Bunte Stoffe mit eingewebten Logos oder politischen Botschaften: Was in Europa wie eine irrwitzige Fashion-Utopie erscheint, ist in Afrika lange Realität. Doch was bedeuten die textilen Zeichen?
Noch vor Tagesanbruch wiegt die Aufgeregtheit mehr als jede Müdigkeit. Der allererste Bus sollte es sein, für den Fall, dass während der Fahrt etwas Unvorhergesehenes passiert. Als Treffpunkt dient den Frühaufsteherinnen die vom Zentrum etwas abgelegene Weggabelung, die die kleine Gemeinde Nkometou über eine Schnellstraße mit Kameruns Hauptstadt verbindet. Schon wenige Minuten später macht hier ein klappriger Kleintransporter halt, um die fröhliche Reisegruppe aufzulesen.
Den Entschluss, gemeinsam den Weg nach Yaoundé anzutreten, haben sie am Tag zuvor ganz spontan gefasst. Seit einem Jahr treffen sich die zwölf Frauen aus Nkometou am letzten Sonntag eines Monats zur sogenannten “Cotisation”, einem Mikrofinanzsystem, das die Abhängigkeit von den Ehemännern als Alleinunterhalter der Familie spürbar erträglicher gestaltet. Bei jedem Treffen legen die Teilnehmerinnen je 15.000 Fcfa (ca. 20 Euro) in den Topf. Am Ende des ausgelassenen Nachmittags und nach jeder Menge Bier wird der Gesamtbetrag im Rotationsverfahren an eine bereits zu Jahresbeginn festgelegte Frau ausgeschüttet. Diese etwas andere Form des Sparvereins – mittlerweile in gesamt Subsahara-Afrika sehr beliebt – bietet die Möglichkeit, persönliche Anschaffungen zu tätigen, für die niemand Rede und Antwort stehen muss. Und nun sahen die Frauen den Zeitpunkt gekommen, dem neuen Selbstbewusstsein durch ein unverkennbares Branding kollektiven Ausdruck zu verleihen: durch einen gemeinsamen Stoff, der zu kunstvollen Kleidern im Gemeinschaftslook gefertigt wird.
In der großen Verkaufshalle von Läking, der Topadresse für Textilien in Yaoundé, haben die Frauen endlich ihr Ziel erreicht. Nach eineinhalb Stunden intensiver Suche und einer überaus emotionalen Diskussion ist dann auch der Stoff gefunden, der die eine unabersehbare Botschaft im alltäglichen Miteinander aussenden soll: Ab sofort nehmen die zwölf Frauen einen gesellschaftlichen Platz in Anspruch, der nicht zu übersehen ist. Sie bringen zum Ausdruck: Wir organisieren uns, wir artikulieren unsere Probleme, wir wollen nicht von den Männern abhängig sein und schaffen uns Freiheiten.
Der Stellenwert der Stoffe für die Positionierung von Frauen in Kamerun darf nicht alleine am finanziellen Aufwand abgelesen werden. Fünf Laufmeter sind für durchschnittlich 10.000 Fcfa (ca. 15 Euro) zu haben, weshalb ein Einkauf nur für jene machbar ist, die – der gesetzliche Mindestlohn liegt in Kamerun bei 28.000 Fcfa – über ein gutes Einkommen verfügen. Die Kleider beschränken sich nicht bloß auf die Funktion der Bekleidung, sondern schöpfen ihre Bedeutung aus der Komposition von Farben, Mustern und Schnitten mit oft raffinierten Variationen im Spannungsfeld von Moderne und Tradition. Sie bilden Interfaces zur Welt, in der die Frauen leben, textile Schnittstellen, die Zusammengehörigkeit und Solidargefühl ebenso zu verstehen geben können wie distinktive Eigenwilligkeit.
Stoffe mit einer gewieften Kombination aus Bildern, Zeichen und Farben zu einem semiotischen Gesamtkunstwerk zu verfeinern, hat in Kamerun eine Jahrhunderte lange Tradition, die sich oft nur mit einem sehr weitreichenden kulturellen Verständnis entschlüsseln lässt. Noch vor einer Generation war die Produktion eine nachvollziehbare Verfahrenskette. Die Baumwolle stammte aus heimischer Ernte, wurde in kollektiven Werkstätten lokal verwoben und von Hand gefärbt. Die Globalisierung hat das mittlerweile komplett auf den Kopf gestellt. Die geheimnisvollen Muster und Botschaften werden von Firmenlogos und Insignien aus Politik und Entertainment abgelöst. Und kaum jemand interessiert sich dafür, dass viele der Textilien unter hochprekären Bedingungen in Indien oder China über das Fließband laufen – für einen afrikanischen Markt, auf dem auch Angebote aus Holland, England und dem österreichischen Vorarlberg anzutreffen sind. Noch kann sich Cicam, der größte Baumwollverarbeitungsbetrieb in Kamerun, gegenüber der Konkurrenz behaupten. Aber der internationale Preisdruck führt zu Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen in den Fabriken, wo Sozialleistungen und Lohnsicherheit den meist weiblichen Arbeiterinnen immer öfter vorenthalten werden.
Ein widersprüchliches Bild vom Zusammenprall globalisierter Produktionsverhältnisse mit der für afrikanische Kulturen signifikanten Farbenpracht bietet auch der Internationale Frauentag. Am 8. März marschieren jedes Jahr gestylte Vertreterinnen fast aller Organisationen, Verbände und Unternehmen im Paradeschritt an den mit den Spitzen aus Politik, Militär und Wirtschaft gefüllten Ehrentribünen vorbei. Tatsächlich hat man an höchster Stelle die Wirkung der textilen Interfaces im öffentlichen Raum schon früh erkannt. Die Regierung lädt regelmäßig zu einem Wettbewerb, in dem ein landesweit einheitliches Design ermittelt und prämiert wird. Das fein gewobene Ergebnis erreicht schließlich selbst die entlegensten Regionen, wo flinke Hände die Tücher an Nähmaschinen zu einem kreativen Massenphänomen vollenden. Der Politik ist aber auch bewusst, dass die Stoffe für viele noch immer Mangelware sind. Wenn also das Konterfei des lächelnden Präsidenten Paul Biya auf Hemden, Röcken und Kopfbedeckung die Blicke auf sich zieht, dann ist diese Motivwahl nicht unbedingt bereitwilliger Ausdruck der Propaganda, sondern das Resultat einer politischen Instrumentalisierung, die sich mit kostenlosen Ausgaben des Stoffes die Armut zunutze macht.
Im Norden des Landes ist die Situation noch schwieriger. In den oft schwer zugänglichen Dürregebieten des Sahel überwiegt noch immer ein traditioneller Kodex, der vor allem junge Frauen in ein rechtliches Vakuum drängt. Die schillerndsten Farben der mit Stolz getragenen Kleider können nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit der Zwangsverheiratung von zwölf- bis 14-jährigen Mädchen brutale Gewalt in den Dorfgemeinschaften allgegenwärtig ist.
Wer also vom Anblick der Stoffe in den Bann gezogen ist, sollte auch dafür Interesse zeigen, was sich aus der Ikonographie und der Entstehungsgeschichte erfahren lässt. Eine Verklärung wird der Tatsache nicht gerecht, dass sich an den textilen Schnittstellen eine Vielzahl von Schicksalen widerspiegelt. Die Frauen von Nkometou haben sich damit selbst und ihren Nöten zu neuer Sichtbarkeit verholfen. Die uniforme Bekleidung war das schillernde Vehikel. Keine Frage also, dass die nächste Fahrt nach Yaoundé bereits in Planung ist.