Gestatten Sie uns, nicht zuletzt in Dankbarkeit dafür, in Ihrer Mitte zumeist gut aufgehoben zu sein, dass wir uns an Sie wenden. Ihre Gesundheit war bislang soweit unbeschadet, dass Sie uns in der Apotheose zum Ende des Josephinismus der Republik in aufgefrischtem Glanz erschienen. Den Triumph vor Augen, eine neue politische Ära einzuläuten, die das vergangene Jahrhundert so kurz vor seinem Ausklang krönt, hat sich ein dunkler Fleck über Ihren Namen ausgebreitet. Wir wagen es, darüber zu sprechen. Über Missetaten, für die sich kein Gericht zuständig erklärt. Wir sprechen die Wahrheit aus, wir schreien sie hinaus und nennen den Schuldigen beim Namen.
Dabei, geschätzte Öffentlichkeit, wollen wir nicht große Worte verlieren. Nach den Jahren des Niedergangs ist es Zeit, unverzüglich Schlussfolgerungen zu ziehen. Wir klagen an! Wolfgang Schüssel, Bundeskanzler der Republik Österreich seit dem 4. Februar 2000, ist der teuflische Anstifter eines unheilvollen Machwerks. Er ist schuldig. Für ein völlig hirnrissiges Regime und seine Machinationen.
Wir klagen an! Wolfgang Schüssel wegen seiner Schwäche des Geistes, unsere heranwachsenden Generationen der bedingungslosen Verantwortung des Staates für ihre Ausbildung beraubt zu haben. Der freie Zugang zu den Universitäten, ein hohes Gut der Republik, wurde im Handstreich beseitigt. Die Skrupellosigkeit hat den jungen Menschen nunmehr Kosten aufgebürdet, eine dreiste Form der Wegelagerei, wodurch der Gleichheitsgrundsatz und der Ansporn auf eine sorgenfreie Wissensarbeit schweren Schaden nehmen.
Wir klagen an! Wolfgang Schüssel wegen seiner, von einer vor-konziliaren Passion des Strafens getragenen Unnachgiebigkeit gegenüber jungen Menschen, die kurz vom Wege des bürgerlichen Anstands und der Unbescholtenheit abgekommen sind. Ihnen wurde bis zum Jahre 2003 das Recht zuteil, vor dem Jugendgerichte Verständnis zu finden. Das Wohlwollen einer dem zeitgemäßen Strafvollzug gegenüber aufgeklärt gesinnten Gemeinschaft. Die Aufhebung dieser Errungenschaft ist eine Beleidigung der Justiz. Jene Jugend, der noch zuvor der Pfad zurück in die Mitte gewiesen werden konnte, sieht sich nun in ein bedrückendes Milieu gestürzt.
Wir klagen an! Wolfgang Schüssel wegen seiner schändlichen Missachtung völkerrechtlicher Grundlagen. Der Abschluss des Staatsvertrages mit den großen Mächten dieser Welt war im Jahre 1955 ein Akt von großer universeller Bedeutung. Österreich ist zu großem Dank verpflichtet, ungeachtet der Beteiligung vieler seiner Bürgerinnen und Bürger an schweren Verbrechen gegen die Menschheit, als souveräner Staat in den Genuss der friedenspolitischen Neuordnung gelangt zu sein. Doch noch ein halbes Jahrhundert später tritt diese Regierung, und ihr voran der erste Repräsentant, dieses Recht mit Füßen. Das Vertragswerk sieht im Artikel 7 vor, dass Volksgruppen, die seit Menschen Gedenken auf dem Territorium des Staates ansässig sind, auch topographisch der Achtung und Wertschätzung der Mehrheitsbevölkerungen gewiss sein können. Das verfassungsgebende Dokument sieht dafür nicht zuletzt eine mehrsprachigen Kennzeichnung der Ortschaften vor. Die Tatenlosigkeit der Regierung, diese Erfordernisse der internationalen Allianz zu befolgen, zeugt von einem üblen Charakter und von politischer Niederträchtigkeit.
Wir klagen an! Wolfgang Schüssel wegen seiner schamlosen Manipulation des öffentlich-rechtlichen Hörfunks und Fernsehens. Vorangetrieben durch Günstlingswirtschaft haben das Regierungsoberhaupt und seine Kameradinnen und Kameraden in treuer Kumpanei mit ihren Tentakeln auch die Journaille mitleidlos umklammert und den Nährboden für eine widerwärtige Kampagne bereitet, die allein den Zweck verfolgte, die Allgemeinheit zu täuschen und eigene Missetaten zu verdecken.
Wir klagen an! Wolfgang Schüssel wegen seiner gnadenlosen Ignoranz gegenüber den lebenden Artistinnen und Artisten sowie wegen sträflicher Missachtung der schönen Künste unserer Zeit. In die Hände eines fügsamen wie gebückten Sekretärs gelegt, fristet Kunstpolitik nunmehr seit einem halben Dutzend Jahren ein kümmerliches Dasein auf den stillgelegten Geleisen dieses Kunstbudget-Verschiebebahnhofs. Wer nichts hat, dem wird genommen. Und wo Tauben sind, fliegen Tauben zu. Wehe dem, der es wagt, im Antlitz der Öffentlichkeit Kritik zu üben. Die Strafe durch Subventionsentzug folgt auf dem Fuße. Der unsägliche Sargnagel “Künstlersozialversicherungsfonds” besiegelt den ökonomischen Untergang durch finanzielle Begehren gegenüber den Künstlerinnen und Künstlern selbst. Nur die Toten unter den Kreativen erwachen zu neuem musealen Glanz unter den Auspizien eines schnurrbärtigen Kunstbegrapschers und seiner nachsichtigen Gönnerin in ministeriellem Range – sofern die goldverbrämten Artefakte nicht durch angelockte Ausstellungsgäste in deren privaten Hausrat gelangen. Ein solch dreister Totenkult des Bundeskanzlers stellt ein wahrhaft arglistiges Verbrechen dar.
Wir klagen an! Wolfgang Schüssel wegen seines zwielichtigen Kinderbetreuungsgeldes und dern heimtückischen Fallen, die dieser milden Gabe innewohnen und den Eltern unserer Sprösslinge zum tragischen Verhängnis werden. Geldbringende Handlungen, die potentiell von der elterlichen Fürsorge für die jungen Erdenbürgerinnen und Erdenbürger ablenken, bergen ständige Sanktionsgefahr in Form von finanziellen Einbußen, wobei die Berechnungsformel für den springenden Einkommenspunkt (ab welchem die Mütter oder Väter schließlich des Kinderbetreuungsgeldes verlustig gehen) als Staatsgeheimnis wohlbehütet bleibt. Die obendrein felsenfeste Zementierung von Unvereinbarkeit von Beruf und Familie zeugt von verachtenswürdiger und insbesondere frauenfeindlicher Betonköpfigkeit volksparteiischer Urgesteine.
Wir klagen an! Wolfgang Schüssel wegen gröblicher Beugung des Rechts auf Unversehrtheit an Leib und Leben. Menschen, die in unser Land gekommen sind, um den Schergen ihrer Herkunftstyranneien zu entfliehen, die hier Zuflucht suchen vor Armut und ihrer Kinder Not, müssen unter seinem Regime in Furcht und Schrecken leben. Schwere Übergriffe der Behörden lassen den Atem stocken. Zu berichten ist von einem Seibane Wague, der im Jahre 2003 im Wiener Stadtpark unter Polizeigewalt den Tod gefunden hat. Der junge Yankuba Ceesay verstarb 2005 in seiner Abschiebezelle gar an Hunger, weil die Aufsichtsorgane der Gleichgültigkeit den Vorzug gaben. Die Ermittlung in dieser Causa ist, wie auch schon zuvor, als fahrlässig konsequenzenlos zu bezeichnen. Keine anderen Worte lassen sich auch für den Straffall finden, als Bakary J. im April 2006 zum Verlassen dieses Landes gezwungen wurde. Sein Einwand, dass diese Maßnahme ihm per Zwang auferlegt sei und daher nicht seinem freien Willen folge, wurde mit schwersten Blessuren bedacht. Trotz der sichtbaren Verletzungen kamen die Täter mit nichtigen Richtersprüchen davon. Hier schleicht sich ein Ungeist der Billigung solcher Ausschreitungen in die Handhabung unserer Gesetze ein, die von der um sich greifenden Verächtlichmachung jener Menschen befallen ist, die seit ihrer Geburt nicht in die Goldwiegen des Wohlstands gebettet sind und daher den weiten Marsch in unsere Gesellschaften auf sich nehmen. Wolfgang Schüssel und sein Regime haben unsägliche Grundsteine für diese Verrohung unserer Rechtskultur gelegt.
Wir klagen an! Wolfgang Schüssel wegen seiner Großmannsucht, die uns die finstersten Zeiten des vergangen geglaubten Bonapartismus vergegenwärtigte. Zu Beginn des Jahres war er noch dazu ausersehen, dem Staatenbunde Europas vorzusitzen, um an dieser ehrenvollen Position die Geschicke dieses Verbundes in Frieden und Eintracht zu lenken und die schweren Aufgaben unserer Zeit zu meistern. Er aber hat es vorgezogen, seine Eitelkeit zur Schau zu tragen, sich in feinen Abendgesellschaften zu vergnügen, mit den Klängen Mozarts jene zu betören, die eigentlich danach dürsten, Kompositionen für die anstehenden Probleme vorzufinden, und hier vor allem Wegweisungen für eine sozial gerechte und kulturell vielfältige Ordnung Europas. Ein Vertragswerk wurde uns versprochen, eine Magna Charta der demokratischen Grundlagen auf der Höhe unserer Zeit. Doch Wolfgang Schüssel dinierte in Schönbrunn und parlierte über Belanglosigkeiten, ohne auch nur einen Gedanken an das Wesentliche zu verschwenden.
Wir klagen an! Wolfgang Schüssel wegen seiner Anstiftung zu Arbeit, wo keine ist. Schwere Auswüchse von Schildbürgerei sind zu verzeichnen und sogar widerwärtige Verdachtsmomente der Leibherrschaft über Arbeitslosengeldbezieherinnen und -bezieher verdichten sich. So geschah es etwa, dass namentlich bekannte Einzelhandelsketten zur Unterstützung ihrer auf Gewinn gerichteten Betriebe großzügig mit kostenfreien Personalleistungen bedacht wurden. Für jene Personen aber, über die die Verrichtung solcher Zwangsdienste verhängt wird, gibt es kein Entkommen. Arbeitsverweigerung ist bei Strafe verboten und wird mit – wenn auch oftmals rechtswidrigen – Sperren von Bezügen aus der Arbeitslosenversicherung streng geahndet. Doch damit nicht genug an Unbill mit der berüchtigten Arbeitsmarktverwaltung und erwerbsabhängigen Existenzsicherung. Eine neumoderne Ausformung der Kopfgeldjagd erobert die Republik: Bei der besonders niederträchtig Verfolgungsbetreuung durch Hausbesuche gewähren so genannte “Job Coaches” Geleitschutz von der Wohnungstür bis zum Bewerbungsgespräch. Ist die Bewerbung erfolgreich, gibt es eine Prämie für den Coach zum Dank für jede Senkung der Arbeitslosenzahlen. Für eine gefällige Manipulation der notwendigen Statistiken lässt sich die Bundesregierung unter Wolfgang Schüssel insbesondere im Wahljahr finanziell nicht lumpen. Unverschämte Betrügerei ist das.
Wir klagen an! Wolfgang Schüssel wegen seines Verbots von Arbeit und Aufenthalt in diesem Land für fast alle Menschen dieser Welt nach willkürlichen Kriterien chauvinistischen Ursprungs. Der jüngst zurückliegende Paketbeschluss zu so genannten Fremdenrechten und deren Umsetzungspraxis entlarven die schmutzigen und zutiefst verabscheuungswürdigen Absichten beispielhaft. Ein solcher Raub an Rechten ist unter höchste Strafe zu stellen!
Wir kennen nur eine große Leidenschaft. Nämlich jene des Lichts, im Namen der Grundrechte und der Menschenrechte, die in diesen Jahren ein so schweres Leid ertragen mussten. Unser entflammter Protest ist nicht bloß der Aufschrei einiger weniger verzweifelter Seelen. Das Wagnis wird großes Gehör, die Wahrheit eines Tages den Zuspruch der Massen finden. Wir können darauf warten.
Nehmen Sie daher, hoch geschätzte Öffentlichkeit, neben der Zuversicht auch unseren Ausdruck tiefsten Respekts entgegen.
Die hier vorliegende Textform ist über weite Strecken an Émile Zolas J’accuse…! vom 13. Januar 1898 angelehnt.