Zum Aschermittwoch noch ein allerletzter Faschingsscherz. Treffen sich ÖVP-Landeshauptmann Josef Pühringer und sein freiheitlicher Stellvertreter Manfred Haimbuchner vor der Sitzung der oberösterreichischen Landesregierung am WC. “Wissen Sie”, fragt der eine, “wie es dazu kommt, dass sich hierzulande der Rektor einer angesehenen Universität sorgenvoll über die deutsche Identität den Kopf zerbricht?” “Ganz einfach”, gibt der andere zur Antwort, “weil ihn ein paar polternde ‘Österreich ist eine nationale Missgeburt’-Fanatiker um feierliche Worte zur Eröffnung ihres Stelldicheins gebeten haben.”
Der Scherz ist – zugegeben – ausgesprochen schlecht. Doch die Pointen der realen Gegebenheiten machen die Sache um keinen Deut besser. Am Abend des 6. Februar trat Meinhard Lukas, der neue Rektor der Linzer Johannes Kepler Universität, im Kaufmännischen Vereinshaus vor großem Publikum ans Rednerpult. “Mit dem heutigen Geschichtswissen”, so belehrte er die Gäste des – aus Gründen der Demokratieunverträglichkeit zu Recht umstrittenen – Burschenbundballs, “lässt sich die deutsche Identität weder völkisch, noch national, noch staatlich definieren, sondern nur durch die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Kultur und zu einer gemeinsamen geschichtlichen Tradition”.
Klingt nach einer mutigen und klugen Ansage – ist es aber nicht! Darüber täuschen auch die Ausführungen nicht hinweg, die offenkundig mit Überlegung und Feingefühl gewählt sein sollten – vermutlich vor dem Hintergrund, dass bereits im Vorfeld des fragwürdigen Auftritts zum Teil heftige Kritik an das Rektorat herangetragen worden war. Und auch das Bemühen um eine – in der Rede mehrmals beschworene – Pluralität sowie der Appell an ein kritisches Geschichtsbewusstsein schienen darauf abzuzielen, die wochenlangen Proteste so gut wie möglich zu beschwichtigen.
Dafür musste dann auch Richard von Weizsäcker den Kopf hinhalten. “Es ist die Verantwortung der nationalen Studentenverbindungen”, so Meinhard Lukas in akrobatischer Interpretation des vor genau einem Jahr verstorbenen und ehemaligen Bundespräsidenten Deutschlands zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung, “den Begriffen Ehre, Freiheit und Vaterland im 21. Jahrhundert einen Inhalt zu geben, der zukunftsgerichtet und – bei allem Bekenntnis zu den kulturellen und historischen Wurzeln – weltoffen und europäisch ist. Eine solche Haltung trifft sich mit den Idealen unserer Universität”.
Hier offenbarten sich ganz erstaunliche Bekenntnisse – wie in einem rechtsextremen Wunderland. Schon in der von Lewis Carroll im 19. Jahrhundert geschaffenen Figur der “Alice in Wonderland” spiegelte sich auf phantastische Weise die Unzuverlässigkeit von Logik und Rationalität in der Unzuverlässigkeit von Sprache und Kommunikation wider. Ungeachtet der couragierten Konfrontation mit dem Wunderland bleiben in dieser literarischen Welt die Begegnungen stets zum Scheitern verurteilt, weil Alice nie die richtigen Worte zu finden scheint. Am Burschenbundball hat es sich – und anders ist die Intervention des Rektors nicht einzuordnen – ganz offensichtlich ähnlich zugetragen.
Denn wer sich vor Schmissgesichtern von einer völkischen Deutung der deutschen Identität distanziert, um noch im gleichen Atemzug die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen deutschen Kultur ins Treffen zu führen, verstrickt sich heillos im Gewirr der Widersprüche – und opfert dafür die eigene Glaubwürdigkeit.
Es ist zu hoffen, dass Meinhard Lukas die wohl wichtigste Erkenntnis aus der Geschichte des vergangenen Jahrhunderts im Hinblick auf die Wissensvermittlung an der eigenen Universität nicht verborgen bleibt. Denn das von ihm angesprochene kritische Geschichtsbewusstsein kommt nicht durch ein – und sei es ein noch so zeitgemäßes – Wiederkäuen herrschaftlicher sowie national und kulturell codierter Erzählungen zum Ausdruck, sondern nur durch ein entschlossenes Aufbäumen gegen jede Form des historiographischen Missbrauchs zur Legitimation anti-demokratischer und anti-egalitärer Gesinnungen.
“Die Geschichte”, schrieb schon Friedrich Nietzsche, “gehört vor allem dem Tätigen und Mächtigen, dem, der einen großen Kampf kämpft, der Vorbilder, Lehrer, Tröster braucht und sie unter seinen Genossen und in der Gegenwart nicht zu finden vermag.” Mit der Ehrerweisung vor dem Burschenbundball wurde dem Rektor der Johannes Kepler Universität vielleicht die einflussreiche Gunst rechtsextremer Kreise zuteil. Der Geschichte hat er sich damit dennoch nicht bemächtigt – und der Gegenwart vor allem auch keinen ruhmreichen Dienst erwiesen. Meinhard Lukas sollte seinen Trost unter Genossen in Zukunft woanders suchen – und an solchen Samstagabenden besser zu Hause bleiben.