… ist der Titel einer Diskussionssendung auf DORFTV, einem der drei nichtkommerziellen Fernsehsender Österreichs. TV-Macher Martin Wassermair ist aufgewachsen im oberösterreichischen Grieskirchen, hat viele Jahre in Wien gelebt und gearbeitet – und einige im afrikanischen Kamerun. Er zeigt, was alles möglich ist, wenn man sich für eine Sache wirklich engagiert.
Herr Wassermair, wofür brennen Sie?
Für alles, was im kritischen Sinn mit Politik zu tun hat. Wir müssen das, was wir erreicht haben, erhalten und weiterentwickeln. Was heute in der politischen Auseinandersetzung fehlt, ist eigentlich eine Sphäre des Politischen, die mit der Entpolitisierung vieler gesellschaftlicher Bereiche zurückgedrängt wird. Hier darf es keine Rückschritte geben, auch keine Stagnation. So habe ich zum Beispiel schon 2004 einen Beitrag für das Magazin der Liga für Menschenrechte geschrieben, damals noch unter Chefredakteurin Corinna Milborn, zum Thema „Informationsfreiheit als Menschenrecht”.
Könnte sein, dass wir das heute wieder bei Ihnen anfragen würden!?
Genau. Das Thema ist heute wieder – oder noch immer – von Bedeutung. Auch zur „Digitalisierung und ihren Folgen” war ich mit einer im Museumsquartier sehr aktiven Netzkultur-Institution namens „Public Netbase” schon in den 1990er Jahren dran. Da haben wir zum Zusammenhang von Internet, Gesellschaft und Politik verschiedenste Veranstaltungen, Ausstellungen, Publikationen gemacht.
Ist das nicht ein bisschen zermürbend, wenn man in alten Unterlagen blättert und sieht, dass so vieles praktisch unverändert aktuell ist?
Nun ja, die Umstände sind dann doch auch immer wieder anders. Als Junger hatte ich – wie viele – das Ziel, die Welt noch ein Stück besser machen zu wollen. Und einiges ist ja auch geglückt. Das beflügelt mich für gegenwärtige und zukünftige Projekte.
Dann erzählen Sie uns doch etwas über sich.
Ich komme aus einer Kleinstadt am flachen Land, sehr provinziell, sehr konservativ geprägt. Dennoch, bei uns in Grieskirchen gab es in der 1980er-Jahren einen Kulturverein in einem eigenen Haus, mitbegründet vom ehemaligen ÖVP-Innenminister Ernst Strasser, als junger Mann noch linksalternativ. Aus meiner Sicht war das Land aber mit überregionalem Angebot kulturell unterversorgt – und ich habe mich schon mit 16 Jahren dafür eingesetzt, dagegen etwas zu unternehmen. So bin ich schon früh in die Kulturpolitik gekommen und durfte als Vertreter für die oberösterreichischen Kulturinitiativen auch an inhaltlich programmatischen Entwicklungen mitwirken.
Daneben habe ich während der Schulzeit mit meinem Bruder die Initiative gestartet, Shoa-Überlebende einzuladen. Wir haben sie einfach angerufen und dann in Schulen in unserer Nähe Termine mit ihnen ausgemacht. So habe ich Hermann Langbein, Regine Chum, Fritz Kleinmann, die allesamt Auschwitz überlebt haben, persönlich kennengelernt. Und sie haben mir letztlich ermöglicht, dass ich 1996 im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands meinen Zivildienst machen durfte. Das hieß, wissenschaftlich mitarbeiten an dem damals in Gang gesetzten Projekt einer namentlichen Erfassung der österreichischen Shoa-Opfer. Dafür durfte sogar das Archiv der Opferfürsorge Wien geöffnet werden, das an sich unter Verschluss war. Franz Vranitzky hatte zuvor bei einem aufsehenerregenden Besuch in Yad Vashem der Welt versprochen, dass Österreich seine Verantwortung ernst nimmt und die Aufarbeitung angeht.
Für diese Zeit bin ich wirklich dankbar, das war eine super Mischung. Ich war damals – 1989 hatte ich mein Studium mit Fokus auf Zeitgeschichte begonnen – im ersten Semester, hatte meine kulturpolitische Arbeit, mein Studium, den Zivildienst im DÖW und gleichzeitig die Möglichkeit, viel zu publizieren. Überhaupt war das eine Phase, in der viel möglich war.
Inwiefern?
Zum Beispiel mein erster Kontakt mit dem Radio. Mit der Kulturplattform Oberösterreich war ich Mitbegründer von Radio FRO, dem Freien Radio in Linz Linz. 1998 kam das Aufbrechen des Rundfunkmonopols, schon ein Jahr später sind dann viele auf Sendung gegangen. Daher feiern 2024 auch die ersten Freien Radios das Jubiläum des Vierteljahrhunderts.
Worauf ich aber wirklich stolz bin, ist ein Projekt, das ich – im Rahmen von Public Netbase – ins Leben gerufen und von 2002 bis 2015 als Projektleiter betreut habe: die Internet-Orientierungshilfe Wahlkabine.at. Das erfolgreiche Instrument der Politischen Bildung funktioniert nur, indem Sie ein enges Austauschverhältnis mit den Parteien haben. Sie entwickeln Fragen und müssen das dann an Parteien zur Beantwortung weitergeben. Aus dieser Zeit habe ich auch heute noch viele Kontakte, die natürlich auch aktuell für die Arbeit viel bringen.
Womit wir bei DORFTV wären.
Dort bin ich 2015 mehr oder weniger hineingestolpert. Ich bin nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Kamerun zufällig auf einen der Betreiber gestoßen, der mich eingeladen hat, bei DORFTV mitzumachen – „wir suchen gerade jemanden so wie dich”. Ich habe mich eigentlich damals nach einer längeren Krankheit noch nicht fit genug gefühlt, war ein Suchender. Es hat aber nur fünf Minuten gedauert, mich zu überreden. DORFTV realisiert ein alternatives, ein selbstbestimmtes Medienverständnis, da müssen Sie auch nicht perfekt sein, sondern vor allem Esprit, Leidenschaft und Ambition mitbringen – und natürlich das notwendige Interesse für kritische Öffentlichkeiten.
Wie man sieht, war der Job für Sie mehr als ein Notausgang …
Das kann man sagen. Heute bin ich Leiter der Politik-Redaktion. Natürlich war es am Anfang sehr schwer, aber da konnte ich eben doch meine Kontakte aus meinen früheren Tätigkeiten einbringen. Heute heißt es, die Gäste kommen zum Wassermair. Es gibt sogar welche, die fragen, ob sie kommen dürfen. So viele Sendungen habe ich gar nicht.
Können Sie Beispiele nennen?
„Wassermair sucht den Notausgang” war meine erste Sendereihe bei DORFTV und die gibt es noch immer. Das ist ein flexibles Format, mehrmals jährlich, zeichnet Porträts und hier sind die verschiedensten Leute zu Gast, sehr entspannt, aber nicht oberflächlich. Was diese Sendung auszeichnet: Es gab bisher in über 40 Sendungen nur Frauen. Das war ursprünglich nicht so intendiert. Aber ich habe daran festgehalten, weil große TV-Anstalten immer monieren, es sei so schwierig, Frauen zu finden. Das stimmt überhaupt nicht. Wenn Sie es ernsthaft angehen, finden Sie hunderte Frauen, die unglaublich viel zu sagen haben, so gescheit sind und sich schon durch ihr Kommunikationsverhalten wohltuend unterscheiden. So möchte ich stellvertretend für viele andere die Journalistin Edith Meinhart, die ehemalige Politikerin Heide Schmidt, die Schriftstellerin Gertraud Klemm oder die Philosophin Isolde Charim nennen.
Aber natürlich möchte ich auch auf mein Königsformat „Der Stachel im Fleisch”, hinweisen. Auch da setze ich mich im Rahmen von Studiodiskussionen mit Themen wie etwa jüngst „Politik und Meinungsfreiheit” auseinander. Also mit politischen Fragen, die für unsere Zukunft – siehe die kommenden Wahlen – ganz fundamental sind.
Und worin unterscheiden Sie sich von anderen TV-Sendern, die hier ja auch ein breites Angebot liefern?
DORFTV will natürlich anders sein. Wie schaffen wir das? Wir wollen nicht „more of the same” produzieren, sondern hauptsächlich der politischen Diskussion mehr Raum geben. Meine Formate haben 50 Minuten plus, 60 Minuten, ganze zwei Stunden. Wir reproduzieren nicht einfach, was die Menschen ohnehin permanent sehen, sondern konzentrieren uns sehr themenfokussiert darauf: Wer hat was zu sagen? Da geht es nicht darum, die großen Namen zu haben, sondern eher Leute, die Sichtbarkeit brauchen, die gehört werden sollen, die beispielsweise hochspannende politische Lösungsansätze verfolgen – und die einfach auf die Agenda müssen.
Was uns auch unterscheidet: Wir sind nicht quotengetrieben. Ich habe daher auch nichts zu Lena Schilling gemacht, das haben eh alle anderen. Das ist ein Vorteil des nicht kommerziellen Rundfunks. Wir müssen schon per Gesetz anders sein, bei DORFTV ist Werbung verboten. Wir bekommen Geld aus der Rundfunkförderung, da gibt es einen eigenen nicht kommerziellen Rundfunkfonds. Die Ausstattung ist allerdings bescheiden. 17 Radio- und TV-Sender bekommen aus diesem Topf insgesamt gerade einmal 6,25 Mio. Euro.
Das heißt, Sie müssen Ihre Kräfte bündeln …
Ja. Aber das heißt nicht, dass wir uns inhaltlich keine ambitionierten Zielsetzungen geben können. Ich sehe das gerade in Oberösterreich. Es gibt auch ein Leben jenseits der Großstadt. Wir brauchen kritische Öffentlichkeiten. Und da ist natürlich DORFTV auch ein Medium dafür. Wo wird denn über Menschenrechte verhandelt? Wo wird denn darüber gesprochen, dass wir ein Bildungssystem haben, das Menschen eigentlich überhaupt nicht im Sinn eines aufgeklärten Wesens in die Gesellschaft führt? Oder zur Pressefreiheit: Was heißt das eigentlich, wenn Menschen in der Politik Informationsleistungen verweigern? Es gibt so viele Missstände, da braucht es niederschwellige Aufklärung.
Es gibt natürlich Medien, die darüber berichten, aber vieles ist kurzatmig und bleibt in der Etappe stecken. Ich versuche dran zu bleiben. Höflich, aber konsequent. Meine Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner können sich darauf verlassen, dass ich sie nicht „anrotze”, aber um wichtige Fragen keinen Umweg mache. Wobei: über mangelndes Feedback in der lokalen Bevölkerung können wir uns nicht beklagen …
Welche konkreten Pläne gibt es für die nächste Zeit?
Der erste ist nicht nur aktuell, sondern auch ein großer Wurf. Es gibt ja drei nicht kommerzielle TV-Sender in Österreich. Das sind DORFTV in Oberösterreich, OKTO in Wien sowie FS1 in Salzburg. Gesetzlich sind sie gleich definiert, aber wir sind sehr unterschiedlich in der Philosophie. Zum ersten Mal in der Geschichte des nicht kommerziellen Rundfunks machen alle drei TV-Stationen ein gemeinsames bundesweites Politikformat. Das nennt sich „Das Dreieck – Politik und Debatte im Community-TV”. Ich bin sozusagen der Chefredakteur und der Hauptmoderator mit wechselnden Co-Moderatorinnen und -Moderatoren. Es gibt dieses Jahr anlässlich der NR-Wahl fünf Sendungen. Drei im Vorfeld, dann die Berichterstattung aus dem Pressezentrum am 29. September, die ich mit meiner jungen Kollegin Natalija Traxler von FS1 gemeinsam mache. Und in Folge gibt es noch eine Sendung zur Nachbetrachtung. Das ist ein ganz, ganz großes Ding. Weil wir können Unabhängigkeit garantieren – und gemeinsam immerhin 1,2 Millionen Empfangshaushalte erreichen.
Natürlich verlangt uns das unheimlich viel ab. Es gibt keine finanziellen Mittel dafür und wir wissen nicht einmal, wie wir die Studio-Deko finanzieren können. Aber wir werden es schaffen. Und ich kann nur sagen: Sehen Sie sich das an!