“Der Holocaust”, schreibt die an der Universität Konstanz lehrende Anglistin und Kulturwissenschafterin Aleida Assmann in ihrem aktuellen Buch “Der lange Schatten der Vergangenheit”, das sich selbst als “unentbehrlicher Wegweiser” zur Erinnerungskultur und Geschichtspolitik versteht, “ist heute das am besten dokumentierte Menscheitsverbrechen”. Es stelle sich gegenwärtig nicht so sehr die Frage: “Wird diese Erinnerung auch dann noch bestehen, wenn sie nicht mehr vom Zeugnis der Überlebenden getragen wird?” Entscheidend sei vielmehr: “Was wird die Qualität dieser Erinnerung sein, wenn sie ganz ins kulturelle Gedächtnis übergegangen sein wird?”
In Österreich wartet der Diskurs um die Zukunft der Erinnerung weiterhin vergeblich auf einen Konjunkturaufschwung. Schon bisher schrammte die Auseinandersetzung mit den Verstrickungen in der NS-Terrorherrschaft sowie mit deren Nachkriegskontinuitäten hart an der Grenze von Ignoranz und Bedeutungslosigkeit. Die von Assmann angesprochene Debatte, ob die Gefahr des Vergessens tatsächlich ausreichend gebannt sei und eine Qualitätssteigerung der Vergegenwärtigung von Vergangenheit sich in erster Linie der Verflachung und Verengung zu widersetzen hat, ist fast ausschließlich akademischen Zirkeln vorbehalten. Als umso couragierter müssen daher jene Versuche gewertet werden, die historische Überlieferungen nicht alleine den Wissenschaften überlassen, sondern mit künstlerischen Arbeiten, Ausstellungen und Texten selbst Erneuerungsformen erproben, die sich gegen Ritualisierungen und die Erstarrung in Klischees richten sollen. Mit den Filmen “Vienna’s lost daughters”, einem dokumentarischen Portrait von Frauen, die vor dem NS-Regime fliehen mussten, und “Der unbekannte Soldat”, einem Opus, das noch einmal die Thematik der Wehrmachtsausstellungen aufgreift, haben etwa Mirjam Unger und Michael Verhoeven zwei Beispiele einer Bildproduktion vorgelegt, die andere Wege sucht, als sich der Verkitschung und Entkontextualisierung der historischen Imagination in den Mainstream-Medien anzuschließen.
Von Boulevardblättern und Doku-Soaps ist nicht zu erwarten, dass die Leerstellen gefüllt werden, die noch immer vielerorts anzutreffen sind. Der oberösterreichische Verein Kult-ex entwickelt daher besser Eigeniniative und wagt sich an ein Denkmalprojekt in Leonding, einer Kleinstadt nicht weit außerhalb von Linz. Schon die Ausgangssituation stellt das Vorhaben vor Herausforderungen. “Denkmäler”, ist zum einen bei Aleida Assmann nachzulesen, “formulieren in der Regel emphatische Botschaften an die Nachwelt, die von dieser selten beherzigt werden, weshalb sie entgegen ihrem Auftrag selbst bald historisch werden und – wenn überhaupt – nur noch als materielles Relikt einer Vergangenheitskulisse beeindrucken”. In Leonding erinnern zudem zwei Kriegerdenkmäler an die Gefallenen und Vermissten der beiden Weltkriege. Am zentral gelegenen Alten Kirchenplatz, der unmittelbar in den Eingang zum Friedhof mündet, wo sich das Grab der Eltern Adolf Hitlers befindet, das alten und jungen Nazis als beliebte Pilgerstätte dient.
Vergebens sucht man in Leonding nach einer Versinnbildlichung der historischen und gesellschaftlichen Realitäten des Nationalsozialismus. Dessen Tötungsmaschinerie hat vor allem in Oberösterreich mit dem Konzentrationslager Mauthausen, seinen vielen Nebenlagern sowie mit Hartheim nachhaltige Spuren hinterlassen. Im offiziellen Gedächtnis der Stadt blieb die Vielzahl der Opfer jedoch bisher unerwähnt. Die Leidensgeschichten, der Widerstandskampf und die Warnung an die Nachgeborenen warten noch unverändert auf eine deutlich wahrnehmbare Erzählung.
Mit dem Projekt Nachklang – Widerhall will Kult-ex ein Denkmal schaffen, das auf Sichtbarkeit abzielt und diese um akustische Wahrnehmungszugänge erweitert. Gelingen soll dies – in Verbindung mit einer multimedialen Online-Plattform – über eine drei Meter hohe Klangsäule im Inneren der Stadt, die ab 11. Mai 2007 einen dauerhaften und künstlerisch gestalteten Korridor zwischen Gegenwart und Vergangenheit errichtet. Gesprochene Texte von Autorinnen und Autoren, die zum Thema arbeiten, sowie von Widerstandskämpferinnen und Betroffenen, die literarisch tätig sind, bilden eine hörbare Textskulptur, die von den Gräueln und der Deportation der NS-Jahre erzählt und zugleich ermuntert, dass Widerstand und politisches Handeln in Zeiten extremer Repression notwendig und auch möglich sind.
Kontroversen sind wesentliche Motoren zur Erneuerung der Erinnerung. Auch in Leonding melden sich bereits im Vorfeld der Installation erzürnte Stimmen zu Wort, die lautstark ihr Unverständnis für das Projekt zum Ausdruck bringen, solange nicht auch die Opfer des alliierten Bombenkrieges darin berücksichtigt werden. Die sich mit dem Denkmalprojekt abzeichnende Debatte eröffnet jedenfalls die Chance, sich selbst als “Denkmal” zu erweisen, das Erinnerung konkret werden lässt – und damit auch die Diskussion um die Zukunft von Gedächtniskultur und Erinnerungspolitik.