Ende 2018 wurde Kamerun die Ausrichtung des Afrika-Cup 2019 entzogen. Blutige Konflikte im Landesinneren und mangelhafte Fortschritte der Baumaßnahmen führten zu der Entscheidung, die zugleich Realitäten einer von Krisen gebeutelten Gesellschaft offenlegt.
Was für ein Wechselbad der Gefühle. Am 28. April 2019 stieg der Lärmpegel der Jubelgesänge und hupenden Fahrzeuge in den großen Städten wieder einmal merklich an. Die “Kleinen Löwen”, wie Kameruns Nachwuchsnationalteams genannt werden, hatten an diesem Tag in Daressalam im Finale des U17-Afrika-Cup im Elfmeterschießen über Guinea gesiegt und versetzten das Land in einen so lange herbeigesehnten Freudentaumel.
Die Begeisterung wirkte wie eine Droge, die den Unmut und die Beschwerlichkeiten des Alltags für einen kurzen Augenblick vergessen ließ. Doch bald kehrten die aktuellen Probleme wieder zurück ins Bewusstsein. Kamerun steckt seit dem 30. November 2018 in einem Fiasko. Damals hatte der Kontinentalverband CAF erklärt, dass dem Land die Ausrichtung des Afrika-Cup 2019 – es wäre der zweite nach 1972 gewesen – nach reiflicher Überlegung wieder entzogen wird. Die Entscheidung hat eine alte Wunde weit aufgerissen, der zentralafrikanische Staat und seine Menschen fühlen sich seit Jahrzehnten in einer zunehmend beunruhigenden Aussichtslosigkeit gefangen.
Verzögerungen am Bau
Doch wie ist das zu erklären? In Kamerun genießt Fußball einen nahezu religiösen Stellenwert. Er wird, schrieb Bea Vidacs 2010 in ihrem Buch “Visions of a Better World”, “als Möglichkeit gesehen, Grenzen zu durchbrechen und den Verlauf der Geschichte auf den Kopf zu stellen”. Vor allem seit dem WM-Erfolg 1990 paart sich in der “Wiege der Ahnen” – wie sich das Land in der Nationalhymne bezeichnet – ein Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber den Obrigkeiten mit einer Vorstellung von Stärke, die auch einem kleinen afrikanischen Staat zum Sieg über die Allergrößten verhelfen kann. Kamerun erlebt jedoch seit geraumer Zeit in den zwei englischsprachigen und traditionell benachteiligten Regionen bewaffnete Aufstände gegen die frankophone Zentralregierung, die den nationalen Zusammenhalt schwer belasten. Umso größer war die Hoffnung, dass mit dem Afrika-Cup die internationale Aufmerksamkeit auf einen stolzen und infrastrukturell aufgemöbelten Austragungsort gerichtet sein würde.
Die Stimmung liegt also am Boden – und wird von Ratlosigkeit und Wut beherrscht. Dabei darf der Entschluss, den CAF-Präsident Ahmad Ahmad der Weltöffentlichkeit überbrachte, gar nicht so sehr überraschen. Obwohl der Staat rund 1,5 Milliarden Euro in den Ausbau der Stadien investierte, war bis zuletzt nicht zu übersehen, dass sich eine zeitgerechte Fertigstellung vor Turnierbeginn nicht machen lassen würde. Das Stade Roumde-Adjia in Garoua im Norden Kameruns sorgte etwa schon lange für Beunruhigung. Die Anlage sollte rundum saniert werden – vom Ausbau der Sitzreihen bis zur Errichtung eines Trainingsplatzes, medizinischer Versorgungszentren und dem Anlass angemessener Unterkünfte. Die lokalen Behörden forderten für die Fertigstellung eine deutliche Aufstockung der Arbeitskräfte, fanden damit an höchster Stelle jedoch kein Gehör. Ähnliches trifft auf die Stadien in Bafoussam und Douala ebenso zu wie auf den Bau des Stade Olembe in der Hauptstadt Yaounde. An diesem Beispiel entzündeten sich die Meinungsverschiedenheiten besonders stark, weil der Auftrag der italienischen Firma Piccini zugesprochen wurde. Zur Zeitersparnis vertraute der Bauriese nicht auf die lokale Produktion der notwendigen Materialien, sondern auf deren Import aus Europa.
Autokratischer Herrscher
Bei ihren Prüfverfahren ließen sich die CAF-Funktionäre von den zögerlichen Fortschritten an den Stadionbaustellen nicht überzeugen. Das Wochenmagazin Jeune Afrique verwies noch im Dezember 2018 auf ein Mitglied des Organisationskomitees des Afrika-Cup, das überaus selbstkritisch schwere Versäumnisse in den eigenen Reihen einzuräumen wusste. Constant Omari, kongolesischer Vizepräsident der CAF, wusste gegenüber der Zeitschrift sogar davon zu berichten, dass die Verantwortlichen sich kaum getroffen hätten. Und auch die Sponsoren blieben offenkundig über lange Zeit im Dunkeln darüber, welche Standorte für den Afrika-Cup überhaupt in Betracht gezogen worden waren.
Im Vordergrund der kritischen Ursachenforschung steht das autoritäre Regime unter Langzeitpräsident Paul Byia. Bereits Anfang Oktober musste die staatliche Finanzmarktkommission mit 229 Millionen Euro zu Hilfe eilen, weil die benötigten Mittel für den Stadionbau seitens des Staates einfach nicht zur Verfügung standen. Allerdings sollte die Intervention nicht in der Öffentlichkeit breitgetreten werden, fand doch im selben Zeitraum die Präsidentschaftswahl statt. Biya konnte die Wahl mit mehr als 71 Prozent der Stimmen gewinnen. Beobachter führten allerdings zahlreiche Unregelmäßigkeiten an, was zu Protesten gegen den autokratischen Herrscher und internationaler Besorgnis führte.
Den Kamerunern wurde mit dem Fiasko rund um den Afrika-Cup 2019 wieder einmal die Aussichtslosigkeit der eigenen Situation vor Augen geführt. Da hilft auch wenig, wenn ein ehemaliger Minister öffentlich dazu aufruft, dass im Kreise der Verantwortlichen endlich Köpfe rollen müssten. Paul Biya zeigt sich von all dem weiterhin unbeeindruckt.
Teamchef Clarence Seedorf kann in Ägypten immerhin auf eine gute Mischung aus Talenten und Routiniers bauen. Zu den Stützen der “Unbezähmbaren Löwen” zählen Ajax-Tormann Andre Onana, Fulham-Mittelfeldspieler Andre-Franck Zambo Anguissa, Marseille-Stürmer Clinton N’Jie und Kapitän Eric Choupo-Moting von Paris Saint-Germain. Sie sollen dafür sorgen, dass die unruhigen Seelen in der Heimat dank eines Titels wieder ihren Frieden finden. Zudem stellte die CAF Kamerun die Austragung des Afrika-Cup für 2021 erneut in Aussicht, sollte sich die Situation bis dahin gebessert haben. Am Veränderungswillen darf es somit auch nicht liegen, da hat der kamerunische Verband zuletzt Entschlussfreude gezeigt – mit dem Wechsel des Trikotherstellers.