Der Platzsturm nach dem Platzsturm: Das Fehlverhalten von Rapid-Fans am vergangenen Sonntag demaskiert die Scheinmoral in Politik und Medien. Ein Kommentar gegen die pauschale Kriminalisierung der Fußballfans.
Keine Frage, für die grün-weiße Seele war es ein bitterer Moment, als mit dem Platzsturm einiger ausgerasteter Fans das 297. Wiener Derby ein jähes Ende nahm. Denn es wäre zweifelsohne in der verbleibenden Zeit möglich gewesen, den Rückstand gegen die Austria umzudrehen. Vielleicht hätte ein Siegestreffer in der Rapid-Viertelstunde der Heimstatt in Hütteldorf sogar neuen sakralen Glanz verliehen.
Doch nun gilt St. Hanappi als Ort der Schande – und noch viel schlimmer. Ausgerechnet jene, die ihre distinktive Teilnahmslosigkeit gegenüber dem Fußball gar nicht oft genug zum Ausdruck bringen können, geifern noch Tage später mit dem Populismus in einem einstimmigen Chor, der nach dem Derby-Abbruch mit vollem Elan auf den Platz der öffentlichen Meinung stürmt. Dabei ist unerträglich, wie auf vielen Titelblättern plötzlich ein Missetäter mit der Fratze des Bösen versehen wird: ein Grieche, tätowiert, dickleibig und gewaltbereit. Das kommt zu einer Zeit, in der das EU-Hilfspaket für das finanzmarode Griechenland den Rechtsparteien europaweit rasante Zuwächse beschert. Ohne großes Zutun darf sich da auch eine FPÖ die Hände reiben.
Davon offensichtlich nicht beeindruckt, betonte die Innenministerin vielmehr ihre Abscheu gegenüber dem Fehlverhalten am Fußballplatz. Kurz nach ihr verlangte Norbert Darabos nach einer drakonischen Bestrafung. Warum aber teilt der Sportminister der Öffentlichkeit nicht mit, dass er selbst im Jahr 2005 auf dem Rückflug aus Moskau im Kreise einer ausgelassenen Fangemeinde die unglaubliche Qualifikation Rapids für die Champions League gefeiert hat? Er könnte damit die Vielschichtigkeit der Fußballbegeisterung aus persönlicher Anschauung zur Sprache bringen, die auch Gewaltausbrüche in einen differenzierten und vor allem aufklärenden Kontext rückt.
Es ließe sich bei der Gelegenheit auch darüber informieren, dass der Fußball gesellschaftliche Realitäten widerspiegelt und Übergriffe hier deutlich seltener stattfinden als in österreichischen Durchschnittsfamilien. Und schließlich ist auch der neu bestellte Sportsektionsleiter ein passionierter Stadiongeher und sachkundiger Kenner des Vereinsgeschehens, sicherlich aber kein Hooligan. Doch all das war aus dem Munde des Ministers nicht zu hören.
Zeit für einen Platzverweis
Zur Klarstellung: Sachbeschädigung, Waffengebrauch und Körperverletzung sind im Fußball keineswegs zu tolerieren. Aber haben nicht Berichterstattung und Kommentare im aktuellen Fall dem Ereignis eine Dimension verliehen, für die es eigentlich einen Platzverweis und Langzeitsperren geben müsste? Medien und Politik waren bisher nicht zu einer Diskussion bereit, unter welchen Rahmenbedingungen eine Fankultur im Fußball Platz finden kann, die sich nicht der Logik von Unternehmensmarketing und TV-Verwertung unterordnet.
Zugleich stellt sich die Frage, ob nicht Pyrotechnikverbote und polizeiliche Repression die Früchte einer langjährigen Fanarbeit der Vereine zunichtemachen, die auf Partizipation setzt und mit dem Angebot selbstverwalteter Räume dazu beiträgt, soziale Konflikte zu entschärfen. Doch jetzt, im Platzsturm nach dem Platzsturm, ist das mehr als zuvor unsichtbar. Stattdessen tritt eine Heuchlerei zutage, die das Fantum pauschal kriminalisiert, nach der Knute greift, sich aber mit dem quotengierigen Fingerzeig selbst demaskiert. Für Rapids Zukunft ist zu hoffen, dass sich für das Problem der Scheinmoral in Politik und Medien eine nachhaltige Lösung finden lässt.