Wer versucht, Kulturpolitik aus der Perspektive der globalen Finanzkrise zu beleuchten, blickt zuallererst in schaurige Finsternis. Anders sind die Hervorbringungen der neoliberalen Dogmen nicht zu deuten, die in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen tiefe Furchen gezogen haben. Die Trennung von Staat und Privat, ein Akt der politischen Selbstenthauptung, unterwarf die ökonomische, soziale und kulturelle Entwicklung dem globalen Primat einer unheilvollen Ideologie, die sich nun – nach Jahrzehnten des Raubzugs am Gemeinwesen – in ihrer ganzen parasitären Dimension offenbart. Nun darf die Welt weitgehend ohnmächtig und ratlos zusehen, wie etwa über die Sanierungspakete der Banken genau jene Konzerne, Unternehmen und Finanzkonglomerate die kostenschwere Risikohaftung wieder an den Staat zurückspielen, die noch zuvor mit der Privatisierung öffentlicher Güter und Leistungen enorme Profite erzielen konnten. Diese Umkehrung des Solidarprinzips erschüttert das Vertrauen in die demokratischen Institutionen und wirft die Frage auf, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass sich Politik auf so vielen Ebenen in den Zustand ihrer neoliberalen Nichtigkeit begibt.
Vielleicht kann das kleine Österreich dazu Auskunft geben. Schon Mitte der 1980er Jahre wurde auch hierzulande ein Trend eingeleitet, der Aufgabenbereiche von allgemeinem Interesse dem Wettbewerb eines uneingeschränkten Marktes überlassen will: Energie und Verkehr, Altersvorsorge und Gesundheit, aber auch Bildung, Medien, Kunst und Kultur. Und so sehr sich die auf ihr schutzbedürftiges Image bedachte Nation immer wieder verträumt und glamourös präsentiert, so sehr muss auch die Rolle der Kulturpolitik, die auf Bundesebene zu einem überwiegenden Teil der sozialdemokratischen Regierungsverantwortung zuzuordnen ist, einer kritischen Bewertung unterzogen werden. Jedenfalls beschrieb der Kulturpublizist Simon Sheik schon vor Jahren insbesondere die Kunstwelt “als ein Schlachtfeld, auf dem unterschiedliche ideologische Positionen nach Macht und Souveränität streben”. Folgerichtig tritt er dafür ein, die Kunst nicht als ein “autonomes System” zu betrachten, sondern als ein Terrain der Auseinandersetzung von Ökonomie und Politik. Das erfordert Theoriebildung und Reflexion, kulturelle und mediale Praxen, die politische Kontexte erzeugen, sowie ein deutliches Bekenntnis zur finanziellen Gewährleistung von Ausdrucksvielfalt, Dissens und Konflikt. In Österreich hingegen genießt die Kunst eher das ministerielle Ansehen einer Schatzkammer, die es zu hegen und zu pflegen gilt – gerade so, als gäbe es kein globalisiertes Außen und ebenso wenig einen unaufhaltsamen Lauf der Geschichte.
Betrachtung von Gesellschaft
Jedenfalls haben die Richtlinien der im Föderalismus verstreuten Förderinstanzen bislang nur unzulänglich zur Kenntnis genommen, dass sich die Informations- und Medienlandschaft in einem Prozess tiefgreifender Veränderungen befindet, der sich mit der Digitalisierung in den kommenden Jahren noch weiter beschleunigen wird. “Die allgemeine Ökonomisierung der Betrachtung von Gesellschaft weltweit”, konstatiert Ulrich Timmermann, Medienexperte des WDR, “ist nicht zuletzt Ausdruck einer Entwicklung, die den einen harte Zeiten beschert, den anderen aber Unmengen von Geld”. Was gegenwärtig mit dem Schlagwort “Konvergenz” umschrieben wird, manifestiert sich in einer rasant anwachsenden Anzahl von Content- und Vertriebsangeboten, die wiederum der Medienindustrie – abgesehen von beachtlichen Erträgen – den Weg zu kultureller Macht und politischem Einfluss ebnen. Kulturpolitik, die nicht alleine den Paradigmen einer Kosten-Nutzen-Rechnung des freien Marktes folgt, sollte nicht tatenlos zusehen, dass die Produktion der Inhalte sowie deren Verwertung in die Hand einzelner Medienhäuser gelangen, die dann auch noch über die Telekommunikationskanäle herrschen. Mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und gesellschaftliche Teilhabe steht auch die Pluralität der kulturellen Ausdrucksformen auf dem Spiel, wenn die Zukunft der neuen Informationstechnologien dem entfesselten Wettkampf um Reichweite und Renditen überlassen bleibt. Derartige Szenarien finden allerdings kaum Beachtung, was auch deshalb sehr erstaunlich ist, weil gerade der öffentlich-rechtliche Sektor, dessen zeitgemäße Gewährleistung zu den kultur- und medienpolitischen Kernaufgaben zählt, nachhaltig beschädigt wird.
Überhaupt steht der Besitz der Allgemeinheit, ein geradezu historisches Postulat der Sozialdemokratie, auch im Zentrum einer zum Teil erbittert geführten Debatte um das so genannte “Geistige Eigentum”. Insbesondere das Urheberrecht, das noch immer nationalstaatlich geregelt und in der juristischen Handhabung nur schwer durchschaubar ist, bleibt angesichts der technologischen Neuerungen im digitalen Zeitalter stark umstritten. Vor allem im Internet hat sich eine Remix- und Sampling-Kultur etabliert, in der Bilder, Videos und Musik in modifizierter Form veröffentlicht werden. Die Copyright-Industrie lässt gegen das weit verbreitete Filesharing ihre Muskeln spielen und setzt dabei auf rigorose Strafverfolgung. Mit fatalen Folgen, deren Tragweite eigentlich kein kulturpolitisches Zaudern duldet. Denn die Monopolisierung des Zugangs zu Kulturgütern, Wissen und Bildung erweist sich schon alleine deshalb als verhängnisvoll, weil, wie die kanadische Urheberrechtsexpertin Rosemary Coombe warnt, in den “Konsumgesellschaften die Mehrzahl der Bilder, Texte, Motive, Label, Logos, Melodien und sogar Farben und Gerüche” in letzter Konsequenz der Kontrolle und der Verfügungsgewalt einiger weniger unterliegen, von der die Verwertungskonzerne profitieren, nicht aber die Kunstschaffenden und Kreativen, für die das Urheberrecht in der Mitte des 19. Jahrhunderts geschaffen wurde.
Kampf um Vormachtstellung
Kulturpolitik, die ökonomische und soziale Entwicklungen in ihrer Gesamtheit erfasst und daraus zukunftsorientierte Schlüsse zieht, darf nicht, wie es Frankreich mit dem unsäglichen Hadopi-Gesetz vorexerziert, durch Strafverschärfungen und Internetsperren neue Schranken errichten. Eine der Lehren aus der neoliberalen Selbstenthauptung sollte schon eher sein, über neue Systeme nachzudenken, die der Vielfalt medialer Interaktions- und Ausdrucksformen gerecht werden und eine Existenzgrundlage für die künstlerische Tätigkeit schaffen, die vorerst noch zwischen den Mühlsteinen von Prekarisierung und Sozialabbau zerrieben wird. Die Entkoppelung von Einkommen und der Verwertung aus urheberrechtlichen Ansprüchen könnte einen Ausweg bieten. “Gesetze über das geistige Eigentum”, ist Coombe überzeugt, “führen zu großen Machtunterschieden zwischen den sozialen Akteuren im Kampf um die Vormachtstellung”. Die globale Krise bietet die Möglichkeit, andere Vergütungsmodelle zu erproben, vielleicht auch durch die Einführung einer dedizierten Steuer auf kommerzielle Nutzungserträge, um schließlich auf diese Weise eine gerechtere Wertschöpfungskette zu verwirklichen. Ideen und Überlegungen gibt es in großer Zahl, sie könnten einer neuen Selbstbehauptung der Kulturpolitik wertvoller Anstoß sein.
Kämpfe um Vormachtstellung entpuppen sich ganz generell als Merkmal der neoliberalen Epoche, die mit dem Rückzug der Kulturpolitik in die eigene Bedeutungslosigkeit alleine nicht zu erklären ist. Ein unheilvolles Bündnis der Konservativen mit der extremen Rechten skandiert nicht mehr nur den “Kampf der Kulturen”, er nimmt auch in Medien und Alltagsleben mittlerweile hegemoniale Ausmaße an. Die Ausweitung von Rassismus, Ausgrenzung und Menschenrechtsverletzungen beschreibt nicht nur die geistig-kulturelle Verfassung des Landes, sondern macht deutlich, dass es auch in Kunst, Kultur und Medien zu tief greifenden Verschiebungen gekommen ist. Der künstlerische Widerstand, der sich in den Jahren der ÖVP-Regierung mit den rechtsextremen Parteien Jörg Haiders gegen Fremdenfeindlichkeit, Privatisierung und Demokratieabbau aufgelehnt hatte, bewies nicht allzu langen Atem. Globale Trends haben auch in Österreich die politischen Rahmenbedingungen einer kritischen Kunst- und Medienproduktion so sehr geschwächt, dass der öffentliche Raum und – damit einhergehend – seine kritisch-kulturelle Erschließung der neoliberalen Aneignung noch immer sukzessive weichen müssen.
Parallel dazu bemächtigt sich die hetzerische Rhetorik der inneren Sicherheit ganz ungeniert der kulturellen Sphäre. Kultur transformiert sich plötzlich zur Überlebensfrage einer nationalistisch hochgekochten Identität, die, im Sinne der Etablierung einer normativen Leitkultur, gegen fremde Einflüsse verteidigt werden muss. Damit mutiert das zunehmend restriktive Fremdenrecht zu einem kulturpolitischen Instrumentarium, das aus populistischem Kalkül den Ausnahmezustand ausruft und Pluralität als gefährliche Brutstätte von Delikten diffamiert, die es schon präventiv abzuwenden gilt. Bislang hat vor allem die Kulturpolitik in sozialdemokratischer Verantwortung keine klare Stellung dazu bezogen, aber neben Kunstministerin und Kulturstadträten schweigen auch zahlreiche Künstlerinnen und Künstler. Stattdessen verzeichnet das kulturelle Erbe einen öffentlichen Konjunkturanstieg. Das ist absurd, weil sich mit dem vermeintlichen “Eigentum der Menschheit”, wie es in der Diktion der UNESCO heißt, eine kulturpolitische Festung auftürmt, dessen Abwehrwall sich ausschließlich gegen Menschen richtet, die vor Verfolgung, Vertreibung und Elend Zuflucht suchen. Tatsächlich warten mit dem kulturellen Welterbe in Österreich auf sie auch Übergriffe der Exekutive, Misshandlung und tagtäglich verbale Aggressionen.
Mehr privat, weniger Staat? Die Kulturpolitik, so nimmt es aktuell den Anschein, flüchtet selbst immer tiefer in ein Wunderland aus New Public Management und Gleichgültigkeit, aus Bestandsverwaltung, Traditionspflege und Realitätsverweigerung. Zugleich ist festzuhalten, dass die moderne Medien- und Bewusstseinsindustrie und damit die neuen Technologien der Symbolmanipulation in hohem Tempo an Bedeutung gewinnen. Machtausübung erfolgt im 21. Jahrhundert vorwiegend über oftmals undurchschaubare Netzwerke von Konventionen, Regeln, interpersonellen Beziehungen und internalisierter Kontrolle. Nicht zuletzt unterstreicht diese gouvernementale Komplexität die Bedeutung einer interdisziplinären Debatte über Kunst, Kultur und Medien als konstitutive Elemente bei der Betrachtung und Organisation einer auf demokratischen Pluralismus bedachten Gesellschaft. Sozialdemokratische Kulturpolitik hat hier allemal die Chance, die Talsohle der selbstverschuldeten Daseinskrise zu überwinden. Und damit den Zustand der eigenen Nichtigkeit.