Der Karlsplatz inmitten Wiens ist ein Niemandsland. Deshalb forderte zuletzt an dieser Stelle Gerald Matt (Falter Nr.37/02), dass aus dieser “Verkehrshölle” ein Zentrum der künstlerischen und urbanen Bewusstseinsbildung entstehen soll – ein Platz als “Relais zwischen Kunst und Leben”. Wie recht er hat!
Wien will anders sein. In kulturpolitischer Hinsicht kann dies nur gelingen, wenn die Stadtverantwortlichen sich entschließen, neue Wege zu beschreiten. Urbanes Denken – und das ist das scheinbar Irreführende an diesem Terminus – hat seine Aufmerksamkeit in erster Linie auf die Welt außerhalb der Stadtmauern zu lenken. Hier herrschen aktuell Dotcom-Depression, allgegenwärtige Terrorfurcht, Überwachungsneurosen und Demokratie-Pessimismus vor. Die Frage, wo sich die Ergebnisse der vielfältigen theoretischen Diskurse im Alltag festmachen lässt, mündet in den einen zentralen Appell: “Es braucht Räume, in denen die vielzitierte Multitude neue demokratische Formen erproben kann”.
Dass der Anspruch auf Urbanität in der Bundeshauptstadt bisher keinen nennenswerten Kristallisationspunkt gefunden hat, zeigt sich besonders deutlich am Beispiel des Museumsquartiers. Kritisches wird in den Fischer von Erlach-Gemäuern solange in ein bürokratisches Korsett geschnürt, bis ihm die Luft wegbleibt. Für non-konforme kulturelle Institutionen ist mittlerweile überhaupt kein Platz.
Wie sollen künftige Räume beschaffen sein? Theoretiker, Wissenschafter, Künstler konnten sich darauf verständigen, dass der Widerspruch gegen Wirtschaftsdominanz sich auch in realen Strukturen artikulieren muss. Die Kritik an der Einengung der Handlungsfelder des Einzelnen muss über entsprechende Medien Öffentlichkeiten finden. Einigkeit besteht auch darin, dass jede neu geschaffene Einrichtung in einer engen Anbindung an weltweit vernetzte Aktivitäten zu verstehen ist. Der Karlsplatz hätte die Chance, zu einem Gravitationszentrum einer neuen kulturellen Praxis zu werden, die sich im interdisziplinären Austausch mit Wissenschaft und Theoriebildung befindet und sich als Teil der neuen sozialen Bewegungen versteht. Was nur allzu oft sehr nebulos als urban und visionär umschrieben wird, besteht im wesentlichen aus der praktischen Erprobung dessen, was heute schon Zukunft ist.
Die Stadt sollte sich bei der Verwirklichung auf Partner stützen, die – und hier stochert neben Gerald Matt auch Jan Tabor (Falter Nr.31/02) in der klaren Suppe herum – bei dieser Suche jene Inhaltsstoffe beizusteuern in der Lage sind, die auch wirklich einlösen, wovon der Kunsthallendirektor spricht: Öffnung des Karlsplatzes. Es ist fraglich, ob allein die territoriale Expansion von Historischem Museum und Künstlerhaus als schlüssiges urbanes Konzept genügt.
Der Karlsplatz ist nur zu öffnen, wenn die Stadt selbst sich öffnet. Sie benötigt vor allem das Selbstbewusstsein, der schwarz-blauen kulturpolitischen Gestaltung ein anderes Modell entgegen zu setzen – gegen die besorgniserregende Ausbreitung und Hegemonie provinziellen Stumpfsinns. Der 4. Februar 2000 hat auf vielfältige Weise dazu beigetragen, kulturelle Positionen zu identifizieren und die Notwendigkeit von kritischen Öffentlichkeiten zu unterstreichen. Die Stadt sollte die Gelegenheit ergreifen, gegenüber Europa und der Welt aufzuzeigen, dass man im 21. Jahrhundert angekommen ist. Der Kunstplatz Karlsplatz bietet sich an, als Denkmal der Selbstbestimmung dieses Verständnis zu manifestieren und das vorhandene Potential damit weiter zu entwickeln.
Nicht ein weiteres Denkmal aus Granit ist hier gemeint, sondern die Institutionalisierung lebendiger Prozesse. Es muss eine institutionelle Struktur geschaffen werden, die auf der Grundlage neuer sozialer Organisationsformen einen transparenten und offenen Knotenpunkt internationaler Netzwerke, von Kunst, Kultur und Wissenschaft verkörpert. Das erfordert nicht nur eine hochwertige technische Ausstattung für eine digitale Medienkultur, sondern vor allem auch Rahmenbedingungen für temporäre Partnerschaften und ein dynamisches Wechselspiel von eigenständigen Projektträgern.
Die Vermittlung eines emanzipatorischen Demokratieverständnisses muss von jenen wahrgenommen werden, die Kultur als Impulsgeber für kulturelle Zukunftsentwicklungen und aktiven Träger von Veränderungen erkennen.
“Der Krieg”, so erklärte der italienische Medientheoretiker und Politkaktivist Franco “Bifo” Berardi (siehe auch das Porträt von Berardi in Falter 02/41, S. 20, Anm. d. Red.) im Rahmen der Konferenz “Dark Markets”, “ist das Amphetamin der Eliten, das sie in ihre Venen injizieren, um nicht in ihren inneren Abgrund blicken zu müssen.” Daher sollte sehr genau darauf geachtet werden, dass sich die Debatte um eine sinnvolle Entwicklung des Karlsplatzes zu einem Kunstplatz nicht in ein Muskelspiel zwischen den Feldherrn-Hügeln vermeintlicher Kunst-Eliten verirrt. Genau darauf aber läuft die Diskussion im Augenblick hinaus.
Es bedarf in dieser Stadt jedenfalls keines weiteren musealen Markplatzes bürgerlicher Eitelkeiten, wo das “Gold der Pharaonen” häppchenweise für einen leicht bekömmlichen Kunstgenuss der Gegenwart umgeschmolzen wird. An dessen Stelle muss endlich ein dynamisches Experimentierfeld treten, auf dem Kommunikation als Motor gesellschaftlicher Entwicklung zum Einsatz kommt. Wenn Wien noch ein Denkmal nötig hat, dann nur eines, das den Zugang zum Denken der Zukunft eröffnet. Auf diesem könnte zu lesen sein: Upload Future Culture!