Yaya Toure, Didier Drogba und Samuel Eto’o spielen in den internationalen Ligen auf Augenhöhe mit Superstars wie Lionel Messi und Cristiano Ronaldo. Doch warum profitiert Afrikas Fußball so wenig von seinen Ausnahmekickern? Hinweise darauf finden sich an der Basis im Norden Kameruns.
Die Küken, wie die Jüngsten hier genannt werden, beweisen jede Woche beim Training ihre Unerschrockenheit. Im Alter von sechs bis acht Jahren legen sie mit dem Sonnenaufgang eine oft kilometerlange Wegstrecke zurück, um auf dem von faustgroßen Steinen übersäten Sandplatz irgendwann den Treffer ihres Lebens zu erzielen. Maroua, die Hauptstadt von Kameruns nördlichster Region Extreme-Nord, liegt im Hochofen des Sahel und spiegelt das Missverhältnis von Traum und Wirklichkeit im afrikanischen Fußball wider. Auch wenn sie vielleicht nicht einmal näher darüber Bescheid wissen, bereits die Kleinsten versuchen hier immer wieder, einen übermächtigen Gegner zu überdribbeln – den Mangel. Ihnen fehlt es an Toren, Schuhen, Infrastruktur und einer Perspektive.
Chaos und Misswirtschaft
Kameruns Fußballnachwuchs blickt in eine Zukunft, der die Gegenwart zunehmend abhanden kommt. Im entlegenen Maroua kennt man die Schwierigkeiten besser als anderswo. Hier gilt Hamadou Ousmanou als eine überaus geschäftige Persönlichkeit. Doch die Ratlosigkeit lässt auch den Präsidenten des Olympic FC allmählich verzweifeln. “Alleine das Jahr 2012 hat uns die Misere unerbittlich vor Augen geführt”, sagt er.
Sein 2002 gegründeter Klub spielt in der regionalen Zweiten Division. Der Saisonstart verlief dieses Jahr besonders ungünstig, da ein Großteil der Vereine die für eine Lizenz erforderlichen Mittel nicht nachweisen konnte. Das sollte eigentlich nicht überraschen, denn ein Match garantiert schon alleine deshalb Spannung, weil selten klar ist, ob der Gegner die mit klapprigen Bussen zu bewältigende Anreise überhaupt finanzieren kann. Der nationale Verband drohte dennoch mit dem Aussetzen des Spielbetriebs. Erst nach langen Verhandlungen konnte eine Einigung erzielt werden. Doch es war eine zu späte Lösung, der Meisterschaftsstart fiel bereits in die Regenzeit. Die über Jahrzehnte vernachlässigten Austragungsorte verwandelten sich in unbespielbare Schlammäcker, erneute Absagen und Verzögerungen folgten. “Die Verantwortung liegt an allerhöchster Stelle”, sagt Ousmanou. “Das Chaos und die Misswirtschaft, die auch unsere einst so stolze Nationalmannschaft immer tiefer in den Ruin treiben, haben an der Basis längst Folgen von unerträglichem Ausmaß.”
Simon Lyonga, Sportreporter des staatlichen Rundfunks, sieht die Verantwortung gleichermaßen bei der Regierung und dem Fußballverband, die an keiner Veränderung interessiert seien. Am Geld alleine könne es jedenfalls nicht scheitern. “2010 hat Kamerun 800.000 Dollar für die WM-Teilnahme in Südafrika bekommen”, sagt Lyonga. “Über die Verwendung der Gelder kann man nur spekulieren.” Sicher ist, dass internationale Wettkampfprämien nicht wie angekündigt dem Ausbau und Unterhalt der Infrastruktur zugutegekommen sind. Der Olympic FC etwa hat 2011 nur 200.000 CFA-Franc (rund 300 Euro) für den Vereinsbetrieb erhalten – rückwirkend für die Jahre 2009 und 2010. Stattdessen greift die Korruption auch in den untersten Spielklassen um sich. Nach der Begegnung Olympics mit Ziver Mokolo wurde der Schiedsrichter der Bestechung überführt. Eine Anzeige beim nationalen Fußballverband blieb allerdings folgenlos, nachdem Vereinspräsident und Regionalsekretär den Vorfall unter sich geregelt hatten. Angesichts derartiger Absprachen taucht in den Medien immer öfter der Begriff “Mafia” auf.
Ausweg Flucht
In Maroua herrscht aufgrund der katastrophalen Zustände wenig Verwunderung darüber, dass bei den Olympischen Spielen 2012 in London sieben Mitglieder der kamerunischen Delegation verschwunden sind. Neben fünf Boxern und einem Schwimmer hat sich auch Ersatztorfrau Drusille Ngako seither nicht mehr blicken lassen. An Fußball als Fluchtgrund wird man sich angesichts der Trostlosigkeit gewöhnen müssen. Das Einkommen eines Profifußballers beläuft sich hier auf durchschnittlich 20 Euro im Monat, viele müssen sich überhaupt mit symbolischen Gesten zufriedengeben.
Einen etwas weniger radikalen Ausstieg schließt auch der Präsident des Olympic FC nicht mehr aus. Ousmanou spielt mit dem Gedanken, mit seinem Klub den Fußballverband zu verlassen und der jungen Mannschaft durch eine Vermittlung außerhalb der Regionalliga zu einer besseren Zukunft zu verhelfen. “Wir haben einen Plan für landesweite Freundschaftsspiele ausgearbeitet und hoffen, dass unsere Talente vielleicht eines Tages mit einem Vertrag bei Canon Yaounde oder Cotonsport Garoua die verdiente Anerkennung finden”, sagt Ousmanou. “Mehr können wir nicht mehr tun.”
Marouas Küken bleiben unterdessen unerschrocken. In den Replika-Dressen ihrer großen Idole nehmen sie Woche für Woche auch jede Strafe in Kauf. Beim ersten Training nach Schulbeginn verweigerte der Coach einer kleinen Gruppe die Teilnahme kurzerhand. Die Burschen hatten für den Ankauf des dringend benötigten Balls keine Münze von zu Hause mitgebracht. Vielleicht ist es Yaya Toure, Didier Drogba und Samuel Eto’o in den Anfängen ihrer Karriere ebenso ergangen.