Hoffnung auf einen Ausstieg aus der Welt

Die Ausstellung WANDALA bricht mit stereotypen Afrikabildern

Für afrikanische Gemeinschaften, schreibt Achille Mbembe, „deren Geschichte so lange von Demütigung und Erniedrigung geprägt war, bildete das religiöse und künstlerische Schaffen oft die letzte Bastion gegen die Kräfte der Entmenschlichung und des Todes“. Der renommierte Kameruner Politikwissenschaftler zählt zu den wichtigsten Denkern der radikalen Kritik an Kolonialisierung und Sklaverei, deren Tragweite bis weit in die Gegenwart reicht. Achille Mbembe schließt aus den vielen dunklen Nächten der Unterdrückung und des Mordens, dass auch die Kunst dazu beiträgt, „die Hoffnung auf einen Ausstieg aus der Welt, wie sie war und ist, zu nähren, dem Leben zu einer Wiedergeburt zu verhelfen und das Fest fortzuführen“.

Den künstlerischen Ausbruch aus einer Welt, die uns seit Jahrhunderten aus Perspektiven der Kolonialherrschaft überliefert wird, versucht auch die Ausstellung „WANDALA – drama . dream . decolonized!“, die im Linzer OK (Offenes Kulturhaus) noch bis 22. Februar 2026 zu sehen ist. Seit dem Spätherbst 2023 führten die Vorbereitungen nach Namibia, in den Senegal und nach Uganda – ein geografisches Dreieck, das die Weite und Vielgestaltigkeit Afrikas aufspannt. Diese Verschiedenartigkeit findet auch im Projekt ihren Widerhall, denn es entstanden Kooperationen mit zwei Künstlerinnen und einem Künstler unter der Zielsetzung, Zugänge zu schaffen, die hegemonial-europäische Wahrnehmungsmuster zu hinterfragen und zu erweitern.

Namafu Amutse lebt und arbeitet in Windhoek. Die Hauptstadt Namibias ist bis heute von den Spuren der genozidalen Gewalt des deutschen Kaiserreichs und dem Befreiungskampf gegen das von 1960 bis 1989 währende südafrikanische Apartheidregime geprägt. Die Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit verlangt nach einem Bruch in den Erzählweisen des Visuellen – insbesondere, wenn es um die Symboliken der Unterdrückung geht. Amutse präsentiert in ihren Arbeiten eine afrofuturistische Fotografie, die sich durch eine unverwechselbare Handschrift und eine eigenständige Bildsprache auszeichnet. Sie ist in den Bereichen Film, Fotografie und Publizistik tätig und widmet sich vorrangig der Darstellung Schwarzer Körper, die in afrikanische Stoffe gehüllt sind und durch extravagante Brillen, Masken und „Doeks“ (Kopftücher) akzentuiert werden. Häufig portraitiert die Künstlerin Frauen, Kinder und fluid-geschlechtliche Personen, die sie vor sorgfältig ausgewählten Natur- und Kulturlandschaften inszeniert – etwa in der namibischen Wüste oder an bestimmten Küstenabschnitten. Zudem nimmt Amutse in ihren Arbeiten auch kulturelle Objekte aus Aawambo-Traditionen auf, die Teil ihrer eigenen kulturellen Hintergründe sind. Sie sieht darin eine Möglichkeit, afrikanisch Identitäten in vielseitigen Dynamiken zu reflektieren, zu verhandeln und neu zu kodieren. Durch den Einsatz traditioneller namibischer Stoffe wie „Odelela“ entwickelt sie eine Neuinterpretation von „Aawamboness“, die weder zeitlich noch räumlich festgelegt ist, sondern sich in einem ständigen Prozess der Veränderung befindet und die Unvollständigkeit als ästhetisches Prinzip feiert.

Der senegalesische Künstler Mbaye Diop präsentiert eine Reihe von Bildern, auf denen gewöhnliche Menschen zu sehen sind – eingefasst in das Stadtbild Dakars, dessen architektonisches Antlitz zwischen Tradition, fremdherrschaftlichem Erbe und moderner Überbauung zerrissen wirkt. Damit verweist das Werk auf die Geschichte und Gegenwart von Tennis im Senegal, dessen Ursprünge in der Kolonialzeit liegen, als dieser ausschließlich von weißen Männern auf ihnen vorbehaltenen Plätzen gespielt werden durfte. Diese Vergangenheit eines einst elitären Sports verkehrt Diop zu einem widerständigen Narrativ: Er zeigt einfache Leute an öffentlichen Orten der Stadt mit dem Tennisschläger in der Hand – und den Alltag somit in einer Verspieltheit, die zum Nachdenken anregen soll. Der Künstler macht Konflikte erfahrbar, indem er seinen eigenen Körper in seine Widerrede einbezieht. In einer seiner Performances schwingt er wiederholt monoton einen Tennisschläger – eine körperliche Geste, die so lange ausgeführt wird, bis sie fast unerträglich wirkt. Aus dieser scheinbar banalen Handlung entsteht also ein Ausdruck der Erschöpfung, die aus dem fortwährenden Ringen mit gesellschaftlichem Wandel hervorgeht.

Abgerundet wird WANDALA durch Olivia Mary Nantongo, die in ihren Arbeiten Fotografie, Medienkunst, Malerei, Performance und Poesie vereint. Die ugandische Künstlerin nutzt ihren eigenen Körper als Medium – wie eine niemals vollendete Skulptur, auf der sie Spuren hinterlässt, innere Spannungen austrägt und den vielschichtigen Facetten ihrer Feminität nachspürt. Nantongo präsentiert sich dabei nicht als Objekt der Betrachtung, selbst wenn sie auf die traditionsreichen Bildsprachen der Baganda, eines ostafrikanischen Volkes, zurückgreift. Wenn die Künstlerin ihren Körper nicht in afrikanische Stoffe und Farben hüllt, verortet sie ihn innerhalb von Texten. Jede dieser Entscheidungen ist bewusst getroffen und dient dazu, die vielfältigen Ebenen ihrer Erfahrung sichtbar zu machen. Ihre Arbeiten eröffnen nicht nur Einblicke in Ängste, Zweifel und innere Konflikte, sondern auch in die Art und Weise, wie sie ihre Freiheit gestaltet und lebt. Statt sich darzubieten, löst sich Nantongo in eigenwilligen Inszenierungen bisweilen selbst auf. Mit kräftigen Farbsetzungen widersetzt sie sich Gefälligkeitserwartungen, sie verhält sich ungehorsam, fügt sich nicht dem Kanon des Storytellings. Ihr ausdrucksstarkes Werk begibt sich in ein Wechselspiel mit afrikanischen Realitäten, deren vielschichtige Gegensätze und Konflikte in Geschichte, Gegenwart und Zukunft gerade auch durch künstlerische Ausbrüche, wie sie auch Achille Mbembe immer wieder postuliert, produktiv gemacht werden müssen.

„Täglich ist der Westmensch“, kritisiert Okwui Enwezor, „skrupellos dem bösen Blick ausgesetzt, den die Medien auf Afrika werfen“. Der Kurator, Hochschullehrer und von 2011 bis 2018 auch Direktor des Hauses der Kunst in München führt dazu weiter aus: „Ganze Industrien fußen auf dieser gespenstischen Szenerie, die, obwohl Fiktion, fast unmöglich auszumerzen ist. Seit Jahrzehnten zirkuliert das fotografische Imaginäre Afrikas durch das immer gleich paradoxe Repräsentationsfeld: Entweder man zeigt uns prekäre Lebensbedingungen, denen gemäß alle Afrikanerinnen und Afrikaner stets am Rande des Todes schwanken – an jener Grenze, wo es unklar wird, ob man noch Mensch oder schon Tier ist; oder aber wir bekommen Bilder der Erhabenheit der afrikanischen Natur serviert, in der es im Grunde keine Menschen gibt, außer wenn ihr Touristinnen und Touristen oder Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit ihren fetten Geldbörsen und Stipendien auf den Pelz rücken.“

Folgerichtig verweigert auch WANDALA in der Auseinandersetzung mit stereotypen Afrikabildern jeden Kompromiss. Der namibische Performancekünstler und postkoloniale Theoretiker Nashilongweshipwe Mushaandja versteht das Projekt als eine Aneignung des „Afrikanischen Dritten Raums“, in dem sich Kunstschaffende, sei es auf dem Kontinent oder in der Diaspora, spekulativer kartografischer Vorstellungen als Mittel bedienen, um sich in postkolonialen Prekaritäten einen Raum der Selbstermächtigung zu verschaffen. Er erkennt darin Gesten, „die etwas formen wollen. Das müssen keine physisch existierenden Orte im eigentlichen Sinne sein; vielmehr kann es sich dabei um imaginäre, kosmische, unvertraute, unbesiedelte, topologische oder metaphysische Räume handeln“. Die Hoffnung auf einen Ausstieg aus der Welt, wie sie war und sie ist, erfährt durch die Ausstellung eine Konkretisierung, die der Dekolonisierung zu wichtigen Impulsen verhilft, wenn sie sich nicht bloß auf das Kunstfeld beschränkt. Hier ist eben auch Vermittlung gefordert, die nicht zuletzt darüber Auskunft geben muss, wie globale Ausschlussmechanismen den künstlerischen Austausch über Grenzen hinweg behindern und das koloniale Gefüge, das es zu überwinden gilt, seinen repressiven Charakter geradezu geschichtsvergessen immer weiter fortschreibt. So konnte etwa Olivia Mary Nantongo an der Eröffnung im Linzer OK am 16. Oktober 2025 nicht persönlich anwesend sein, weil ihr die österreichischen Behörden das Einreisevisum kurzfristig verweigert hatten.

Literatur:

Enwezor, Okwui: Afropessimismus – Wem nützt er und wie äußert er sich?, in: springerin, Freedom Africa, Sommer 2019.

Mbembe, Achille: Kritik der schwarzen Vernunft, Suhrkamp 2014.

Mushaandja, Nashilongweshipwe: Wandala oder ein Weg zu Afrikas Dritten Räumen, in: springerin, WANDALA – postkoloniale Aushandlungen, Herbst 2025.

Martin Wassermair ist Historiker, Politikwissenschaftler und Publizist; lebte von 2011 bis 2014 in Kamerun und Rwanda; aktuell Leiter der Politikredaktion bei DORFTV in Linz und Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich; für die OÖ. Landes-Kultur GmbH. hat er die Ausstellung „WANDALA – drama . dream . decolonized!“ kuratiert.