Samir Nasri ist nicht nur in Marseille in aller Munde. Die “neue Perle des alten Hafens”, wie der 19-jährige Star von Olympique mit großem Stolz genannt wird, zählt – gemeinsam mit Karim Benzema – zu den Aushängeschildern einer nachrückenden Fußballer-Generation, die ganz Frankreich mit Selbstbewusstsein und Durchsetzungsstärke in Euphorie versetzt.
In Marseille, auf den Hängen unterhalb eines Felsvorsprungs, war auf dem gigantischen Plakat eines Sportartikelherstellers lange Zeit das ausdrucksstarke Gesicht Zinédine Zidanes zu sehen. Bis es vor kurzem einem anderen Werbesujet weichen musste. Seither fragen sich immer mehr Menschen in der zweitgrößten Stadt Frankreichs, warum nicht Samir Nasri diesen erhabenen Platz eingenommen hat.
Für viele Marseillais verkörpert Nasri unbestritten die Reinkarnation “Zizous”. Wie schon beim dreimaligen FIFA-Weltfußballer des Jahres, der nach der WM 2006 endgültig von der großen Bühne getreten ist, sieht sich die Stadt erneut als Erfolgswiege der französischen Nachwuchsarbeit. Tatsächlich erinnert Nasris Jugend an jene Zidanes. Als erster Sohn einer Familie mit algerischen Wurzeln wuchs auch der kleine Samir in einer herunter gekommenen Nordrand-Siedlung auf. In der Trostlosigkeit der Stahlbetonbauten von Gavotte-Peyret erlebte er die Jugendrevolten des Herbsts 2005. “Für viele war es die einzige Möglichkeit, den Unmut auszudrücken”, suchte er später nach Verständnis für die Ereignisse, die das ganze Land in Atem hielten. Mittlerweile sorgt der Spielmacher nicht nur bei Olympique Marseille für Furore. Er hat den Ausweg aus der sozial noch immer lodernden Cité geschafft – ein Werdegang, der einem Bilderbuch entstammen könnte.
Technisch brillanter Regisseur
Die Entdeckung Samir Nasris verdankt die fußballbegeisterte Grande Nation eigentlich Freddy Assolen, dem “OM-Auge bei den Benjaminen”. Der Nachwuchsbeobachter wurde auf den Buben aufmerksam, als dieser gerade neun Jahre alt war. Beim Verein der südfranzösischen Gemeinde Pennes-Mirabeux stieß er auf ein phänomenales Talent, von dem er fortan nicht mehr loslassen konnte. Assolen begleitete seinen Schutzbefohlenen auf einer Tournee, die ihn unter anderem nach Turin und Mailand führte, wo man ihn am liebsten gleich behalten hätte. Für den Nachwuchs-Scout war fortan klar: “Nasri ist intelligent, aufmerksam und von seinen Eltern bestens vorbereitet. Er hat nie Arroganz gezeigt, weiß aber sehr wohl, dass die größten Klubs vor ihm liegen.” Noch trägt der Shooting Star bei Olympique Marseille die 22 auf dem Rücken – wie Kaká beim AC Milan, den er regelrecht bewundert. Wer sich allerdings in den Straßen der Stadt umhört, kann schnell in Erfahrung bringen, dass Diego Maradona das eigentliche Vorbild bleibt. “Nasri ist ein Spieler vom Typ Nummer 10”, so die einhellige Überzeugung, “ein Mittelfeldregisseur mit brillanter Technik. Er ist der Hoffnungsträger des gesamten französischen Fußballs!” Aber es klingt auch Wehmut durch. “Mit dem Erfolg wird Samir schon bald Marseille verlassen.”
Unbestritten bleibt allerdings schon jetzt Nasris Platz in der Équipe tricolore. Eine breitenwirksame Belebung erfuhr der Enthusiasmus am 28. März 2007 im Zuge der freundschaftlichen Begegnung der französischen Nationalelf mit Österreich. Nasris Pass zu Karim Benzema war die Vorbereitung zum 1:0-Torerfolg. Obwohl das Publikum im Stade de France schon hochkarätigere Spiele gesehen hat, galt am nächsten Tag der Jubel dem jungen Kader der Black-Blanc-Beur. Alleine das Wiederaufgreifen der Bezeichnung für die Weltmeister-Elf des Jahres 1998 sollte eine friktionsfreie Generationenabfolge zum Ausdruck bringen, um deren Kontinuität sich nach dem sukzessiven Ausscheiden der Riege um Zidane, Barthez und Desailly schon viele gesorgt hatten.
Neue Namen, neue Zuversicht
Mit den neuen Namen schöpft Frankreich auch neue Zuversicht. Neben Samir Nasri, Abou Diaby, Lassana Diarra, Frédérique Piquionne ist es vor allem der ebenfalls 19-jährige Benzema, der zu diesem Stimmungsaufschwung beigetragen hat. Der beliebte Stürmer trug schon beim Freundschaftsspiel gegen Europameister Griechenland im Herbst 2006 erstmals den Gallischen Hahn am Trikot. In der abgelaufenen Saison holte er mit Olympique Lyon den nunmehr sechsten Meisterschaftstitel der Ligue 1 in Folge in seine Geburtsstadt.
Benzema, der 2006 von der Zeitschrift France Football als die Neuentdeckung des Jahres gefeiert wurde, weist nicht nur auf dem grünen Rasen im Zusammenspiel mit seinem Team- und Alterskollegen aus Marseille Gemeinsamkeiten auf. Auch er ist Sprössling einer Familie, die aus Algerien nach Frankreich eingewandert ist. Der verbindende Hintergrund, der bereits 2004 nach dem Europameistertitel der unter 17-Jährigen öffentliche Beachtung nach sich zog, steht auch immer wieder im Zentrum emotional erhitzter Debatten. Warum, so eines der Themen in diversen franko-arabischen Blogs und Online-Foren, stellen sich die beiden nicht als Zeichen des Protests gegen das System der Ausgrenzung von Kindern aus Migrationsfamilien der Nationalelf Algeriens zur Verfügung?
Samir Nasri ist für politische Stellungnahmen nicht zu haben. Von diesem Prinzip rückte er auch nach der Präsidentschaftswahl des Rechtspopulisten Nicolas Sarkozy nicht ab, bei der er erstmals stimmberechtigt war. Nur so viel: “Es gibt ganz andere Sorgen, als am 14. Juli die Fahne zu hissen.” Das Leben eines Fußballstars beschert ihm in der Tat bislang ungekannte Schwierigkeiten. Da ist vor allem der Vergleich mit Zinédine Zidane, dem er sich nicht entziehen kann. Dabei spricht der ehemalige Kapitän der Blauen von ihm nur in höchsten Tönen. “Nasri erstaunt mich regelrecht”, so der begeisterte Eindruck des Altmeisters, “er hat das Zeug zum Titelanwärter. Hut ab!” Nasri selbst beginnt die vor allem medial vielfach strapazierte Gleichsetzung mit dem großen Zidane jedoch allmählich zu nerven. “Es ist mir eine Ehre”, betont er immer wieder in Interviews, “schafft aber zugleich einen enormen Druck auf meinen Schultern.” Welche Ausmaße die Erwartungen annehmen können, wurde zuletzt im Cupfinale am 13. Mai deutlich. Nach dem 2:2-Unentschieden gegen Sochaux unterlag Marseille im Elfmeterschießen und wartet nun schon seit 1993 auf einen Titel. Auch Samir Nasri gelang es nicht, die Blamage gegen den Außenseiter abzuwenden.
Frankreich hält dennoch unbeirrt am Nachwuchs fest und blickt optimistisch in die nahe Zukunft. “Wenn man jung ist”, erklärte Nasri vor seinem Debüt gegen Österreich, “dann ist man zwangsläufig noch unrund. Deshalb gilt für mich: Respekt vor den Alten!” Der Shooting Star weiß, dass bis zur Europameisterschaft 2008 noch ein langer Weg vor ihm liegt. Wer dann zum Einsatz kommt, entscheidet alleine der Grandseigneur unter Frankreichs Trainern, Raymond Domenech.