Abseits ihrer Rivalität haben Kamerun und Nigeria ein gemeinsames Ziel: den ersten WM-Titel für Afrika. Das globale Großereignis könnte aber auch die oft vergessenen Probleme des Kontinents ins Bewusstsein rufen – wäre da nicht der Erfolgsdruck, nationale Stärke demonstrieren zu müssen.
Dem jähen Erwachen geht nicht selten ein schöner Traum voraus. In Nigeria hat die nationale Wunschfabrik am späten Abend der CL-Niederlage des FC Barcelona gegen Inter Mailand neuen Schwung genommen. “Bravo Jose Mourinho!”, jubelte der in Lagos ansässige Journalist Lolade Adewuyi. “Lionel Messi wirkt wie ein anonymer kleiner Mann, sobald er vom Zuspiel abgeschnitten ist.” Die Freudenchöre der Medien in dem von ethnischen Unruhen erschütterten Land sollten jedoch schnell wieder verebben. Denn gerade weil die aufgeregten Schlagzeilen den 12. Juni und damit das Aufeinandertreffen mit Argentinien zum D-Day erklärten, an dem mit der Angst vor vermeintlich unbesiegbaren Gegnern Schluss sein muss, erwies sich der Fußball-Jammer plötzlich größer als zuvor.
Nicht wenige Kommentare erinnerten sogleich vorwurfsvoll daran, dass Diego Maradona seinen Kader bereits zu einem Zeitpunkt bekannt geben konnte, als der neue Teamchef der “Super Eagles”, Lars Lagerbäck, noch nicht einmal wirklich zur Vorstellungsrunde angetreten war. Tatsächlich ist schwer nachvollziehbar, warum die Verbandsverantwortlichen den beliebten Shaibu Amodu trotz erfolgreicher WM-Qualifikation vor die Türe setzten. Schon wenige Tage nach der Halbfinal-Niederlage gegen Ghana beim Afrika-Cup in Angola musste der Nigerianer dem Schweden weichen. Viele vermuten dahinter wieder einmal den unsäglichen Einfluss von Politik und Bürokratie, die den Erfolg für ihr Renommee mit aller Gewalt erzwingen wollen.
Unvorbereitete Adler
Für die Fußballbegeisterung des Landes muss es wohl ein Schlag in die Magengrube gewesen sein, als Sportminister Ibrahim Bio aus persönlicher Sorge um die Sicherheit das Hotel in unmittelbarer Nähe der WM-Stadt Durban stornieren ließ, um stattdessen ein Ausweichquartier in Richards Bay für das Team auszuwählen, das die Anstrengung einer zweistündige Anreise zur letzten Gruppenbegegnung gegen Südkorea mit sich bringt. Gleichzeitig mehren sich auch die neidvollen Blicke in Richtung innerafrikanische Konkurrenz. Während sich etwa die Elfenbeinküste im Zuge der Vorbereitungen schon Ende 2009 in einem Freundschaftsspiel mit Deutschland messen durfte, mussten sich die “Super-Adler” vorerst mit der Demokratischen Republik Kongo zufrieden geben. Ende Mai, zwei Wochen vor dem WM-Anpfiff, folgen noch Saudi-Arabien und Kolumbien.
Der ehemalige Internationale Chikelue Iloenyosi ließ an der Nigerian Football Federation kein gutes Haar: “Wer nicht vorbereitet ist, hat bei der Weltmeisterschaft nichts verloren! Es ist eine Schande, dass wir noch kein Team haben, mit dem sich der Trainer ausreichend vertraut gemacht hat.” Auch die öffentliche Besorgnis um die Defensive dürfte den traditionell hohen Erfolgsdruck nicht verringern. Daran ändert selbst der Umstand nichts, dass Lagerbäck mit Rabiu Afolabi von Red Bull Salzburg und Taye Taiwo von Olympique Marseille zuletzt zwei Verteidiger nominiert hat, die in Europa mit ihren Klubs den Meistertitel erringen konnten. Doch das alleine wird zu wenig sein, um den torgefährlichen Lionel Messi noch vor dem eigenen Strafraum zu entschärfen.
Müde Löwen
Misstöne häuften sich im Vorfeld der WM aber auch beim Nachbarn Kamerun. “Diese Équipe ist so genießbar, wie die Kombination von Ziegenfleisch mit dem bitteren Geschmack von Ndolè-Blättern”, ätzten erste Stellungnahmen auf der Online-Plattform Camer-Sport, nachdem der französische Trainer Paul Le Guen seinen Kader für die WM-Endrunde bekannt gegeben hatte. Dass der viermalige Afrika-Cup-Sieger noch einmal mit den “alten Herren” Rigobert Song und Gérémi Njitap auflaufen will, trifft auf wenig Verständnis. Kritik musste der Bretone auch angesichts der vielen “Binationalen” auf der Liste einstecken. Dabei zählen Eric Choupo-Moting, Marcel Ndjeng, Joël Matip und Gaëtan Bong eigentlich zu jenen Aushängeschildern, von denen mit Stolz erzählt wird, dass sie, wie Camer-Sport schreibt, “die sich dem Herkunftsland ihrer Väter oder Mütter zur Verfügung stellen, den ehemaligen Kolonialherren in Frankreich und Deutschland eine lange Nase drehen”.
Um durch Mehrfachverwurzelungen der Spieler nicht allzu große Verunsicherung aufkommen zu lassen, konzentriert sich die Hoffnung umso mehr auf Stars wie Samuel Eto’o und Alexandre Song. Doch auch hier offenbart sich ein afrikanisches Dilemma. Die Exportschlager unter den “unzähmbaren Löwen” nehmen bis kurz vor der WM im europäischen Vereinsfußball an der Jagd nach Pokalen, Siegesprämien und Werbeeinahmen teil. Wenn diese Belastung sogleich von der Erwartung der nationalen Pflichterfüllung abgelöst wird, droht ein plötzlicher Leistungsabfall der Stars bei der WM-Endrunde. Strategische Maßnahmen, einem befürchteten Einbruch der Spieler entgegenzusteuern, werden auch in Kamerun selten ohne politische Einflussnahme getroffen. Noch vor dem freundschaftlichen Remis gegen Italien am 3. März griff Kameruns Sportminister Michel Zoah bis ins technische Personal durch und setzte eigenmächtig einen neuen Tormann-Trainer ein. Ein Schuss vor den Bug von Keeper Idriss Kameni, dem man die acht Tore in nur vier Spielen während des Afrika-Cups 2010 nicht so schnell verzeihen wollte.
Tödliche Moskitos
Bei all dem Hickhack gehen die Stimmen derjenigen beinahe unter, die daran erinnern, dass abseits des Showdowns vor einem Milliardenpublikum die gemeinsamen Probleme der ungleichen Nachbarn den Alltag beherrschen. Nur selten erfährt der afrikanische Kontinent so viel globale Aufmerksamkeit wie in diesem Jahr. Nigerias Torhüter-Legende Emmanuel Babayaro hat die Fußballfestspiele daher schon Wochen vor dem pompösen Auftakt zum Anlass genommen, um mit allem Nachdruck auf eine der Krankheiten aufmerksam zu machen, die zunehmend in Vergessenheit geraten sind: “Die politischen und religiösen Verantwortlichen zeigen zu wenig Einsatz im Kampf gegen die Malaria. Dem großen Sterben ist nur durch ausreichende Medikamente und Moskitonetze Einhalt zu gebieten”, sagte Babayaro. Es bleibt zu hoffen, dass die Appelle des ehemaligen Fußballstars tatsächlich Gehör finden. Denn UN-Prognosen zufolge werden vom 11. Juni bis zum Final-Schlusspfiff in Johannesburg 93.000 afrikanische Kinder der tödlichen Tropenkrankheit zum Opfer gefallen sein.