Ungeachtet der vielen Aufregungen im Vorfeld der Jahrtausendwende blieb die Koinzidenz nicht unbemerkt, dass sich – parallel zum Durchmarsch des neoliberalen Paradigmas in der Kultur- und Medienpolitik – das Netz aller Netze seiner ersten großen Popularisierung erfreuen durfte. Mit der Initiative GO ON! – Österreich ans Internet unternahm der sozialdemokratische Bundeskanzler Viktor Klima 1999 den hemdsärmeligen Versuch, die Öffentlichkeit für ein ambitioniertes Fitnessprogramm zu gewinnen. Plötzlich war an den Staatsspitzen von Zukunft die Rede, von unausweichlichen Veränderungen in Freizeit und am Arbeitsplatz. Jung und Alt sollten sich mit neuen Kulturtechniken vertraut machen, um in einer Welt von Morgen zu bestehen, in der digitale Kommunikationssysteme die historische Einschlagkraft des Guttenberg’schen Buchdrucks noch einmal bei Weitem übertreffen. Die Ertüchtigung durfte folgerichtig auch was kosten. Großflächige Werbeplakate, TV-Spots, Infoshows, Zertifizierungskurse – der Bundeskanzler erwartete die Nation zum gemeinsamen Marsch ins Informationszeitalter. Doch im Nachhinein ist davon erstaunlich wenig überliefert. Auch von Zielvorgaben, Kosten und der Wirksamkeit der monatelangen Kampagne fehlt so gut wie jede Spur. Es gibt keine öffentlich zugänglichen Aufzeichnungen, keine Dokumentation zur Effizienz, kein Archiv zur Vielzahl der Vermittlungstätigkeiten.
Nachhaltige Relevanz
Das erweckt umso mehr die Neugierde, ob und inwieweit sich der Zusammenhang von öffentlichem Geld, staatlicher Verantwortung und gesellschaftlicher Internet-Aneignung überhaupt mit nachhaltiger Relevanz versehen lässt. Jedenfalls tummelten sich zu dieser Zeit auch regelmäßig Abgesandte der Wiener Netzkulturplattform Public Netbase in den Gängen spätbarocker Ministerien. Ihr Ziel war es, mit Kulturpolitik befasste Regierungsstellen von der Notwendigkeit zu überzeugen, die Bundesförderung zeitgenössischer Kunst auf Neuland auszudehnen. Meist war diesem Unterfangen eine stundenlange interne Diskussion vorausgegangen, wie die Enge der seit Jahrzehnten gewachsenen Subventionskonventionen am ehesten aufzubrechen sei. Der Cyberspace, so ein häufig ins Treffen geführtes Argument, eröffne Künstlerinnen und Künstlern ein an Ausdrucks- und Schaffensmöglichkeiten noch nicht dagewesenes Territorium. Für den Weg dorthin benötigen sie allerdings technologischen Zugang und – was noch schwerer wiegt – eine sachkundige Begleitung. An diesem Punkt wagte man oft einen ersten prüfenden Blick, ob das vom Staatssekretariat abwärts auch wirklich alle verstanden haben. Doch fast immer musste mit mehr Elan kräftig nachgestoßen werden. Über e-Mail, Homepages und Mailinglisten, das sollte durch leidenschaftliche Gesten noch zusätzlich unterstrichen werden, erschließen sich innovative und globale Formen der Partizipation, die dem Kulturgeschehen durch die Grenzenlosigkeit von Austausch und Vernetzung wertvolle Impulse bieten.
Je eifriger die Überzeugungsarbeit in Notizen seitens der Kunstsektion übertragen wurde, umso mehr wuchs die Hoffnung auf eine angemessene Unterstützung. Doch über diese Angemessenheit ließ sich gar nicht so einfach gemeinsames Verständnis erzielen. Was darf denn Netzkultur, ein im Spartenspektrum der öffentlichen Kunstförderung auch gegenwärtig noch nicht erfasster Terminus, in etwa kosten? Bei einer Theaterproduktion, so steht seit ehedem außer Streit, bedarf es neben Bühnenbetrieb und Verwaltung noch der finanziellen Aufwände für Regie, Schauspiel, Maske und Kostüme. Ähnlich verhält es sich bei Orchestern, bei Galerien sowie beim Film. In den Ministerien kannte man Ende der 1990er Jahre zwar allmählich die bestechende Aura bunt schillernder Webseiten aus dem künstlerischen Umfeld, nicht aber deren komplexe Herstellungsbedingungen. Umso wichtiger war es, an diesem Punkt mit langem Atem sehr genau in die Details zu gehen. Eine netzbasierte Kulturplattform, so ein unumstößliches Postulat im Laufe aller Fördergespräche, darf keinesfalls auf den realen Raum verzichten. Hier wird nicht nur getüftelt, gebastelt, gecodet und entwickelt, sondern auch das erworbene Wissen um die neue mediale Praxis in einem niedrigschwelligen Rahmen an viele Kulturschaffende und Projektgruppen weitergereicht. Digitale Medien und das Know-how ihrer Nutzung dürfen schließlich nicht den Eliten an höheren Schulen und Universitäten vorbehalten bleiben. Wenn also eine Netzkultur-Initiative über adäquate Räumlichkeiten verfügt, schafft sie auch Platz für all jene, die von der Infrastruktur der allgemeinen Beschäftigungs- und Bildungssysteme ausgeschlossen sind. Plötzlich umwehte mit dem Hinweis auf den Digital divide auch ein mahnender Hauch von Globalisierung den ministeriellen Verhandlungstisch.
Interdisziplinäre Reflexion
Prävention vor gesellschaftlichen Langzeitschäden muss – auch das deckt sich mit einer Programmatik, die der sozialdemokratischen Kulturpolitik eigentlich lange vor dem Absturz in die Opposition der Jahre 2000 bis 2006 den Kurs für Österreich vorgezeichnet hätte – insbesondere im Verhältnis des Menschen zur Technik einem steten Diskurs unterzogen sein. Doch schon früh zeichnete sich ab, dass eine differenzierte Kenntnis von den Chancen und Risiken eines weitreichenden Internet-Einzugs in den gesellschaftlichen Alltag nicht zwangsläufig den notwendigen Rückenwind aus Politik, Meinungsbildung und Gesetzgebung erhält. Die allgemeine Auffassung assoziierte mit dem WWW-Hype der späten 1990er oft Pornografie, Gewalt und konsumistische Verwahrlosung. Eine fatale Fehleinschätzung, mit der sich auch in Österreich politisches Kleingeld machen ließ, das bereits mit der Koalition von Nationalkonservativen und Rechtsextremen sowie mit deren Diskreditierung der “Internet-Generation” im Februar 2000 zur Ausschüttung gelangen sollte. Umso mehr war die kritische und interdisziplinäre Reflexion der kulturellen und demokratiepolitischen Potenziale ein Gebot der frühen Stunde. Die Etablierungsbemühungen einer selbstbestimmten Netzkultur forderten bereits zu Pionierzeiten sehr eindringlich die politisierende Rückbindung der virtuellen Terra incognita an Konferenzen, Ausstellungen und Workshops, die – vorzugsweise in urbanen Zentren – eine uneingeschränkte Teilnahme ermöglichen.
Doch der lange Atem erreichte bestenfalls den kurzen Arm. Wie schlüssig auch immer die Abgesandten das vielseitige Aufgabenprofil der Public Netbase in ministeriellen Stuben oder den Ämtern der Stadt Wien zu kommunizieren wussten, die schon wenige Tage später per Brief eingelangten Förderentscheidungen zeugten meist von einer unschlüssigen Skepsis des Gegenübers. Das Verhältnis von öffentlichem Geld und Netzkultur manifestierte sich für das international viel beachtete Projekt bis zuletzt als Finanzierungsflickwerk, das nie wirklich ein akzeptables Maß der Angemessenheit zum Ausdruck bringen konnte. Rückblickend muss der politische Wille auch am politischen Verständnis dafür abgelesen werden, welche Kosten aus welchem Nutzen für die Allgemeinheit resultieren. Denn wer Kunst- und Kulturschaffenden neben Mail- und Webservices auch Know-how und Beratung zur Verfügung stellt, muss für diesen Zweck einen Raum errichten, mit dessen Instandhaltung auch Personalaufwände, Mieten und Betriebsausgaben verbunden sind. Soll die Initiative zudem über lokale Grenzen hinweg kulturelle und mediale Wirksamkeit entfalten, bedarf es eines umfangreich kompetenten Teams, das nur auf professioneller Grundlage den Anforderungen einer global vernetzten Forschungs- und Vermittlungstätigkeit entsprechen kann. Unter Vorzeichen von prekären Dienstverträgen, Selbstausbeutung und technischen Unzulänglichkeiten ist mit 140.000 Euro, in besseren Zeiten mit 218.000 Euro oder gar 270.000 Euro, ein institutionelles Bestehen, das ein hohes wissenschaftliches Niveau erreicht, über zielgruppengerechte Kompetenztransfers staatliche Bildungslücken schließt und zudem mit Interventionen wie Nikeground oder System 77-CCR in die angesehensten Kunstmuseen der Welt Eingang finden kann, auf Dauer nicht zu machen. Ein Vergleich räumt diesbezüglich auch alle Zweifel aus: Das Ars Electronica Center in Linz erhielt 2010 für sein Festival eine Bundeskunstförderung in der Höhe von 130.000 Euro, für den jährlichen Betrieb von der Stadt Linz und dem Land Oberösterreich einen Gesamtbetrag von 5,67 Millionen Euro. Die stolze Bundesmetropole Wien ist von derartigen Investitionen im Bereich Kunst, Kultur und neue Medien noch immer weit entfernt.
Repression und Zahnlosigkeit
Public Netbase startete Anfang 1995 als Experiment, das aus den Mitteln einer Bundeskunstkuratorin nur eine einmalige Chance erhalten sollte. Diese Gelegenheit blieb nicht ungenützt. Bis zum bitteren Ende haben hunderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rahmen unzähliger Service-Einheiten, Veranstaltungen, Seminare und Publikationen dazu beigetragen, dass die unverzichtbare Auseinandersetzung mit neuen digitalen Kulturtechniken und der Herausforderung demokratischer und kulturell vielfältiger Informationslandschaften nicht dem Missverhältnis von öffentlichem Geld und einer um ihre Position ringende Netzkultur zum Opfer fällt.
Aus dem Experiment wurde eine Institution, die mit viel List und Durchhaltevermögen so lange wie möglich den Widrigkeiten trotzte. Doch die Mühlsteine der politischen Repression und Zahnlosigkeit zeigten sich in der fortschreitenden Finanzentwicklung von ihrer unnachgiebigsten Seite. Mit dem Rechtsruck fiel die Bundeskulturpolitik im Jahr 2000 in die Hände der ÖVP, was für Public Netbase eine sofortige Streichung der Finanzierung der Jahrestätigkeit zur Folge hatte. Weil zu diesem Zeitpunkt auch die nunmehr sozialdemokratische Opposition im Widerstand gegen Volkstümelei, Günstlingswirtschaft und Sozialabbau Allianzen bilden musste, kam ihr die weltweite Solidarität mit Public Netbase gerade recht. Kaum jemand legt davon ein eindrucksvolleres Zeugnis ab, als der Klubobmann der SPÖ-Parlamentsfraktion. “Die Frage, wie und auf welcher Grundlage Projekte überhaupt realisierbar sind”, schreibt Josef Cap in seinem Buch “Kamele können nicht fliegen”, einer Abrechnung mit der unheilvollen Umarmung der Konservativen mit Jörg Haiders FPÖ, “wenn, wie im Fall von Public Netbase, die Aufrechterhaltung des vollen Grundbetriebs ohne Basisförderung schwer möglich ist, wurde nicht thematisiert. Auf diese Weise werden gut funktionierende Kultureinrichtungen, die vielen Menschen zugänglich sind, ausgehungert, und es geht wertvoller öffentlicher Raum verloren.” Es darf daher auch die Koinzidenz Beachtung finden, dass – parallel zum neoliberalen Gesellschaftsumbau und der Hegemonialisierung von Rassismus und Fremdfeindlichkeit – Public Netbase aufgrund des Ausstiegs des sozialdemokratischen Kulturamts der Stadt Wien aus der öffentlichen Finanzierung für immer schließen musste.