Die FIFA sieht darin ein Problem, das es ernst zu nehmen gilt. Für Jean Claude Mbvoumin handelt es sich um das Monster eines modernen Sklavenmarktes im europäischen Klubfußball. Seit zehn Jahren kämpft der ehemalige Internationale aus Kamerun gegen die Auswüchse des Spielerhandels mit afrikanischen Jugendlichen – und stößt dabei nicht nur auf Sympathien.
Im Gespräch meidet Maxime jeden Augenkontakt. Es hat fast den Anschein, als wolle er so seiner eigenen Erzählung aus dem Weg gehen, die zu Jahresbeginn 2009 eine tragische Wendung genommen hat. Damals waren zahlreiche Blicke auf ihn gerichtet, als der 16-Jährige aus Abidjans bevölkerungsreichem Stadtteil Yopougon mit seiner Elf im Jugendcup-Finale der Elfenbeinküste den Sieg feierte. Noch am Spielfeldrand nahm ihn ein unbekannter Franzose in Empfang, ein Nachwuchs-Scout, der sich dem jungen Talent ganz jovial nur mit Vornamen zu erkennen gab. Mehr war für Maxime nicht zu erfahren. Das Angebot, für die Zahlung von 1.200 Euro im europäischen Klubfußball auf den Pfad eines Didier Drogba oder Bonaventure Kalou geführt zu werden, klang so verlockend, dass selbst im Kreise der Familie niemand Zweifel artikulieren wollte. Das Geld wurde mit großer Mühe aufgebracht, und schon wenige Tage später brach Maxime ins Ungewisse auf.
In einem kleinen Hotel unweit der Pariser Gare du Nord war dann vorerst Endstation. Er müsse die Vertragsverhandlungen mit den interessierten Klubs nur noch zu einem Abschluss bringen, erklärte der Agent dem Burschen, das sei alles reine Formsache. Sieben Tage wartete Maxime auf eine Rückkehr seines Entdeckers, dann setzte ihn ein groß gewachsener Hotelbediensteter kurzerhand vor die Tür.
Nach der Endstation
Der unbekannte Franzose vom Spielfeldrand ist seither nie mehr aufgetaucht. Stattdessen trat Jean Claude Mbvoumin kurze Zeit später in das Leben des in der Großstadt herumirrenden Ivorers. Maxime hatte irgendwo den Tipp erhalten, sich in seiner misslichen Lage an eine Organisation wenden zu können, die in Not Geratenen wie ihm zur Seite steht. Tatsächlich hat der in Kamerun geborene Mbvoumin mit der Initiative Foot Solidaire eine beachtliche Bekanntheit erzielt, die aber zugleich auch die Tragweite der Problematik widerspiegelt. Seit nunmehr zehn Jahren ist er mit seinem kleinen Team in Paris die erste Adresse für Jugendliche, die einem kriminellen und skrupellosen Menschenhandel zum Opfer gefallen sind.
Foot Solidaire verweist mittlerweile auf mehr als 3.000 dokumentierte Einzelfälle. Hinter jedem dieser Schicksale verbirgt sich der sehnliche Wunsch afrikanischer Jugendlicher, den tristen Alltag gegen Geld, Ruhm und Titel in der globalen Fußballarena einzutauschen. Jean Claude Mbvoumin hat diesen Traum selbst gelebt. “Als einer der besten Linksaußen meiner Generation durfte ich von der letzten Welle der Anfang der 1990er Jahre weit fortgeschrittenen Jugendarbeit im Kameruner Fußball profitieren”, erzählt er dem ballesterer nicht ohne Wehmut. Der Hauptstadtklub Canon de Yaoundé habe ihm die Schulbildung bezahlt. “Damals war das Ziel aber noch nicht so sehr die Professionalisierung, und schon gar nicht der Weg nach Europa. Uns ging es vorrangig darum, eines Tages in die Spuren von Persönlichkeiten wie Roger Milla, Thomas Nkono und Jacques Songo’o zu treten.” Nachdem der 19-Jährige mit der Teilnahme an der Junioren-WM 1993 in Australien endgültig in das Radar des Transfergeschäfts geraten war, wechselte er im Dezember 1994 dennoch nach Frankreich zu AS Beauvais. Dass Mbvoumin noch in Kamerun den Vertrag abschließen konnte, war schon zu dieser Zeit keineswegs selbstverständlich. Das wurde ihm erst in seiner Zeit als Profi bewusst, als sich seine Wege immer öfter mit gestrandeten Minderjährigen kreuzten, die von “Unbekannten am Spielfeldrand” in eine unverhoffte Misere ohne Schutz und rechtlichen Status gestoßen worden waren.
Nahrung für den Showbetrieb
Der Dominoeffekt des Bosman-Urteils hat nach 1995 zu einem massiven Anstieg der Nachfrage nach afrikanischen Spielern geführt, vor allem bei zweitklassigen Vereinen in Europa. Das führte zu einer systematischen Belebung des Transfermarktes, an dem sich neben Agenten nun auch Trainer, ehemalige Spieler und Erzieher bereichern wollten. Obwohl schon früh offensichtlich wurde, dass das große Geschäft auch tragische Konsequenzen nach sich zieht, hatten nur wenige ein Interesse, davon wieder abzurücken. “Auch als erste Todesopfer bekannt wurden, herrschte Gleichgültigkeit”, erzählt Mbvoumin. “Weil der Spielerhandel mit den Burschen aus Afrika das Fußballmonster stets mit neuer Nahrung versorgt, musste die Show ganz einfach weitergehen.” Die FIFA konnte vor diesen Entwicklungen die Augen nicht verschließen, hat jedoch erst Jahre später konkrete Maßnahmen ergriffen, um die Auswüchse einzudämmen. Seit 1. Oktober 2010 verpflichtet ein neues “Transferabgleichungssystem” die beteiligten Klubs, umfangreiche Informationen in eine Datenbank einzugeben. Dazu zählen detaillierte Angaben zu den Spielern, Zahlungen bei Vereinswechseln sind durch Kopien von Personalausweis sowie von Arbeits- und Transfervertrag zu belegen. Fehlen diese Nachweise, kann der Transfer blockiert und der internationale Freigabeschein verweigert werden. Für die jungen Fußballer bedeutet das neue System, dass sie nicht von einem Verein zum nächsten wechseln können, ohne nachvollziehbare Spuren zu hinterlassen. Außerdem setzt ein Transfer fortan das Erreichen der Volljährigkeit oder die Einwilligung der Eltern voraus. Und auch die jeweiligen Nationalverbände haben ihre Zustimmung zu erteilen.
Dass die FIFA dem Schutz der Minderjährigen überhaupt Aufmerksamkeit schenkt, ist für Jean Claude Mbvoumin das Ergebnis jahrelanger Überzeugungsarbeit. Dutzende Empfehlungen, Petitionen und schriftliche Warnrufe waren zuvor in den Schubladen verschwunden. Die Reglements blieben über viele Jahre zahnlos. Mit seiner Vereinigung musste der ehemalige Internationale umso mehr an der Basis ansetzen, um in Politik und Verbandswesen den notwendigen Druck für Veränderungen zu erzeugen.
“Mit dieser Hartnäckigkeit ist Foot Solidaire nicht immer nur auf Sympathien gestoßen”, erklärt Mbvoumin. “Dennoch haben wir uns die Probleme vor allem auch im Inneren sehr genau angesehen.” Die in der Organisation aktiven Journalisten, Trainer und Pädagogen hätten demzufolge zur Kenntnis nehmen müssen, dass sich die Grundhaltung im afrikanischen Fußball zunehmend verschlechtert. Am schlimmsten sei, dass vor allem die Jungen ihr Land immer früher verlassen wollen und dabei nur an das Geldverdienen denken. “Heute haben wir etwa in Kamerun, aber auch in vielen anderen Ländern, keine profunde fußballerische Ausbildung. Ich bezeichne den Nachwuchs daher auch gerne als ‘Fastfood’, weil er zwar spielerische Begabung aufweist, aber dann im Fernsehen irgendwelche Bilder vorgeführt bekommt, die Sehnsüchte erwecken, für deren Verwirklichung es keine Grundlagen gibt”, sagt Mbvoumin. Der allgemeine Rückschritt sei aber auch gefährlich, weil der Fußball in vielen afrikanischen Ländern zu einer Angelegenheit der Eliten zu werden drohe. In ein Auswahlteam komme demzufolge nur, wer über Geld verfüge, so der Foot-Solidaire-Chef. Zugleich benötigen die Vereine zur weiteren Professionalisierung finanzielle Mittel, wofür jedoch kein konsequentes Regelwerk vorgesehen ist. Und schließlich kippen alle Beteiligten immer stärker in ein System aus Korruption und Günstlingswirtschaft, das wiederum Profifußballern nach Beendigung ihrer Karriere erst recht oft nur die Perspektive bietet, eine eigene Akademie zu gründen oder zu versuchen, als nichtoffizielle Spielervermittler das Auslangen zu finden.
Mauern der Beschwichtigung
Mit seinem Engagement bei Foot Solidaire ist Jean Claude Mbvoumin im öffentlichen Gespräch – und das nicht immer nur mit Wohlgefallen. Das in Frankreich viel diskutierte Buch “Négriers du Foot” (“Sklavenhändler des Fußballs”) der früheren Leichtathletin Maryse Ewanje-Epee widmet sich über weite Strecken seiner Arbeit und lässt dabei aber auch die Kritik durchklingen, dass das langjährige Aushängeschild der Organisation unverhältnismäßig mehr Zeit mit Interviews, Konferenzen und dem Händeschütteln von politischen Persönlichkeiten verbringe als im unmittelbaren Einsatz für die Betroffenen. Mbvoumin hält dem entgegen, dass er die Mauer der Beschwichtigungsversuche nur durch unermüdliche Lobbying- und Medienarbeit durchbrechen konnte. Anders sei es nicht möglich gewesen, im öffentlichen Bewusstsein das Bild eines modernen und ausbeuterischen Sklavenmarkts zu verankern, der das profitträchtige Medienspektakel des internationalen Fußballs mit immer neuem Schmierstoff versorgt.
Eine Chance zur Durchsetzung von ethischen Prinzipien sieht Jean Claude Mbvoumin in der gegenwärtigen ökonomischen Krise. Die Menschen seien angewidert von den Exzessen des Kapitalismus, das könnte auch der Anstoß sein, über die Produktionsbedingungen im Fußball nachzudenken. Mit dieser Hoffnung verbindet sich zugleich die oberste Prämisse, dass der jugendliche Traum vom Fußball unbedingt zu schützen ist. Das Festhalten an diesem Traum hat auch Maxime den Verbleib in der urbanen Anonymität von Paris erträglicher gemacht. Er ist regelmäßig im Büro von Foot Solidaire zu Gast und schwärmt dabei von einem Engagement bei der AS Roma.