Mit Volker Finke hat Kamerun wider alle Erwartungen das WM-Ticket gelöst. Auf dem Weg nach Brasilien muss der deutsche Trainer gegen das Traditionsbewusstsein und die Begehrlichkeiten der mächtigen Eliten kämpfen.
Wenn Kamerun am 13. Juni in der Arena das Dunas von Natal auf Mexiko trifft, wird sich beim Anstimmen der Nationalhymne vermutlich einer auf die Lippen beißen: Kamerun-Trainer Volker Finke hat sich im Mai 2013 einen alles andere als kuscheligen Arbeitsplatz gewählt. Das fußballerische Ansehen des zentralafrikanischen Staats ruht seit dem Aufstieg ins WM-Viertelfinale 1990 mehr auf historischen Mythen als auf tatsächlichen Erfolgen bei internationalen Turnieren. Die Hymne hätte dem Coach aus Deutschland schon bei Dienstantritt erste Hinweise liefern können. Mit “Oh Kamerun, du Wiege unserer Vorfahren” wird mit großem Pathos die Eintracht des multi-ethnischen Staatsgebildes beschworen, das 1960 aus der ehemals deutschen und später französisch-britischen Kolonie hervorgegangen ist.
Allgegenwart der Ehemaligen
Die fußballerischen Vorfahren müssen dabei das Zeitliche noch nicht einmal gesegnet haben, um ihre Allgegenwart zu demonstrieren. Wie kaum ein anderer verkörpert Roger Milla den Einfluss der ehemaligen Stars, die über das Schicksal der “Unbezwingbaren Löwen” mitbestimmen. Der WM-Torjäger von 1990 wurde schon vor Jahren von Staatspräsident Paul Biya zu dessen persönlichen Botschafter und Sonderbeauftragten ernannt. Damit ist vor allem für die Teamchefs nicht daran zu denken, eine Startaufstellung ohne Einwirkung Millas zu erstellen.
Volker Finke, zuvor Sportdirektor beim 1. FC Köln, hat nach seiner Ankunft in Kamerun zunächst das reine Chaos vorgefunden. Neben den wenig befriedigenden Leistungen des Teams, dem zweimaligen Fernbleiben vom Afrika-Cup sowie den Attitüden von Samuel Eto’o hatten vor allem die Missstände innerhalb des Fußballverbandes das Image schwer beschädigt. Nach einer Verurteilung wegen Korruption und Veruntreuung lenkte Langzeitpräsident Mohammed Iya die Geschicke des kamerunischen Verbands Fecafoot aus der Haftanstalt heraus weiter. Die FIFA, der staatliche Einmischung in die Verbandsarbeit in Kamerun schon seit langer Zeit ein Dorn im Auge war, verlor schließlich die Geduld: Die “Löwen” wurden im Juli 2013 von der WM-Qualifikation suspendiert.
Erst die vom Weltverband erzwungene Einsetzung eines Normalisierungskomitees brachte Kamerun wieder zurück ins Spiel. Neben den Gruppengegnern Togo, Libyen und der Demokratischen Republik Kongo musste Finke sich auch der Attacken Roger Millas erwehren. Finke sei inkompetent, polterte er in Interviews, um dann doch noch eines Besseren belehrt zu werden. Der 17. November 2013 brachte die Erlösung, das 4:1 im Relegationsduell mit Tunesien bedeutete das Ticket nach Brasilien.
Für den Deutschen ist der Erfolg weitgehend unbedankt geblieben. Seit Anfang April, also knapp zehn Wochen vor dem WM-Auftakt, steht Volker Finke mehr noch als zuvor unter der engen Manndeckung der Ehemaligen. Joseph Owona, Präsident des Normalisierungskomitees, erklärte, dem Trainer in der entscheidenden Vorbereitungsphase vier große Persönlichkeiten des nationalen Fußballs zur Seite zu stellen. Die verordneten Erinnerungen an den Glanz vergangener Zeiten werden mehr Last als Hilfe sein: Jean Manga Onguene, schon bisher technischer Direktor der Nationalmannschaft, gilt angesichts seiner Zeit beim Klub Canon Sportif de Yaounde bis heute als Legende. Auch Bonaventure Djonkep sorgt für ungebrochene Begeisterung, die vor allem auf seine Erfolge bei Union de Douala zurückzuführen ist. Nicht anders verhält es sich mit Etienne Sockeng, dem ehemaligen Nachwuchsteamchef, und Alexandre Belinga, der den Astres FC de Douala in der vergangenen Saison zum Vizemeistertitel geführt hat.
Begehrlichkeiten der Eliten
“Zwischen der Fecafoot und Volker Finke sind die Messer gezogen”, schreibt der Journalist Rene Mouandjo im Onlinemagazin Mboa Football. Da nützen auch die Beschwichtigungen des Verbands wenig, dass die ominösen Vier zur taktischen Beobachtung der WM-Kontrahenten ausersehen sind und nicht auf der Bank neben dem Trainer Platz nehmen werden. Die Konflikte sitzen tief und lassen erwarten, dass sich die Unstimmigkeiten auch in der Mannschaft bemerkbar machen. Um diese ist auch gleich der nächste Streit entfacht. Der Überlegung Volker Finkes, mit einer Auswahl von 26 Spielern zum Vorbereitungstraining nach Österreich zu reisen und damit den Druck und allfällige Enttäuschungen zu reduzieren, haben die Verantwortlichen im Sportministerium eine deutliche Abfuhr erteilt. Sie verlangen, dass mindestens 30 ihre Koffer packen – vermutlich, um dadurch den durch Regionalstolz begründeten Begehrlichkeiten der Eliten an der Spitze des Staates zu entsprechen.
Volker Finkes Aufgabe, den “Unbezwingbaren Löwen” wieder zu Glanz zu verhelfen, ist keine leichte. Ob ihm mit dem Kader um Samuel Eto’o, Carlos Kameni, Benoit Assou-Ekotto, Alexandre Song und Joel Matip mehr gelingt als 2010 dem glücklosen Vorgänger Paul Le Guen, liegt nur bedingt in seiner Hand. Bis zum Anpfiff der Begegnung mit Mexiko bleibt nicht mehr viel Zeit, um – mit einer kamerunischen Redensart gesprochen – den Schuss wieder auf das Tor auszurichten. Journalist Rene Mouandjo bemüht eine bewährte Tradition, die Hoffnung: “Bei den Löwen ist nichts unmöglich!”