Wer Afrika retten will, muss Europa radikal verändern!

Ein Kommentar zu Realitäten und Widersprüchen in der Bekämpfung von Fluchtursachen

Österreichs Außenminister Sebastian Kurz hielt sich in den vergangenen Tagen in Äthiopien auf, um sich vor Ort einen Eindruck von der schwierigen Lage der Menschen zu machen. Nähere Details waren davon nicht zu erfahren, obwohl die Vereinten Nationen bereits vor drohenden Hungerkatastrophen warnen. Nur der Boulevard weiß es wieder einmal ganz genau: “Millionen Flüchtlinge”, wird massenhaft getitelt, “sind in den kommenden Jahren aus Afrika zu befürchten”.

Mit der Furcht vor Afrika lässt sich hierzulande vortrefflich Politik machen. Und auch der Mann, der uns seit Generationen Politik und Zeitläufte in Österreich erklärt, hat gründlich darüber nachgedacht. Mit seinem aktuellen Buch “Aufregend war es immer” blickt auch Hugo Portisch sorgenvoll in die Zukunft und stellt klar: “Wer Europa retten will, muss Afrika retten!”

Bei allem Respekt – aber Hugo Portisch irrt gewaltig! Tatsächlich ist es so, dass bis September 2015 insgesamt 140.000 Menschen aus Afrika den europäischen Kontinent erreichen konnten, um hier vor Krieg, Elend und Zerstörung der Umwelt Zuflucht zu finden. Nicht mitgezählt sind die vielen Menschen, die auf ihrem verzweifelten Weg dramatisch ums Leben gekommen sind.

Noch im November wurde auf Malta zu einem EU-Afrika-Gipfel geladen, mit dem vorrangigen Ziel, die Entwicklungsgelder erneut aufzustocken und die Fluchtursachen in den Herkunftsländern auf lange Sicht einzudämmen. Denn Europa weiß genau: Die bewaffneten Konflikte in Syrien, Irak und Afghanistan werden in absehbarer Zeit eine Lösung finden, nicht aber die komplexe Vielzahl der Probleme auf dem afrikanischen Kontinent.

Jedenfalls ist höchste Vorsicht geboten, wenn die EU Anstrengungen unternimmt, um in fernen Weltregionen Fluchtursachen zu bekämpfen. Wussten Sie etwa, dass Österreich unter genau dieser Prämisse im Jahr 2015 gleich zwei Mal in den Krieg gezogen ist? Rot-weiß-rote Soldaten stehen seit Monaten den Regierungstruppen in Mali und der Zentralafrikanischen Republik beim bewaffneten Kampf in undurchsichtigen Bürgerkriegen zur Seite, wobei völlig offen bleibt, wie eine Allianz mit illegitim an die Macht gelangten Putsch-Regimen glaubwürdig Frieden schaffen kann.

Der soziale Zusammenhalt afrikanischer Gesellschaften wird auch dadurch nachhaltig zerstört, indem nicht zuletzt europäische Unternehmen Jahr für Jahr den staatlichen Behörden südlich der Sahara durch Steuerhinterziehung, Steuertricks und Steuervermeidung Milliarden Euro vorenthalten. Mit diesen Beträgen ließen sich gigantische Lücken etwa in der Finanzierung der Gesundheitssysteme unverzüglich schließen.

Wofür sich in Österreich ebenfalls kaum jemand interessiert, ist die Tatsache, dass der Friedensfonds der Afrikanischen Union, die sogenannte African Peace Facility, mit dessen Geldern die EU supranationale afrikanische Militäreinsätze zur Friedenssicherung unterstützt, bereits ab 2017 pleite zu gehen droht. Bis heute verweigert  die konservative Mehrheit im EU-Parlament, finanzielle Mittel der Entwicklungshilfe auch den Maßnahmen zur Friedenserhaltung zur Verfügung zu stellen.

Da konzentriert sich das neoliberale Paradigma der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft viel eher auf das gute Geschäft mit Diktaturen und ihre gefügige Einwilligung zu – von der EU diktierten –  Handelsabkommen. Als im Oktober 2011 im Zuge der Präsidentschaftswahl in Kamerun eine biometrische Registrierung eine neue Ordnung in die zuvor völlig chaotische Wählerevidenz bringen sollte, kam die dafür erforderliche Technologie aus Deutschland. Großteils kostengünstigere Angebote aus afrikanischen Entwicklungslaboratorien wurden der Profitgier geopfert – die Chancen zur Förderung eigener Potentiale damit ganz bewusst verspielt.

Womit wir bei der einen Frage sind: Wie hält es Europa tatsächlich mit der Entwicklungspolitik? Seit 1960 sind fast 5.000 Milliarden Dollar öffentlicher Entwicklungshilfe in die südlichen Hemisphären geflossen. Für Afrika gibt es keine stichhaltigen Ansatzpunkte, dass damit Wachstum und Demokratie nachhaltig in Gang gesetzt werden konnten. Manche Staaten ziehen aus dieser Einsicht bereits die Konsequenz. So hat Kenia vor wenigen Wochen erklärt, keine Importe aus den europäischen Altkleidersammlungen mehr zuzulassen. Dahinter stecken, so die Begründung, ja doch nur kriminelle Machenschaften – und die lokale Textilproduktion, ein wichtiger Faktor der ökonomischen Entwicklung, werde dadurch lediglich ruiniert.

Zimbabwes zweifelhafter Staatspräsident Robert Mugabe ist in dieser Woche bei einem Treffen der Afrikanischen Union dadurch aufgefallen, dass er seinen für ihn typischen Auftritt mal wieder dafür nutzte, gegen NGOs und internationale Entwicklungsorganisationen gehässig zu Felde zu ziehen. Sie alle, so ließ er die Versammlung wissen, seien Büttel und Erfüllungsgehilfen der Kolonialgelüste Europas. Was Mugabe verschweigt – sein oftmals verrücktes Wirken selbst ist letztlich auch nur Ausdruck der postkolonialen Verhältnisse.

Aber wie auch immer: Wer Fluchtursachen in Afrika bekämpfen will – und die Menschen südlich der Sahara sind die allerersten, die die Gründe der Fluchtnotwendigkeiten beseitigt wissen wollen -, sollte zunächst die Realitäten und Widersprüche in der Politik ganz genau unter die Lupe nehmen.

Denn wer Afrika retten will, muss Europa radikal verändern!