Auf der richtigen Seite der Geschichte?

Rückblicke auf die postideologischen Ursprünge des Festivals der Regionen

Jubiläen sind nicht selten Segen und Fluch zugleich. Einerseits schaffen sie öffentliche Aufmerksamkeit, wenn die Erinnerung im archivarischen Staub des Zeitenlaufs bereits zu entschwinden droht. Andererseits aber fördern Jubeljahre im späten Rückblick immer auch Perspektiven und Deutungen zutage, die zur Legendenbildung neigen und Sehnsüchte der Gegenwart in oftmals verklärende Lesarten des Vergangenen spiegeln.

Das oberösterreichische Festival der Regionen (FdR) feiert 2023 das Jubiläum seines 30-jährigen Bestehens. Um nicht alt auszusehen, hat sich der Verein noch zuvor einer Verjüngung unterzogen, mit neuem Team und neuer Leitung. Seither ist oft von “back to the roots”, einem “Zurück zu den Ursprüngen”, zu hören, das im Programm fortan durch eine stärkere Berücksichtigung regionaler Kulturinitiativen Niederschlag finden soll. Das weckt das Interesse, in welchen kulturgeschichtlichen Kontexten das FdR denn tatsächlich seine Anfänge genommen hat.

Mit dem Ende des Kalten Kriegs wurde das ideologische Ringen zwischen Ost und West auch in Oberösterreich endgültig entschieden. Der Zerfall des Sowjetregimes hat zwischen 1989 und 1991 auch im “Hoamatland” die Geschichte für beendet erklärt. ÖVP-Landeshauptmann Josef Ratzenböck blickte mit spätfeudaler Güte auf sein Herrschaftsgebiet, es mangelte ihm allerdings an Sehschärfe für die sich bereits abzeichnenden Umwälzungen in Gesellschaft und Ökonomie. Und dennoch: Zahlreiche Kulturvereine, die landesweit schon seit mehr als einem Jahrzehnt für ein reichhaltiges Angebot abseits der Ballungszentren sorgten, waren ohne Zweifel vom späten Geist der oppositionellen 68er-Bewegung beseelt – mit zorniger Kante gegen autoritäre Ewiggestrige, gegen Katholizismus, intellektuellen Leerstand, Konsumzwang und Prüderie. Doch war das nach der Aushebelung des großen Weltenkonflikts auch wirklich von langer Dauer?

Tatsächlich gerieten manche Kulturzentren rund um die Zeitenwende schnell in Verruf, wenn sie – das wohl herausragendste Beispiel bot jahrelang der Schwertberger Kulturverein Kanal – die Missachtung gegenüber Klerus, Rechtsextremen und einer stockkonservativen Landespolitik mit Punkkonzerten und affirmativ-sexualisierten Performances lautstark zum Ausdruck brachten. Forderungen nach soziokulturellen Alternativen verschafften sich plötzlich Gehör. Das machte Oberösterreich insbesondere in den späten 1980er Jahren zu einem durchaus spannenden Ort, an dem das kulturelle Aufbegehren in Widerspruch zu Tradition und Brauchtum trat, zum hegemonialen Wertekanon von Leistungsbereitschaft und einheimischer Eintracht.

Die 1990er brachten schließlich die Verheißung auf ein Leben jenseits der Geschichte, und der postideologische Weltgeist marschierte nun auch durch Dörfer und Gemeinden. Irgendwo zwischen Lambach, Grieskirchen und Linz trug die Idee erste Früchte, das “Zeitgemäße” in Form eines biennalen Kunst- und Kulturfestivals mit Dirndl und Lederhose zu versöhnen. Die KUPF OÖ hatte zu diesem Zeitpunkt bereits beachtliches Profil gewonnen, ihren Mitgliedern sollten folgerichtig auch der widerständige Geist, das künstlerische Wagnis und eine dynamisierende Teilhabe entspringen.

1993, zum Auftakt der mittlerweile 30-jährigen Kulturalisierung der Regionen, kam allerdings gerade einmal ein gutes Drittel der Beiträge aus den Reihen des Dachverbands. Die Jury, der auch Houchang Allahyari, Hermann Glaser und Valie Export angehörten, setzte bei ihrer Auswahl auf das Spektakel, männliche Dominanz – und aufwändige Inszenierungen. Der Turmbau zu Babel, eine alttestamentarische Metapher für Hochmut und Scheitern, sollte als das vielleicht pompöseste der insgesamt 30 Projekte ein Ausrufezeichen setzen. Unter Anleitung des Komponisten Wolfgang Mitter machten tausende Gesangsstimmen von 16 Kirchenchören aus dem Linzer Stadion eine Kathedrale der Unendlichkeit. Daraufhin folgten Wohlwollen und Zufriedenheit, hatte doch die oberösterreichische “Zeitkultur”, wie das schwer Fassbare von Kulturreferent Josef Pühringer gerne auf eine einfache Formel gebracht wurde, auf der “richtigen” Seite ihren Platz gefunden.

Das alles ist aber lange her, die Welt hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten radikal verändert. Die eigenen Wurzeln eignen sich kaum, für die Weiterentwicklung des FdR die notwendigen Parameter zu finden. Denn die Zukunft steht offen – und damit die Verhandlung, die Differenz, der Streit um das ersehnte Narrativ. In neuen Ursprüngen liegt somit die Hoffnung auf nochmals spannende 30 Jahre.

 

Auch DORFTV blickt auf 30 Jahre FdR zurück. Alle Videos zum Schwerpunkt sind unter dorftv.at/channel/30-jahre-festival-der-regionen nachzusehen.