara-Afrika ganz allgemein die Neigung der höchsten Staatsorgane dramatisch angewachsen, den Zugang zu digitalen Medien und damit zum Grundrecht auf freie Meinungsäußerung einzuschränken.
Die Aufstände in Tunesien und Ägypten, so La Rue in einem aktuellen Bericht an den UN-Menschenrechtsrat, hätten die Herrschenden regelrecht in Angst und Schrecken versetzt. Dabei bedienen sie sich ganz offensichtlich ebenfalls der verklärenden Vorstellung, dass Facebook und andere soziale Netzwerke einen über Jahrzehnte errichteten totalitären Machtapparat zum Einsturz bringen könnten. Eine naive Fehleinschätzung, wie führende Persönlichkeiten des politischen Widerstandes unermüdlich ins Bewusstsein rufen. Facebook sei niemals Ursprung einer Revolution, schon eher eine mediale Begleiterscheinung, ein weit verzweigter Informationskanal, in dem sich die Wut über das soziale Elend, Zensur und die Allgegenwart von staatlichem Terror in Windeseile artikuliert. Für das Gelingen der Umwälzungen ist viel eher von Bedeutung, ob sich die Opposition auf eine ausreichend vernetzte Zivilgesellschaft stützen kann. Denn Massenproteste erfordern die Aktivierung einer über viele Jahre aufgestellten politischen Basis, die sich durch eine spontane Facebook-Gruppe nicht so einfach ersetzen lässt.
Im November 2011 finden in Kamerun Präsidentschaftswahlen statt, die schon im Vorfeld mit großer Spannung erwartet werden. Eine umstrittene Verfassungsänderung, mit der sich Präsident Paul Biya die besten Aussichten auf eine weitere Amtsperiode gesichert hat, sorgte bereits im Jahr 2008 für blutige Unruhen in den Straßen der großen Städte. Damals unterdrückte die Staatsgewalt den Ärger der Jugendlichen über Preistreiberei und Perspektivlosigkeit mit Gewehrfeuer, was hunderte Tote und eine anhaltende politische Resignation zur Folge hatte. Vor diesem Hintergrund liest sich der von Olivier Nana Nzepa schon im Rahmen des WSIS 2005 vorgetragene Appell wie ein verzweifelter Wunsch, dessen Verwirklichung in seinem Herkunftsland Kamerun noch einige Geduld erfordert: “In Afrika muss einer Politik zum Durchbruch verholfen werden, die Wege für neue Ideen bahnt, die Zivilgesellschaft stärkt und einen regen Austausch von Erfahrungen und Sichtweisen fördert. Nur so lassen sich nachhaltige Lösungen finden – für den Kontinent in einem globalen Kontext.”
Quellennachweis
Bainkong, Godlove (2011): Cameroon Rapt in Global Evolutions. In: Cameroon tribune, 11. Mai 2011, S.9.
Capdevilla, Gustavo (2011): Governments and Powers-That-Be Fear the Internet. In: IPS News, 6. Juni 2011; http://ipsnews.net/wap/news.asp?idnews=55951 (Zugriff am 10. Juni 2011).
Nana Nzepa, Olivier (2005): Challenges for Africa. In: Reforming Internet Governance: Perspectives from the Working Group on Internet Governance; http://www.wgig.org/docs/book/toc2.html (Zugriff am 10. Juni 2011).