Der Medien- und Netztheoretiker Geert Lovink ist der kritischen Internetkultur bereits seit Anfang der 1990er Jahre auf der Spur. Im Buch “Dark Fiber”, einer Sammlung in diesem Zeitraum veröffentlichter Texte und Aufsätze, beschreibt er “ein heterogenes Spektrum kritischer Praktiken”, die darauf abzielen, “in der technologischen, politischen und ökonomischen Debatte, die das Internet definiert, zu vermitteln und einzugreifen”. Kunst und Kultur räumt er dabei einen besonderen Stellenwert ein. “Ein wichtiger Schritt in diesem Prozess ist es”, führt Lovink aus, “die Bedeutung der Implementierung einer kulturellen Politik neuer Medien wahrzunehmen, die aus mehr als der Installation einiger weniger Terminals in technologisch benachteiligten sozialen Räumen besteht. Es geht nicht darum, Computer ins Museum zu bringen oder das kulturelle Erbe zu digitalisieren. Viel wichtiger ist es, verständlich zu machen, dass wir in einer ‘technologischen Kultur’ leben.”[1]
Ein gleich lautendes Motiv war an der Jahreswende 1994/1995 dafür ausschlaggebend, auch in Wien selbstbestimmte Formen der Medienaneignung zu erproben, die sich einen kritischen und exploratorischen Umgang mit der Kultur der neuen Technologien zur Aufgabe macht. Unter diesen Gesichtspunkten gründete sich mit dem Institut für Neue Kulturtechnologien/t0 (allgemein auch bekannt als Public Netbase) eine Netzplattform, die als Schnittstelle von Kunst und Kultur zu Neuen Medien bis heute einen großen Stellenwert innehat.
Schon damals war nicht zu übersehen, dass eine massive Konzentration privater Kapitalinteressen in diesem Bereich der technischen Entwicklungen vor allem auch eine nachhaltige Verdrängung von Interessen der Öffentlichkeit nach sich zieht. Es herrschte zudem bereits Klarheit darüber, dass der Raum, in dem öffentliche Kommunikation und gesellschaftspolitische Diskurse realisiert werden, ebenso wenig in einer kommerziellen Umgebung geschaffen werden kann, wie an Orten, wo auf Datenkanäle und Kommunikationswege staatlicher Einfluss ausgeübt wird. “Medienaktivismus”, so ist Geert Lovink überzeugt, “blüht an einem dritten Ort, zwischen Staat und Markt”.[2] Saskia Sassen vertritt ebenfalls diese Einschätzung: “Informations- und Kommunikationstechnologien müssen auch als konstitutive Faktoren neuer Verhältnisse und institutioneller Strukturen begriffen werden”, erklärt die US-amerikanische Soziologin, “als neu entstehendes Ordnungssystem. Wer an Fragen der demokratischen Partizipation und Verantwortung interessiert ist, muss über technische Leistungsfähigkeit und Auswirkungen auf bestehende Verhältnisse hinausgehen und sich mit den Eigenschaften dieses neu entstehenden Ordnungssystems befassen.”[3]
Vor diesem Hintergrund präsentiert und unterstützt Public Netbase in Wien und darüber hinaus seit fast einem Jahrzehnt Kunst- und Kulturprojekte, die auf vielfältige Art und Weise den komplexen Wandel des digitalen Informationszeitalters zum Inhalt haben. Dessen kulturelle und soziale Implikationen werden sowohl mit dem Mittel künstlerischer Interventionen im öffentlichen Raum veranschaulicht wie auch in zahlreichen Ausstellungen, Events, Symposien, Workshops und Websites, die sich vor allem Themen von zentraler demokratie- und gesellschaftspolitischer Bedeutung widmen. Die Schwerpunkte liegen dabei immer auf der Erforschung von Wechselwirkungen zwischen Kunst, Technik, Wissenschaft und Politik, um schließlich mit daraus resultierenden Schlussfolgerungen vor allem auch als Impulsgeber für künstlerische und kulturelle Zukunftsentwicklungen zu fungieren.
“Netzaktivisten und Künstler”, schreibt Geert Lovink in Dark Fiber, stünden vor dem Dilemma, dass sie “einerseits von einer auf technischer Ebene nahezu reibungslos funktionierenden Globalität” ausgehen, andererseits die Erfahrung machen, “dass soziale Netzwerke, um erfolgreich zu sein, in lokalen Strukturen verankert sein müssen”.[4] Public Netbase hat dieser Einsicht von Beginn an Rechnung getragen. Eine Organisation, die einer partizipativen Internetkultur als Kristallisationspunkt offen steht, muss selbst reale Räume schaffen – für eine vernetzte kulturelle Praxis in der Nutzung elektronischer Medien sowie für den internationalen Transfer von Ideen, Erfahrungen und Innovationen.
Als Knotenpunkt ist Public Netbase daher auch eingebettet in ein globales Netzwerk von Kunst, Kultur, Medien und Wissenschaft, dessen diskursiver Austausch durch internationale Beteiligung vor allem auch im Veranstaltungsprogramm Ausdruck gefunden hat. Wichtige Höhepunkte, um an dieser Stelle nur eine Auswahl zu nennen, waren die Arbeiten und Projekte im Rahmen von infobody attack (1997), sex. net (1998), Robotronika (1998), Synworld (1999) sowie World-lnformation.Org, das seit dem Jahr 2000 weltweit dazu beiträgt, ein breites Verständnis für die von Technologie, Demokratieeinschränkung und Überwachung geprägte Informationsgesellschaft zu entwickeln.
Waren es in den 1990er Jahren vorwiegend Forderungen nach Zugängen zum Netz sowie nach Ermöglichung unabhängiger Kommunikationskanäle (der Slogan “We want bandwidth!” war auch für Public Netbase ein konstitutives Postulat [5]), so stehen gegenwärtig Probleme an, die eine massive Bedrohung für ein offenes und freies Informations- und Mediensystem bedeuten. Digitale Kontrollsysteme legen die Verfügungsgewalt über Content und Wissensinhalte zunehmend in die Hand von Konzernen der Massenunterhaltungsindustrie. lntellectual Property steht inzwischen nicht nur als Chiffre für einen dramatischen Raubzug im Informationszeitalter, sondern zielt mittlerweile mit juristischen Repressionen auch auf all jene, die mit Hilfe von offenen technologischen Standards unabhängige Netzinfrastrukturen und Interaktionsplattformen errichten und betreiben wollen. Manche sprechen bereits von einem “Copyright-Krieg”, der Freiheit und Demokratie in ihren Grundfesten erschüttert. Public Netbase kann sich den neuen Konflikten nicht verschließen. Die Frage lautet aktuell mehr denn je: Wem gehört die Kultur der Zukunft?
Früher bestimmten materielle Besitzverhältnisse die Strukturen der Macht. Wer über Land verfügte, herrschte mit Hegemonialgewalt auch über Kunst, Kultur und Bildung. Dies galt dann auch umso mehr für die Macht über die Mittel der industriellen Massenproduktion.
Heute stützen sich Ökonomien in zunehmendem Maße auf die Herstellung und den Austausch von immateriellen Gütern. Noch nie war es möglich, Informationen sowie Kultur- und Bildungsinhalte so kostengünstig zu vervielfältigen und schnell zu verbreiten. Umso absurder erscheint es, dass eine plurale und demokratische Nutzung dieser Errungenschaften gegenwärtig mit aller Gewalt unterbunden werden soll. Tatsächlich hält der Vormarsch der IP-Lobby in internationale Rechtssysteme ungebrochen an, werden die Grundlagen der Informationsgesellschaft daher auch immer mehr in privates Eigentum übertragen. Hier hat sich an den ökonomischen Machtprinzipien auch nichts geändert.
Denn wer über Information und Wissen in Form von Datenmaterial verfügt, sichert sich Reichtum, Symbolhoheit und politische Einflussmöglichkeiten. Längst schon werden diese wesentlichen Rohstoffe der öffentlichen Sphäre in höchst beunruhigendem Ausmaß vorenthalten. “Niemals in unserer Geschichte befanden sich mehr Kontrollrechte in den Händen so weniger Menschen. Die Kriminalisierung der freien Verbreitung von Information und Kulturgütern hat selbst bereits Formen von organisierter Kriminalität angenommen”, erklärte dazu der US-amerikanische Rechtsgelehrte Eben Moglen im Rahmen der Konferenz Open Cultures, die von Public Netbase 2003 veranstaltet wurde. Die Netzkulturplattform möchte daher mehr denn je Denkanstöße geben, wie die Voraussetzungen einer “semiotischen Demokratie” zu verwirklichen sind. Deren Idee geht von der Prämisse aus, dass die Quellen kulturellen Ausdrucks – hier vor allem Texte, Bilder und Musik – nicht einzelnen Segmenten der Gesellschaft oder globalen Eliten vorbehalten bleiben dürfen. Dies würde eine digitale Kluft mit enormer sozialer Sprengkraft nach sich ziehen, deren Tragweite noch gar nicht abzuschätzen ist. Wenn der Zugang zur Ikonographie des Alltagslebens, zu Elementen der Populärkultur sowie zu Kultur- und Wissensinhalten ganz allgemein durch neue IP- und Copyright-Restriktionen in Frage gestellt wird, nimmt insbesondere die kulturelle Praxis abseits der Content-Industrie großen Schaden. Von einem freien kulturellen Austausch könnte angesichts einer von Konzerninteressen dominierten Informationsindustrie gar nicht mehr die Rede sein. In diesem Sinne muss der Zugang zu den Ressourcen des Informationszeitalters geöffnet werden, um die Grundlagen einer Wissensallmende zu sichern. Offene Copyright-Standards und die Entwicklung von Open Source-Content gelten längst als zentrale Anliegen der Wissensgesellschaft. Ein Beispiel für eine freiere und bessere Handhabung des Urheberrechts ist Creative Commons. Diese internationale Organisation engagiert sich für einen gemeinschaftlichen Umgang mit dem so genannten geistigen Eigentum. Zu diesem Zwecke stellt sie Kreativen verschiedene von der Open Source-Bewegung beeinflusste Urheberrechtslizenzen zur Verfügung. Die Überlegung dahinter: Nicht mehr in jedem Falle alle Rechte vorzubehalten, sondern gezielt einzelne Nutzungsrechte einzuräumen.[6]
“Kommunikation muss frei sein – wer sich nur einen Schritt von diesem Grundsatz entfernt, macht schon einen Schritt in Richtung Zensur!” Diese warnenden Worte des irischen Wissenschafters und Freenet-Gründers Ian Clarke standen zu Beginn des internationalen Symposiums Free Bitflows von Public Netbase, das im Juni 2004 Strategien für einen uneingeschränkten Informationsaustausch im Kontext einer unabhängigen Kulturproduktion diskutierte. An dessen Ende stand einmal mehr die Schlussfolgerung, dass sich mit der Frage des freien Flusses der Information eine entscheidende politische Dimension verbindet. Nicht-kommerzielle, non-konforme und ansonsten unterrepräsentierte Inhalte lassen sich demnach gegenüber einer Maschinerie des Mainstreams und der Massenunterhaltung nur etablieren, wenn alle Menschen Kultur frei schaffen können und der freie Austausch keine Beeinträchtigung erfährt.
“Eine lebendige öffentliche Netzkultur ist immer im Prozess”, führt Geert Lovink in Dark Fiber konkreter aus. “Kein Code oder Netzwerk kann ausschließlich der guten Sache dienen. Es kann nur Entwürfe, Konzepte, Essays, Versionen geben – und Requests For Comment.”[7] Unter dieser Perspektive kann auch das künstlerische Projekt nike ground. rethinking space gesehen werden, mit dem Public Netbase im Herbst 2003 weltweit für großes Aufsehen sorgte. Das Konzept wurde für den Karlsplatz im Wiener Stadtzentrum entwickelt, der als Austragungsort eines dramatisierten Gedankenexperiments zu einer breiten Diskussion anregen sollte. Im Mittelpunkt dabei die Frage: Inwieweit fallen der öffentliche Raum und seine kulturelle Ausgestaltung einer aggressiven Aneignung durch Kapitalinteressen zum Opfer?
Vier Wochen lang suggerierte ein gläserner Hightech-Pavillon die unmittelbar bevorstehende Umbenennung des Karlsplatzes in Nike-Platz. Parallel zu einer Website kündigte ein vor Ort weithin sichtbares Zeichen die Errichtung eines 36 Meter hohen Monuments in Gestalt des Firmenlogos an und löste in der Bevölkerung erwartungsgemäß heftige Reaktionen aus. Zahlreiche Bürger und Bürgerinnen wandten sich mit ihren Beschwerden an Politik und Medien, die auch umgehend über einen “Riesen-Wirbel” um den Verkauf des Karlsplatzes berichteten. Wien hatte jedenfalls einen, der Anlass für Kontroversen gab, über den öffentlichen Raum und dessen Nutzung nachzudenken. Dahinter verbarg sich die Absicht von Public Netbase, die künstlerische Tradition der Mythopoesis auf Themen und Prozesse der globalen Informationsgesellschaft zu übertragen. Die Zusammenarbeit mit dem internationalen Künstlerkollektiv 0100101110101101.ORG in der Konzepterstellung und Umsetzung des Projekts machte die Stadt schließlich zur Bühne eines Theaterstücks, um durch diese hyper-reale Inszenierung deren Wahrnehmung zu verändern.
Die so unmittelbar einsetzende Entrüstung stand trotz alledem in einem erstaunlichen Gegensatz zu den Alltagserfahrungen einer an Privatisierung zunehmend gewöhnten Gesellschaft. Der US-amerikanische Kulturtheoretiker Timothy Druckrey merkte in der Kunstzeitschrift springerin kurze Zeit später dazu an, dass im Falle des Projekts von Public Netbase die “Kreuzung von Werbung und Zweckentfremdung” als “Parodie” zu interpretieren sei, “wie sie subversiver nicht sein könnte”. Tatsächlich verwies die Nike-Intervention auf reale internationale Trends. Ein Blick über Wien hinaus genügt: Berlin hat längst zu einer Niketown auch einen Nike-Park eröffnet. Und New Yorks Bürgermeister Bloomberg äußerte seinen Wunsch, öffentliche Plätze und Brücken unter die Patronanz
großer Konzerne zu stellen, von denen auch im Schwarzbuch Markenfirmen [8] nachzulesen ist. Nikeground. rethinking space verortet Timothy Druckrey daher als signifikantes Beispiel einer unerlässlichen Erprobung von Gegenstrategien im künstlerischen Feld. Es gehe darum, “in technische und soziale Sphären zu intervenieren, in Informations- und Kommunikationsräume verschiedenster Ausprägungen”, wobei immer auch “die Entmystifizierung von Systemen” im Mittelpunkt stehen muss. Das Kollektiv von 0100101110101101.ORG hat in den vergangenen Jahren Themen aufgegriffen, die sich für eine enge Kooperation mit der Wiener Medienplattform mehr als eignen: “Die Arbeiten zeigen Schwachstellen auf”, schreibt Timothy Druckrey, “schaffen Öffentlichkeiten, überdenken Präsenz, hinterfragen die Problematik des Eigentums und testen das Recht auf frei zugängliche Informationen aus. Ihre Arbeit regt Debatten an über die ‘andere’ Seite der Macht, über die Prämissen, anhand derer Kultur vermarktet und zusehends reguliert wird, sowie darüber, dass Corporate Identity sich nicht einfach als Stellvertreter der Öffentlichkeit begreifen kann – oder als gegen die Auswirkungen ihrer Aktionen immun.”[9]
Keineswegs immun war hingegen Public Netbase. Plötzlich von Nike International mit einer existenzgefährdenden Klage bedroht, musste sich die Wiener Medienkultur-Institution nun Kriminalisierungsversuchen und Strafsanktionen widersetzen. Der Vorwurf der Verletzung von Namens- und Markenrechten erwies sich letztlich aber als absurd, weil bei diesem Kunstprojekt keinerlei geschäftliche Konkurrenz zu Waren- und Dienstleistungen des Sportartikelherstellers nachgewiesen werden konnte. Eine Ironie wurde dafür umso deutlicher: Ausgerechnet die auf Guerilla-Marketing spezialisierte Firma Nike, die geradezu begierig auf die neuesten Trends der Jugendkultur setzt, entpuppte sich als ein Unternehmen, das jetzt auch gegenüber Kunstschaffenden mit aller Gewalt seinen Hoheitszeichen Respekt verschaffen muss.
Die Debatten haben sich in weiterer Folge entsprechend fortgesetzt. Nachhaltigkeit konnte nicht bloß dadurch erzielt werden, dass nikeground. rethinking space noch Monate später im Stadtparlament und in zahlreichen Diskussionsrunden Gegenstand politischer Auseinandersetzungen war. Die im Projekt enthaltenen Fragestellungen zur Macht der Konzerne über die Informationsgesellschaft wurde auch in zahlreichen Medien vor einem breiten Publikum erörtert. “Mit der virtuellen Umtauf-Aktion von Karlsplatz zu Nike-Platz ließ Public Netbase auch die Blase der Info-Gesellschaft platzen”, schrieb etwa die Wiener Stadtzeitung City in einem Leitartikel.
“Wer es heute noch schafft, die Flut an zufälligen oder gezielten Informationen in voller Quantität zu verdauen, dem gebührt eigentlich der schwarze Info-Gürtel, wer dies inklusive qualitativer Selektion meistert, gehört in den Tempel. Also wird für gewöhnlich genommen, was ungewöhnlich daherkommt, im Sensations- bzw. Skandalfilter hängenbleibt.” Und: .Man denke nur darüber nach, warum der Karlsplatz Karlsplatz heißt. Bingo: Kaiser Karl. Und wenn man sich nun auf die Suche nach den großen Herrschern unserer Zeit macht, dann heißen die nicht etwa Schüssel, Schröder oder Bush. Nein, die heißen McDonald’s, Microsoft oder eben Nike.”[10]
Bereits ein halbes Jahr später bildete erneut eine Containerkonstruktion am Karlsplatz den Rahmen einer künstlerischen Intervention, mit der Public Netbase den Fokus auf ein zentrales Thema urbaner Konflikte lenkte: Überwachung. Unter dem Namen System-77 Civil Counter Reconnaissance gab sich im Mai 2004 ein vermeintlich weltweit agierendes Konsortium erstmals in Wien zu erkennen und stellte im Rahmen der Aufsehen erregenden Hightech-Skulptur seine Anliegen vor. Ziel von S-77 CCR sei es, so gab eine breit angelegte Informationskampagne Auskunft, “der intransparenten und demokratiefeindlichen Anwendung durch staatliche und private Sicherheitsinstanzen das Gegenmodell einer zivilgesellschaftlichen Nutzung von Überwachungstechnologien entgegenzustellen”.
Im Innenraum der für die neugierige Öffentlichkeit zugänglichen Anlage befanden sich modernste Analyse- und Fernaufklärungsinstrumente, deren Funktionsweise aufzahlreichen Monitoren und Displays in einem Spektrum von digitalen Blickwinkeln veranschaulicht wurden. Das Modell einer mobilen Überwachungseinheit, die unbemannte Flugobjekte (UAV) zu Aufklärungszwecken zum Einsatz bringt, vermittelte mit dokumentarischen Materialien zu verschiedensten Demonstrationen in der Innenstadt, dass neueste Kontrolltechnologien auch bereits in Österreich Anwendung gefunden haben, um Polizeibehörden bei der Ausübung ihres Dienstes auf Schritt und Tritt zu beobachten. Über all dem prangte das Motto: “Eyes in the Skies, Democracy in the Streets!”
Der weltweite Trend zur Überwachungs- und Kontrollgesellschaft hat zu nachhaltigen Friktionen in der demokratischen Kultur geführt, die vor allem im Gegensatz von privatem und öffentlichem Interesse in Fragen der Sicherheitspolitik zum Ausdruck kommen. Das Augenmerk von Public Netbase gilt daher insbesondere einer gemeinnützigen Aneignung von Technologiewissen als Schwerpunkt der eigenen politischen Kulturarbeit und künstlerischen Praxis. Der slowenische Künstler Marko Peljhan, der das Konsortium gemeinsam mit der Netzkulturplattform am Karlsplatz präsentierte, hat sich mit der Konversion militärischer Informationstechnologie für zivile Zwecke international einen Ruf erworben und wurde dafür auch mehrfach ausgezeichnet. In Wien sorgte das Projekt für große Konfusion, die auch eine regelmäßige Anwesenheit der Staatssicherheitsorgane bei der künstlerischen Installation mit sich brachte. Der Kunsttheoretiker Gerald Raunig zog im Hinblick auf dieses Projekt schließlich eine Parallele zu antiken Vorbildern in der Konfrontation mit Herrschaft und Macht:
“Bei System-77 kann man etwas sehen, was man in der Antike Parrhesia genannt hat, die Kunst der riskanten Widerrede. Dass Menschen, auch wenn sie übermächtigen Gegnern gegenüberstehen, sich trauen, dem etwas entgegenzusetzen. Hier handelt es nicht um den großen Unterschied zum Big Brother oder zur Präsenz der Polizei, sondern um die kleinen Vorsprünge.” [11]
“Was die Techno-Kultur dieser Tage beschäftigt”, – Konrad Becker, der Leiter von Public Netbase, zieht gemeinsam mit dem Medienwissenschafter Felix Stalder nach mehr als einem Jahrzehnt in der kritischen Internet-Szene in der Zeitschrift Kulturrisse mit einer Standortbestimmung Bilanz – ist “ein neu gewonnenes Verständnis, dass Technologie alleine noch keine Kultur ausmacht. Ebenso wichtig wie die Technologien selbst ist der kulturelle und institutionelle Kontext, in den sie eingebettet werden. Die alte Debatte über technischen versus sozialen Determinismus ist erloschen. Es ist heute Konsens, dass wir das Soziale gar nicht ohne das Technische verstehen können und dass das Technische erst innerhalb des Sozialen relevant wird. Konkret bedeutet das, dass die digitalen Kulturschaffenden heute mehr denn je mit Fragen konfrontiert sind, wie denn die technischen Möglichkeiten real umzusetzen wären.”[12]
Aus dieser Herausforderung alleine ließen sich genug Gründe ableiten, weshalb Public Netbase als partizipative Netzplattform und Diskurszentrum an der Schnittstelle von Kunst, Kultur und Neuen Medien unbedingt erhalten bleiben sollte. Die Zukunft ist kurz vor dem Jubiläum des zehnjährigen Bestehens an der Jahreswende 2004/2005 allerdings so ungewiss wie nie zuvor. Seit der Regierungsbildung der national-konservativen ÖVP mit der rechtsextremen FPÖ im Jahr 2000 sieht sich der Wiener Knotenpunkt einer kritischen Internetkultur mit Diffamierungen und der willkürlichen Streichung von Fördermitteln konfrontiert. Eine ausreichende Finanzierung der institutionellen Rahmenbedingungen konnte nicht zuletzt deshalb bisher nicht annähernd erreicht werden.
Dabei müsste es eigentlich im öffentlichen Interesse sein, in sozio-kulturelle Grundlagen zu investieren, die – neben der Vermittlung medialer Kompetenz und der Befähigung zur selbstbestimmten Nutzung von Medien – auch ein Self-Empowerment im Hinblick auf die Wissensgrundlagen des Informationszeitalters möglich machen. Eine Demokratisierung umfasst auch die Teilnahme an der Entwicklung von Antworten und Strategien auf grundlegende Problemstellungen: Wie verändern sich Alltagsleben, Kunst, Kultur, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien? Wie entsteht öffentliche Meinung? Wie kann der Schutz der Grund- und Persönlichkeitsrechte in der Informationsgesellschaft gewährleistet werden? Es lohnt sich somit allemal, an den grundsätzlichen Überlegungen einer Netzkulturpraxis festzuhalten. Vielleicht schöpft sich die dafür erforderliche Energie aus einer abschließenden Perspektive aus Dark Fiber von Geert Lovink: “Das Ziel der Demokratisierung der Medien ist die Abschaffung aller Formen mediatisierter Repräsentation und künstlicher Verknappung von Kanälen. Die technischen Möglichkeiten, Menschen für sich selbst sprechen zu lassen, sind heute da, selbst wenn sie nur über eine geringe oder keine Bandbreite verfügen. Öffentlicher Zugang zu einer Reihe von Kommunikationswerkzeugen und die weltweite Unterstützung unabhängiger, taktischer Medien kann den politischen Intellektuellen letztlich überflüssig machen.”[13]
[1]
Lovink, Geert: Dark Fiber. Auf den Spuren einer kritischen Internetkultur, Opladen 2004, S.15.
[2]
Lovink 2004, S.230.
[3]
Sassen, Saskia: Vorwort in: Becker, Konrad et al. (Hrsg.): Die Politik der Infosphäre. World-lnformation.Org., Opladen 2002, S. 9-11, hier S.9.
[4]
Lovink 2004, S.61.
[5]
Raunig, Gerald / Wassermair, Martin (Hrsg.): sektor3medien99. Kurskorrekturen zur Kultur- und Medienpolitik IG Kultur Österreich, Wien 1999, S.157ff.
[6]
Siehe dazu den Beitrag zu Creative Commons in diesem Buch.
[7]
Lovink 2004, S.23
[8]
Werner, Klaus / Weiss, Hans: Schwarzbuch Markenfirmen. Deuticke Verlag, Wien 2001.
[9]
Druckrey, Timothy: Kontaminierte Enklaven. Überlegungen zum Verhältnis von Kommerzialisierung und Dissens am Beispiel des Projekts “Nike Ground”, in: springerin. Hefte für Gegenwartskunst IX/4, 2003. S.7.
[10]
Hübner, Jakob: Platzangst. In: City, 24. Oktober 2003, S.3
[11]
Gerald Raunig im Interview. Siehe Videodokumentation zu S-77CCR unter http://s-77ccr.org
[12]
Stalder, Felix / Becker, Konrad: Digitale Kultur v2.0, in: Kulturrisse 0304, 2004, S.30-31, hier S.31.
[13]
Lovink 2004, S 39.