Was können das Internet und die Sozialen Medien in Staaten bewirken, die von der Teilnahme an der globalen Wirtschaft weitgehend ausgeschlossen sind? Wie verändern sie beispielsweise Gesellschaften in Afrika, die durch autoritäre Regime unterdrückt werden? Kann ein Land wie Kamerun von der Digitalisierung selbst profitieren oder gewinnen nur die IT-Riesen? Medienaktivist Martin Wassermair, der zur Zeit für das “World-Information Institute” in Kamerun arbeitet, geht diesen Fragen nach.
Damals ging es durch alle Medien: Mindestens 140 Tote in Yaoundé und Douala. Vor allem jugendliche Demonstranten gingen im Februar 2008 auf die Straßen, um gegen Preistreiberei, Korruption und Perspektivlosigkeit zu demonstrieren. Doch sie hatten nicht mit der Bereitschaft der Regierenden gerechnet, jedes Aufbegehren blutig niederzuschlagen.
Seit 1982 wird die in Zentralafrika gelegene Präsidialrepublik Kamerun von einem Mann regiert: Paul Biya. Der seit 30 Jahren amtierende 78-jährige Biya brachte moderate demokratische Reformen ins Land, darunter das Mehrparteiensystem. Bei Amtsantritt feierte ihn das Volk als den “Erneuerer”, Biya war der große Hoffnungsträger nach den Jahren der autoritären Herrschaft seines Vorgänger Ahmadou Ahidjo. 2008 jedoch verschaffte Biya sich einen persönlichen Vorteil, indem er die Amtszeitbeschränkung des Kameruner Präsidenten aushebelte. Viele Anhänger waren enttäuscht. Auch das trieb die Menschen damals im Februar dazu, auf die Straßen zu gehen.
Die Kameruner Präsidentschaftswahlen am 9. Oktober 2011 wurden mit Spannung erwartet, Korrespondenten erhofften sich dieses Mal eine demokratische Wahl, frei von Manipulationen. Die Ergebnisse belehrten sie eines Besseren: 77 Prozent der Stimmen fielen an Biyas Partei RDPC – sein wichtigster Konkurrent in der Opposition, Ni John Fru Ndi von der sozialdemokratischen SDF, kam auf nur zehn Prozent der Stimmen. Ergebnisse, die nicht allein angesichts der Unruhen vor erst wenigen Jahren unglaubwürdig erscheinen müssen. Veranstaltungen der Oppositionsparteien waren nicht zugelassen, Auftritte von deren Politikern in der Öffentlichkeit schon im Vorfeld massiv boykottiert worden. Lediglich 40 Prozent der Wahlberechtigten gingen zur Urne.
Der Bruch mit dem Schweigen
Was geschieht nun mit Kamerun? Kann die zentralafrikanische Republik die globale Aufmerksamkeit in Zukunft auf sich ziehen? Oder versinkt sie in der Peripherie, unbeachtet und unbeobachtet von der internationalen Gemeinschaft? Solange die Unzufriedenen die Konfrontation mit den Gewehren der regierungstreuen Militärs weiter scheuen, wird sich niemand für Kamerun interessieren.
Dabei sollte die internationale Gemeinschaft auch dort wachen Auges sein, wo die Eskalation trotz Verstößen der Regierenden gegen das Menschenrecht, die soziale Gerechtigkeit, die Freiheit von Wahlen und der Verbreitung von Information lange ausbleibt. Der Arabische Frühling hat gelehrt, dass sich Menschen mit Netzwerken wie Facebook und Twitter erfolgreich gegen Informationssperren zur Wehr setzen und sich effizient organisieren sowie austauschen können.
Zwar kann das Internet allein ein totalitäres System noch nicht zum Einsturz bringen. Aber es transportiert Auskünfte über den Zustand von Zivilgesellschaften und Oppositionen mit transkontinentaler Reichweite. Es bricht das Schweigen unterdrückter Völker gegenüber dem Rest der Welt. Das gilt für Kamerun wie für viele andere Teile des afrikanischen Kontinents. Das Argument, viele jener Völker wollten die Intervention aus dem Ausland gar nicht, fällt angesichts der vielen Stimmen, die das Internet transportiert, schwach aus. Wann also fangen wir ernsthaft an, auf diese Stimmen zu hören?
Offiziell herrschen auch in Kamerun Presse- und Meinungsfreiheit. In der Praxis jedoch unterliegen die Medien Kameruns der staatlichen Willkür. So kann “Monsieur le Ministre” René Zé Nguélé, zuständig für Kommunikation, ungeliebte Zeitungen jederzeit abstrafen und verbieten. “Reporter ohne Grenzen” listet Kamerun auf dem 97. Platz der Rangliste der Pressefreiheit, noch sieben Plätze hinter dem berüchtigten Nachbarland Kongo. Bereits 1997 verurteilte ein Kameruner Gericht Michel Michaut Moussala, Direktor und Journalist der unabhängigen Zeitung Le Messager, zu einem Jahr in Gefangenschaft, weil er angeblich falsche Informationen über Biyas Gesundheitszustand verbreitete. Dass seine Zeitung das Regierungsdementi zu besagter Nachricht zwei Tage nach deren Erscheinen veröffentlicht hat, rettete Moussala nicht vor der Haft.
Erschwerend kommt zu der offenbaren Repression durch die Regierung hinzu, dass bei weitem nicht alle Bürger Kameruns Zugang zu kritischen Informationen finden – die Analphabetismusrate liegt mit 40% der Frauen und 23% der Männer noch immer ausgesprochen hoch. Nur wenige haben Strom, aber nicht nur TV, Radio und Internet stehen nicht jedem selbstverständlich zur Verfügung, sondern auch Printmedien oder Bücher.
Das Auge der globalen IT-Riesen
Noch immer lebt ein Großteil der Menschen Kameruns im Schatten des Informationszeitalters, mit dem sich in Afrika zugleich Hoffnungen wie auch Ängste verbinden. Die Hoffnung auf die Bildung eines politischen Bewusstseins in der Bevölkerung als Voraussetzung für eine mündige Partizipation steht jedenfalls der Herausforderung gegenüber, im Volk eine breite Medienkompetenz zu erreichen. Jedoch mangelt es selbst ranghohen Autoritäten an derselben. Die Regierung verschließt sich der Möglichkeit eines sozialen, politischen und ökonomischen Wandels, der durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien stark begünstigt wäre.
Stattdessen wird, von der Welt meist unbemerkt und von den großen Telekom-Unternehmen aus Geschäftsinteresse geduldet, vorzugsweise Zensur ausgeübt. Schon Anfang März 2011 wurde in Kamerun der Twitter-Dienst eines Mobiltelefonie-Anbieters kurzerhand abgeschaltet, weil die Behörden Proteste der Opposition unterbinden wollten. Tatsächlich wird durch eine Einschränkung der Mediennutzung auch die gesellschaftliche Isolation verstärkt, von der Jugendliche, Frauen und der große Anteil der Landbevölkerung am ehesten betroffen sind. Dabei handelt es sich um genau jene, die seit vielen Jahrhunderten kreative Reichtümer schaffen und von Generation zu Generation weitergeben.
Medienkonzerne wie Google haben längst erkannt, dass sich aus diesen Ressourcen beträchtliche Profite erzielen lassen. Nach den Aufträgen zur Digitalisierung des europäischen Kulturerbes ist nun eben auch Afrika mit seinen vielen Sprachen und kulturellen Ausdrucksformen im Visier der globalen IT-Riesen. Das Interesse, traditionelle Tänze, Musik und auch mündliche Überlieferungen mit Hilfe neuer Technologien zu dokumentieren und global sichtbar zu machen, weckt aber zugleich berechtigte Zweifel daran, dass Afrika von deren Verwertung selbst profitieren kann. Doch wer führt einen solchen Diskurs in Afrika, wenn das Wissen darüber und die notwendige technische Infrastruktur nicht gegeben sind?
Seit geraumer Zeit gibt es eine Debatte über Entwicklungshilfe und deren Schaden und Nutzen. Dabei kommt noch immer meist zu kurz, unter welchen Bedingungen die Länder des Südens ihren gesellschaftlichen und politischen Alltag bestreiten müssen. Es braucht keine Debatte über Investitionen, sondern eine gezielte und aufmerksame Betrachtung jener Teile der Welt, die durch das Zusammenspiel von altem regionalen Despotismus und neuer globaler Informationstechnologie hinter internationalen Standards immer weiter zurückfallen.
Wer den Mangel an Entwicklung und Demokratie in diesen Ländern beklagt, sollte jedenfalls verstehen, dass deren Voraussetzungen – Zugang zu Informationen, kultureller Pluralismus und mediale Ausdrucksmöglichkeiten – schon seit Langem nur in einem internationalen Kontext erfassbar sind und sichergestellt werden können. Wenn das in Zukunft mehr Beachtung fände, so wäre dem afrikanischen Kontinent damit sehr geholfen.
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Roger Taakam, Chefredakteur der Kameruner Monatszeitschrift “Les Cahiers de Mutations”, verfasst.