Interview: „Wir müssen uns warmanziehen“

Warnungen vor einer FPÖ-ÖVP-Regierung

Am 1. Jänner  2025 habe ich meine Tätigkeit als Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich angetreten. Am 5. Februar 2025 veröffentlichte das Branchenmagazin Horizont ein Interview mit mir über Herausforderungen und Zielsetzungen meiner neuen Tätigkeit.

 

„Wir müssen uns warmanziehen“

Der neue Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen Österreich warnt eindringlich vor einer FPÖ-ÖVP-Regierung.

Von Daniel Kortschak

HORIZONT: Herr Wassermair, Sie sind kürzlich zum Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen Österreich ernannt worden. Warum jetzt diese Neuaufstellung, und wie ist die überhaupt möglich geworden?

Martin Wassermair: Es gibt mehrere Gründe, die dazu geführt haben. Einer davon ist, dass die Strukturen von Reporter ohne Grenzen nicht mehr ganz zeitgemäß waren. Wir hatten im vergangenen Jahr einen relativ großen Vorstand mit Mitgliedern, die aus gesundheitlichen Gründen und persönlichen Motiven ihre Funktion nicht mehr wahrnehmen konnten. Der zweite Grund ist, dass unser Präsident Fritz Hausjell für Schlagzeilen gesorgt hat, weil er zum Beraterstab von Andreas Babler im Wahlkampf gehörte. Das ist natürlich in der Öffentlichkeit aufgegriffen und auch kritisiert worden. Da war Reporter ohne Grenzen klar, dass wir uns mit neuen Compliance-Regeln entsprechend aufstellen und handlungsfähig werden müssen. Ein weiterer Grund für die Umstrukturierung war die sehr positive Nachricht, dass Marlene Engelhorn im vergangenen Jahr 25 Millionen Euro ihres Erbes ausgeschüttet hat, das Geld über den sogenannten „Guten Rat für Rückverteilung“ verteilen ließ, und Reporter ohne Grenzen dabei mit 210.400 Euro berücksichtigt wurde. Das heißt: Ganz urplötzlich, ungeachtet dieser Schwierigkeiten, die unsere Organisation vorgefunden hat, gab es plötzlich eine Perspektive, tatsächlich etwas zu verändern. Da haben wir beschlossen, Reporter ohne Grenzen neu zu konzipieren: Mit einem Generalsekretariat, das operativ stark und in der Öffentlichkeit sichtbar ist. Das ist nicht als Konkurrenz zum Präsidenten zu verstehen, sondern komplementär.

Wie soll diese Arbeitsteilung zwischen dem Präsidenten und Ihnen als Generalsekretär konkret ausschauen?

Ich kümmere mich um das Tagesgeschäft. Nach meinen ersten vier Wochen bin ich erstaunt, was da alles anfällt. Es geht darum, den Verein hierzulande zu positionieren und uns zugleich im internationalen Netzwerk aktiv zu beteiligen. Und es gibt gerade jetzt so eine spannende Welle, wo wieder mehr Leute Mitglied werden wollen – die müssen auch betreut werden. Wir sind natürlich gerade auch stark gefordert in der politischen Auseinandersetzung rund um die Regierungsbildung in Österreich unter Führung einer FPÖ mit Herbert Kickl, die ja sehr unverhohlen einen illiberalen Politikwechsel herbeiführen möchte. Viktor Orbán in Ungarn ist das Vorbild, wie man Medienfreiheiten drastisch einschränkt. Da ist mit unserer Neuaufstellung die Hoffnung unserer Dachorganisation RSF International mit Sitz in Paris sehr groß, dass wir in Österreich eine wichtige Schnittstelle und ein starker Ansprechpartner sind für die Nachbarstaaten im Osten, insbesondere für die Slowakei und Ungarn, die unter ihren Regimen sehr zu leiden haben.

„Das erste Opfer ist jetzt schon zu identifzieren: Es ist der ORF. “

Stichwort Ungarn, Slowakei: Dort ist die illiberale Entwicklung schon sehr weit fortgeschritten, gerade Robert Fico und seine umstrittene Kulturministerin haben das in der Slowakei jetzt wirklich sehr schnell vorangetrieben. Droht uns mit Blick auf die aktuellen Regierungsverhandlungen von FPÖ und ÖVP etwas Vergleichbares auch in Österreich? Was sind da die konkreten Befürchtungen von Reporter ohne Grenzen?

Wir werden uns alle warm anziehen müssen! Ich glaube, darüber herrscht Einvernehmen in der Branche. Das erste Opfer ist jetzt schon zu identifizieren: Es ist der ORF. Die Absicht der Freiheitlichen ist ganz klar, und das schon seit Jahren: Sie wollen den ORF so richtig kleinmachen und letztendlich auch in seiner Unabhängigkeit schwächen. Da wird es darauf hinauslaufen, die Haushaltsabgabe abzuschaffen und den ORF aus dem Bundesbudget zu finanzieren. Mediensprecher Christian Hafenecker hat schon einmal die erste Sparvorgabe genannt: 15 Prozent Minus. Den ORF wird das hart treffen: Rund 105 Millionen Euro weniger im Jahr, das ist schon ein kräftiger Kahlschlag. Andere Medien wird es über die Presseförderung treffen, wobei die nicht so hoch dotiert ist, dass das jetzt den großen Budget-Spareffekt bringt. Da geht es eher um einen Rachefeldzug und darum, dass unliebsame Medien abgeschnitten werden sollen von einem für sie wichtigen Geld, gerade angesichts des ökonomischen Drucks, unter dem sie stehen. Was noch dazukommen wird, ist natürlich eine Begünstigung der FPÖ-eigenen Medien oder FPÖ-naher Medien bis hin zu rechtsextremen Publikationen. Das zeichnet sich schon ab, und da gibt es eine Parallele zu Viktor Orbán. Ich denke, dass wir wahrscheinlich innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre vor konkrete Tatsachen gestellt werden.

Wird es diese „Tatsachen“ geben, wenn die ÖVP dabei das eine oder andere Wort mitzureden hat? Inwieweit kann die Volkspartei da noch als Korrektiv fungieren in den laufenden Koalitionsverhandlungen?

Der Umgang der ÖVP mit Medien hat sich in den letzten Jahren deutlich gezeigt und ist mittlerweile auch nachzulesen in einem Buch: „Message Control“ von Gerald Fleischmann, der die ÖVP-Medienpolitik sehr stark geprägt hat, insbesondere zwischen 2017 und 2019. Wir kennen auch die Ambitionen der ÖVP, Informationsfreiheiten zu beschränken. Ich habe so meine Zweifel, dass wir uns auf die ÖVP verlassen können bei der Sicherung von Meinungsvielfalt und Pressefreiheit. Man wird sehen. Die ÖVP wird sicherlich Medien verteidigen, wenn es um ihre eigenen Einflussbereiche geht, etwa um die ORF-Landesstudios, die für den schwarzen Machterhalt in den Bundesländern von großer Bedeutung sind. Ich glaube auf jeden Fall nicht, dass die Regierungsbildung an Medienfragen zerbrechen wird, wie das manche vermuten. Ganz im Gegenteil: Die ÖVP wird gerade auch im Bereich der Medien sehr gerne bereit sein, ihre Seele zu verkaufen.

Abgesehen von dieser aktuellen medienpolitischen Diskussion, gibt es ja ohnehin schon große Baustellen in der Branche: Stichwort Krise der Tageszeitungen, Desinformation im Netz und der massive Abfluss von Werbegeldern an die internationalen Tech-Konzerne. Da müsste man eigentlich dringend gegensteuern. Das wird in dieser politischen Konstellation aber eher nicht passieren, wenn man Ihnen so zuhört?

Nein. Aber das ist natürlich auch etwas, das Österreich gar nicht alleine lösen kann. Darum ist ja im Medienbereich seit Jahr und Tag die Hoffnung groß, dass man hier entsprechende Regularien auf dem Weg der Europäischen Union finden kann. Da ist natürlich jetzt wieder die Sorge groß, ob sich Österreich als „Bad Boy“ der Europäischen Union nicht eher von gemeinsamen Lösungsfindungen entfernt, anstatt zu gemeinsamen europäischen Lösungen beizutragen. Ich glaube nicht, dass wir zu einem Vorzeigebeispiel werden etwa bei der Informationsfreiheit. Wir haben jetzt das Europäische Medienfreiheitsgesetz, da ist einiges geschehen, vor allem auch in Hinblick auf den Umgang mit Slapp-Klagen und so weiter. Wie Österreich das dann tatsächlich implementiert und mit welcher Ernsthaftigkeit, da ist schon Sorge angebracht. Es gibt in diese Richtung keine erfreulichen Zeichen, die irgendwie zuversichtlich stimmen.

„Meine persönliche Zielsetzung ist, so etwas zu werden wie eine digitale Umweltbewegung, die maßgeblich dazu beiträgt, dass wir eine lebenswerte Infosphäre haben.“

Was den Medien auch zunehmend zu schaffen macht, ist der demografische Wandel. Die Stammleser und Stammhörerinnen werden älter, die junge Generation kann mit einer gedruckten Zeitung oder einem Radiogerät nichts mehr anfangen, für sie spielt sich alles auf dem Handy ab. Wie kann man denn die jetzt Heranwachsenden noch für seriöse journalistische Produkte begeistern? Und wie kann man das Bewusstsein dafür schärfen, Fake News von faktenbasierten Publikationen zu unterscheiden?

Das sind zwei verschiedene Dinge. Das eine ist: Meine Hoffnung auf Erziehung ist groß. Man muss selbstverständlich schon sehr früh, schon bei den Kleinsten ansetzen, einen kritischen Umgang mit Medien zu erlernen und zu finden. Interessanterweise – und in dieser Beobachtung bin ich gar nicht alleine – sind die Sorgenkinder gar nicht so sehr die Jüngsten in unserer Gesellschaft, sondern die Älteren und Ältesten, die höchst anfällig sind für einen sehr sorglosen Umgang mit digitalen Medien, mit Social Media-Plattformen, mit Falschinformationen, Desinformation, Manipulation und Propaganda: Gerade da muss man meines Erachtens ansetzen, weil diese Altersgruppe noch immer die einflussreichste ist – auch bei Wahlentscheidungen. Wenn nicht schnell einmal was passiert, dann ist sicherlich ein großer Schaden angerichtet. Ansonsten haben wir von Reporter ohne Grenzen dieses Thema auch auf dem Schirm. Wir werden uns nicht bis zum St. Nimmerleinstag auf die Frage der Pressefreiheit alleine, auf die Frage des korrekten Umgangs mit journalistischen Medien beschränken. Sicherlich wird es weiterhin von großer Bedeutung sein, für den Schutz von Journalist:innen in Krisen-, Kriegs- und Konfliktgebieten zu sorgen, aber wir wollen – und das nicht nur in der Programmatik und unserem öffentlichen Auftreten – das Augenmerk verstärkt darauf richten, was wir unter Informationsfreiheit verstehen. Da möchte ich als Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen Österreich hin. Meine persönliche Zielsetzung ist, so etwas zu werden wie eine digitale Umweltbewegung, die maßgeblich dazu beiträgt, dass wir eine lebenswerte Infosphäre haben, in der Informationen als Allgemeingut zur Verfügung stehen. Sie sind als Grundnahrungsmittel zu betrachten, um uns in unserer komplexen Welt zu orientieren. Wenn es Fürsprecher:innen gibt für eine freie, demokratisch strukturierte Öffentlichkeit, auch für eine Informationsvielfalt, dann wird das Thema Medien wieder attraktiv für junge Menschen, die dann auch beginnen, sich für diese Medien zu interessieren. Aber wie gesagt: Man muss da schon sehr früh beginnen, und wir wissen, dass die Realitäten oft schwierig aussehen, gerade für Kinder aus bildungsfernen Schichten. Die haben es oft nicht so leicht, sich diese Medienkompetenz anzueignen und das kritische Bewusstsein zu erlernen, weil die Schule es alleine auch nicht meistern kann.

Dieser demografische Wandel trifft die Medien in zweierlei Hinsicht: Erstens, was die Überalterung des Publikums betrifft, aber natürlich auch bei der Suche nach Mitarbeiter:innen. Denn aller KI und Automatisierung zum Trotz wird’s noch Menschen brauchen, die Inhalte produzieren. Wie kann man denn junge Leute, die sich schon schwertun, sich mit den klassischen Medien überhaupt zu identifizieren, davon überzeugen, vielleicht auch journalistisch tätig zu werden? Gibt es da überhaupt noch eine Perspektive? Die Tageszeitungen sind in der Krise, der ORF politisch schwer unter Druck. Die Kollektivverträge beim ORF sind über die Jahre immer schlechter geworden, beim Privatradio und den Gratiszeitungen gibt es überhaupt keinen KV. Wer soll sich das noch antun?

Das sind wieder zwei Themen. Das erste ist: Ich glaube, man muss junge Menschen für das Medium nicht überzeugen, denn sie beweisen tatsächlich tagtäglich, wie überzeugt sie sind. Sie hängen oft stundenlang am Smartphone und machen ihre Dinge. Das andere ist, das auch noch zu verknüpfen mit dieser sehr reizvollen Idee, dass man als junger Mensch mit dem Smartphone in den Händen auch die Welt ein Stückweit mitgestalten kann. Die Sorge ums Klima, die Frage, ob man in Zukunft noch einen guten Job finden wird, von dem du leben kannst und der vielleicht deine Familie ernähren muss: Das sind schon Fragen, die viele junge Menschen bewegen, die in ihren Köpfen herumgeistern und ihnen auch teilweise Sorgen machen. Da bloß zu sagen: „Es gibt die Möglichkeit, so etwas auch als journalistische Tätigkeit zu machen“, ist sicher reizvoll für einige. Das kann man sich auch anders vorstellen als heute: Da gibt es eine ganze Menge Überlegungen dazu – etwa Bernhard Pörksens Idee der redaktionellen Gesellschaft. Auch als Blogger:in kann man heute publizistisch wirksam sein. Ich glaube, da gibt’s schon Optionen, die man intensiver aufgreifen kann und strukturierter weiterdenken muss. Wichtig ist, dass man wie in allen anderen Berufssparten auch, mit Journalismus natürlich auch Geld verdienen muss, um die Existenz zu bestreiten. Da geht es nicht nur darum, den eigenen Kindern zumindest eine warme Mahlzeit auf den Tisch zu stellen, sondern es geht auch darum, dass man sich einmal etwas leisten kann. Einen Kinoabend, ein Konzert, was auch immer. Da wird es zurzeit sehr ernst. Wobei: Diese Prekarität im Journalismus ist jetzt nicht so neu, die beklagen wir auch schon seit zwei, drei Jahrzehnten. Als ich selbst Ende der 1990er-Jahre nach dem Studium zu arbeiten begonnen habe, da waren atypische Beschäftigungsverhältnisse, freie Dienstverträge, Werkverträge gängige Begriffe, mit denen wir in unsere Berufsrealitäten gegangen sind. Da heißt es natürlich auch, sich selbst zu organisieren, nicht als Eigenbrötler:in für sich selbst herumzugeistern, sondern sich zusammenzuschließen, gemeinsame Sache zu machen. Nur so schafft man öffentliches Bewusstsein, dass für diese notwendige Aufgabe von Journalismus und Medien in einer Demokratie natürlich auch die ökonomischen Grundlagen einfach zwingend mitzudenken sind.

Sie schon länger als sehr kritischer Geist bekannt, der mit großem Einsatz für unabhängigen Journalismus kämpft. Da ist mit der schwarz-blauen Regierung in Oberösterreich auch nicht alles eitel Wonne …

Ich freue mich über dieses Kompliment, ein kritischer Geist zu sein. Das will ich sein und es ist schön, wenn ich auch als solcher wahrgenommen werde. Ich stehe fast täglich auf dem Prüfstand, nicht nur persönlich, sondern natürlich auch durch meine mediale Tätigkeit als Politikredakteur bei DorfTV. Der kritische Geist misst sich aber nicht alleine an Schwarzblau in Oberösterreich. Ich habe früher im sozialdemokratisch alleinregierten Wien gearbeitet, da gab es auch jede Menge Brösel, Ärger und Konflikte. Das gehört eigentlich dazu, dass man als Medienmacher:in, wenn man damit einen Impact erzielen will, unweigerlich auch mit den Herrschenden, mit den Mächtigen in Konflikt geraten kann. Diese Konfrontation soll auch niemand scheuen, denn sie ist eigentlich das Salz in der Suppe der Demokratie, sie macht die Konflikte, die ohnehin in der Gesellschaft vorherrschen, erst sichtbar. Nur wenn wir uns dieser Konflikte, dieser Gegensätze, dieser unterschiedlichen Sichtweisen, Standpunkte und Lösungsansätze bewusstwerden, dann können wir eine Auseinandersetzung führen, die unserer Gesellschaft nur guttun kann. Das ist ja die Voraussetzung schlechthin für Demokratie, so ist sie in der Antike ja überhaupt erst entstanden, um diese Auseinandersetzung zu organisieren. Wir tun das in Form von Parlamentarismus, und wir tun das eben auch in Form von Medien. Daher kann ich immer nur sagen, es gleichzutun, vor allem auch meinungsbildend zu wirken und diese Meinung auch kundzutun – auf die Gefahr hin, dass sie als unliebsam oder nicht gefällig wahrgenommen wird. Nur so können die Menschen dann auch für sich selbst persönliche Entscheidungen treffen.

Ohne jetzt jemandem zu nahe treten zu wollen: Ist in Oberösterreich die Zahl der Medienschaffenden, die das verinnerlich haben, nicht überschaubar?

In der Tat, die ist sehr überschaubar. Leider. Wobei, man darf nicht ganz ungerecht sein: Es gibt eine Blattlinie, dann gibt es jene, die innerhalb der Redaktionen in hoher Funktion auf diese Blattlinie achten, und dann gibt es gerade auch bei Jüngeren mitunter sehr ambitionierte, sehr clevere Köpfe, die tatsächlich etwas verändern wollen und versuchen, den kritischen Zugang zu finden. Ich kann diese Kolleg:innen nur ermuntern, da nicht nachzulassen, sondern echt dranzubleiben und das auch weiterhin zu tun. Reporter ohne Grenzen haben sie auf jeden Fall an ihrer Seite. Wenn es einmal Ärger gibt, kann man sich auf unsere solidarischen Rückendeckung allemal verlassen.