Phantom Kulturstadt I

Das ORF Ö1-Kulturjournal berichtete am 8. Juli 2009 von der Diskussionsveranstaltung im Rahmen der Buchpräsentation in der Wiener Hauptbücherei.

Kultur gegen öffentlichen Raum

Der Begriff der Kulturstadt oder der kreativen Stadt, der creative city, wie er im internationalen Kunstdiskurs verwendet wird, ist einer, der viele Künstler und Kulturwissenschaftler in den letzten Jahren extrem beschäftigt hat, auch den holländischen Autor und Soziologen Merijn Oudenampsen, der gestern mit am Diskussionspodium der Wiener Hauptbibliothek saß und der die Unschuld dieses Begriffs in Frage stellte.

An sich sei der vom Publizisten Richard Florida geprägte Termnius von den creative cities ein äußerst positiver und habe auch ursprünglich utopischen und politischen Gehalt. Aber umso mehr Stadtplaner, Banker, Immobilienhändler und Kulturpolitiker auf diesen Zug aufgesprungen seien, umso mehr es um Aufwertung von Stadtteilen und Ausbeutung von Künstlern gegangen sei, umso mehr sei dieser Gehalt entschwunden. Oudenampsen machte das sehr anschaulich an der Stadt Amsterdam fest die der Bürgermeister stolz zur Kulturstadt erklärt hat.

Teure Künstlerviertel

Doch dort, wo neue Kulturprojekte in Gebieten der Stadt aus dem Boden gestampft wurden, verschwanden bald die Künstler, die kulturellen und ethnischen Randgruppen. Vorgemacht hatten das New York und London, wo Immobilienhaie immer jene Gegenden aufkauften, die als hippe Künstlerviertel galten, in denen die Künstler aber bald nicht mehr die Mieten zahlen konnten.

Mit der Durchrationalisierung von Kunst als monetäre Effizienzsteigerung, mit der Abhängigkeit von Sponsoren und Kulturpolitikern, denen ihr city branding wichtig ist, also eine Stadt als Kulturstadt zu positionieren, schwindet der Freiraum der Kunst, die an sich ja meist widerständig ist.

Künstler werden zu Erfüllungsgehilfen von gut bezahlten Eventmanagern, Immobiliengesellschaften, Werbeagenturen und Stadtpolitikern. Dass dieser Druck in Zeiten knapper werdender Geldmittel steigt, ist klar. Die kreativen Freiräume, wie sie in den letzten Monaten etwa am Wiener Augartenspitz mit dem sogenannten josefinischen Erlustigungskomitee um die Künstlerin Raja Schwahn-Reichmann, um Anrainer und das Filmarchiv erstritten wurden auf der einen Seite und die geballte Macht von Burghauptmannschaft, Rathaus, einem potenten Investor, Bauunternehmer und Sponsor auf der anderen Seite, die das Sängerknabenkonzerthaus im denkmalgeschützten Augarten durchsetzen wollen, sind ein gutes Beispiel.

Europäische Kulturhauptstädte

Ein anderes eklatantes Beispiel sind die sogenannten europäischen Kulturhaupstädte, eine Erfindung der ehemaligen griechischen Kulturministerin Melina Mercouri. Zu ihnen hat Marlene Streeruwitz auch eine ziemlich klare Ansicht, gerade wenn es um österreichische Kulturhauptstädte geht.

"Es muss eine andere Art von Verbindung dessen, was am Ort ist, und was von außen kommt, sein und es kann nicht darüber hinwegzischen wie die wilde Jagd", meint Streeruwitz. "Die Oberösterreicher haben ja in Linz diese wunderbare Initiative ‘Linz0nein’ gemacht, in der alle Projekte zusammengefasst sind, die abgelehnt wurden, das heißt, sie können sich informieren, wenn Sie wollen, was abgelehnt wurde, es geht nur darum, ob das Angebot etwas ist, was Gesellschaft herstellt oder nicht."

Räume für Kreative?


Einen gesellschaftlichen Diskurs herstellen will auch das Buch "Phantom Kulturstadt", das von Martin Wassermair und Konrad Becker herausgegeben wurde, der bis 2006 die Institution Public Netbase leitete. Er erinnerte an jene leer stehenden Fabriken und Ruinen, die sich in den letzten Jahren immer wieder Künstler und Kreative eroberten, die dann aber sehr bald von Bauhaien und Eventmanagern aufgespürt würden, um sie lukrativ auszubeuten und fragte: "Wo bleiben noch Räume für Kreative ?"

Sein Kollege Martin Wassermair machte auf seine Kritik am Kulturprogramm der Fußballeuropameisterschaft im vergangenen Jahr in Wien aufmerksam, die in der Stadt viele abgesperrte Zonen schuf und Freiräume der Bürger empfindlich eingrenzte, um sie mit einem seiner Ansicht nach lächerlichen Kulturprogramm zu trösten. Es ginge darum, politischer und gegenüber dem Kapitalismus kritischer zu werden und sich Projekte sehr genau zu überlegen, sowie die gesellschaftlichen Bedingungen künstlerischer Produktion mitzureflektieren

Diese Buch ist also eine Standortbestimmung für Künstler und Kulturschaffende, für die creative industries und creative cities, wie der Fachjargon dies gerne angelsächselt, für Menschen, die von und in sogenannten Kulturstädten leben, für jene, die sie programmieren, von ihnen profitieren und für Künstler, die zu ihnen beitragen wollen – oder auch nicht.

Textfassung: Ruth Halle

Buch-Tipp

Konrad Becker, Martin Wassermair (Hrsg.), "Phantom Kulturstadt. Texte zur Zukunft der Kulturpolitik II", Löcker Verlag