Bevor der Sumo-Ringer den Kampf aufnimmt, durchschreitet er eine seit vielen Jahrhunderten überlieferte Zeremonie. Er spült seinen Mund mit Wasser, läutert damit Körper und Geist, hebt mehrmals die Arme und stampft mit den Füßen. Das Ritual verweist auf die ideellen Ursprünge des Aufeinanderprallens der Kolosse: Nur wenn die Götter gnädig gestimmt sind, ist reiche Ernte garantiert.
Auf reiche Ernte zielte kurz vor Weihnachten des Jahres 1997 auch die kämpferische Absicht einer kulturpolitischen Inszenierung ab, die allerdings mehr an künstlerische Spontis als an Tradition und Brauchtum erinnerte. Im frühen Morgengrauen versammelten sich die KUPF-Spitzen, um den Mächtigen des Landes auf ihre Art und Weise eine kolossale Aufwartung zu machen. Mit den zuMUTungen hatte der oberösterreichische Dachverband der Kulturinitiativen eine Sammlung von Positionen, Visionen und Forderungen zu Papier gebracht, die es nun vor allem gegenüber Politik und Verwaltung in Szene zu setzen galt. Doch wie verhilft man dem streitbaren Inhalt zu einem nachhaltigen Eindruck?
Kulturarbeit, so die zentrale Botschaft des erstarkten Selbstbewusstseins, verstehe sich als Motor der zivilen Gesellschaft im regionalen und urbanen Raum. Die Arbeit in Kulturinitiativen bilde den Modellfall einer transformierten Gesellschaft, für deren soziale Probleme sich im künstlerischen Handeln eine Lösung finden ließe. Und nicht zu vergessen: Kulturinitiativen begreifen sich als Werkstätten zur Mobilisierung der Sinne, als Gegenentwurf zur Kultur- und Freizeitindustrie. Die Vergewisserung auf die eigene gesellschaftspolitische, soziale und kulturelle Kompetenz verlangte nun nach einem Upgrade der Rahmenbedingungen. Mittelfristige Finanzierungsverträge, mehr Verteilungsgerechtigkeit, eine stärkere Berücksichtigung der freien Medienarbeit, die besondere Bedachtnahme auf die weibliche Teilnahme am Kulturgeschehen, mehr Transparenz in der Fördervergabe sowie konkrete Maßnahmen zur Reduktion der Abgabenbelastungen bildeten die wichtigsten Eckpfeiler der knallgelben Broschüre mit dem verstörend gebückten Körper auf der Vorderfront. Choreografie und Marschrichtung waren seit Wochen einstudiert, also standen sie bereit: Vorstand, Geschäftsführung und das Sekretariat.
Das Interventionskomitee entschied sich in der Gestaltung der äußeren Form für den schillernden Variantenreichtum der Arbeitswelt. Kulturarbeit ist schließlich Schwerarbeit. Sie sucht nicht nach Gefälligkeit, bleibt auch nicht im Verborgenen, sondern trotzt dem Zeitgeist, bürstet gegen den Strich, beansprucht öffentlichen Raum. Das alles und noch viel mehr sollte an diesem Tag alleine anhand der Bekleidung und Requisiten unübersehbar sein. Der Weg führte ohne lange Umschweife ins Landhaus, wo neben Landeshauptmann Josef Pühringer auch dessen Stellvertreter Fritz Hochmair und einzelne Mitglieder der oberösterreichischen Landesregierung aufgesucht wurden, um sie mit einer “Maurerforelle”, der kärglichen Kraftnahrung des einfachen Bauvolks, sowie mit einem gebrauchsfertigen Manifest auf Anschlagtafel zu überraschen. Die Forderungen, so die verwegene Überlegung des KUPF-Stoßtrupps, würden sich umso nachhaltiger in die Köpfe der Politik einschreiben, wenn sie auf lange Dauer an Bürowände genagelt sind.
Jahre später ist der Aktionstag ein beliebter Gesprächsstoff im nächtelangen Austausch von Erzählungen und Anekdoten. Und auch Landeshauptmann Pühringer lässt nicht von seinen alljährlich wiederkehrenden Bekenntnissen ab. “Wir brauchen in der Kulturarbeit kreative Unruhe”, ist bis heute unermüdlich von ihm zu erfahren, “nur so geht es kontinuierlich nach vorne.” Vielleicht zieren die zuMUTungen noch immer die Holzvertäfelung der landesherrlichen Residenz. Vielleicht wurde das plakatgroße Druckwerk auch schon wenige Minuten nach Überreichung im Müll entsorgt. Diese Frage ist letztlich nicht von Bedeutung. Entscheidend ist, inwieweit der Forderungs- und Maßnahmenkatalog seit seiner erstmaligen Veröffentlichung in die Landespolitik Eingang gefunden hat. Und siehe da: Die Realitäten sind überaus ernüchternd. Von mittelfristiger Finanzierungssicherheit kann keine Rede sein, Frauen bleiben im Kulturbereich marginalisiert, das Veranstaltungsverbot am Karfreitag ist aufrecht, und mit den Förderberichten wurde auch die letzte Hoffnung auf Transparenz in der Kulturverwaltung kurzerhand abgeschafft.
Wann immer der Sumo-Ringer den Kampf aufnimmt, tut er dies im Bewusstsein, dass nur im Einklang mit den irdischen Mächten die Gnade der Götter zu finden ist. Ob diese Ehrfurcht tatsächlich die erhoffte Ernte nach sich zieht, lässt sich anhand der Jahrhunderte alten Überlieferungen nicht belegen. Die KUPF ist jedenfalls gut beraten, nicht zuletzt aus den Erfahrungen seit 1997 den Schluss zu ziehen, dass der Kampf in seiner inszenierten Form nicht das Erkämpfen der Inhalte in sich trägt. Noch muss das Muskelspiel seine reale Kraft beweisen – vor allem im Hinblick auf die kulturpolitische Vormachtstellung der ÖVP im Lande. Sie alleine verleiht LH Pühringer die Sicherheit, die Sehnsucht nach “kreativer Unruhe” mit dem national-konservativen Kurs seiner Partei zu einen. Und wohl deshalb haben es auch die Götter bislang ausschließlich mit dem Landesfürsten gut gemeint. Nach nunmehr zwanzig Jahren ist es nun die Zumutung des runden Jubiläums an die KUPF, an die Konfliktlinien zurück zu kehren. Wer bloß mit den Füßen stampft, kommt nicht voran. Da muss man schon kräftig nach vorne treten!