Die Kontroll- und Herrschaftsarchitektur des Medien- und Informationszeitalters blickt auf einen tiefgreifenden Wandel zurück. Früher waren es Paläste, pompöse Regierungssitze und reichlich ornamentierte Unternehmenszentralen in den Prunkbauten der Städte, die Macht, Unnahbarkeit und Hegemonialgewalt zur Schau stellen sollten. Wer sich dagegen auflehnte, begab sich am besten auf die Straße, demonstrierte vor den Insignien der Unterdrückung, errichtete Barrikaden, störte damit das reibungslose Funktionieren der Institutionen und erkämpfte – so weitreichend wie möglich – vor allem auch öffentliche Räume.
Festungsmauern der Mächtigen sind heute nicht mehr so leicht auszumachen. Die einstmals steinernen Fundamente haben längst schon der digital-vernetzten Verfügung über Wissen und Information Platz gemacht. Medien- und Telekommunikationskonzerne weiten ihre Hightech-Hoheit unablässig auf die Köpfe und die Wahrnehmungswelt der Menschen aus, die immer mehr Gefahr laufen, von der massenmedialen Wirkungsbreite des Mainstream erstickt zu werden. In arge Bedrängnis geraten ist vor allem auch der mediale Raum, in dem sich öffentliche Kommunikation und gesellschaftspolitische Diskurse realisieren können. Corporate Identity ist auch hier das neoliberale Zauberwort, mit dem sich die so genannten Global Player in der Kultur- und Unterhaltungsindustrie zunehmend der Öffentlichkeit bemächtigen. Eine völlige Beseitigung ist auch in Österreich keineswegs mehr auszuschließen.
Somit trifft zu, was im Rahmen von living room – SOHO einer Diskussionsveranstaltung zum Thema Medien als politische Räume als Postulat vorangestellt wurde: Öffentlichkeit ist unter den beschriebenen Voraussetzungen tatsächlich ein in unseren Gesellschaften stark umkämpftes Territorium. Wer außerhalb von Staat und Markt mit Medien arbeitet und Zugänge zu einer kritischen und partizipativen Medienpraxis frei zur Verfügung stellt, nimmt folgerichtig auch politische Gegnerschaft in Kauf. Doch welche Schlüsse sind daraus zu ziehen? Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es?
In ihren Überlegungen zum Elektronischen zivilen Ungehorsam zeigte sich das Critical Art Ensemble bereits vor Jahren davon überzeugt, dass “die Straße, soweit es um Macht geht, totes Kapital” sei, “wertlos für Staat und herrschende Klasse”. Um mit dieser Einsicht Wirkung zu entfalten, sollten insbesondere aktivistische Strategien darauf abzielen, sich “irgendetwas anzueignen, das für ihre Gegner Wert und Bedeutung hat. Nur so kommen sie in die Lage, über Veränderungen verhandeln (oder gar sie fordern) zu können”. Einen ähnlich lautenden Zugang formuliert auch die auf Medien- und Kommunikationsguerilla spezialisierte autonome a.f.r.i.k.a. gruppe. Es brauche, so wird betont, “eine politische Positionierung, die sich nicht auf theoretische Analyse in den Begrifflichkeiten der Soziologie und Kulturtheorie beschränkt, sondern auch in Bildern denkt und Zeichensysteme zu nutzen weiß”. Und nicht zu vergessen: “Zorn und Genervtheit und der Wunsch, der Macht eine lange Nase zu drehen, führen oft wirksamer als rationales Nachdenken zum Erkennen der Bruchstellen und Widersprüche im dominanten Diskurs.”
Netz- und Medienaktivismus kann – noch umfassendere Betrachtungen sind im Buch Dark Fiber des Medientheoretikers Geert Lovink nachzulesen – auf verschiedenen Ebenen zur Anwendung gelangen. Eine Ebene sieht die Kommunikation innerhalb der Bewegung vor. Im Vordergrund steht dabei die Kommunikation in Mailinglisten und die Entwicklung von kollaborativen Plattformen zum internen Austausch von Ideen und Diskursbeiträgen, die wiederum für die taktische Ausrichtung von Bedeutung sind. Hinsichtlich der Bildung von Allianzen ist – auf einer zweiten Ebene – die Vernetzung zwischen Bewegungen und sozialen Gruppen dringend anzuraten. Das Ineinandergreifen verschiedener politischer Kontexte schafft zudem eine motivierende Umgebung, in denen auch neue Aktivitätsformen erprobt werden können, die von einer breiteren Basis getragen sind und dadurch auch mehr Wirkung entfalten können. Auf einer dritten Ebene eröffnet die Nutzung des Internet die Möglichkeit, rein virtuelle Interventionen durchzuführen, die keine Bezüge zum realen Raum haben müssen und daher in der Lage sind, durch ihre Unberechenbarkeit nachhaltige Irritationen zu erzeugen und durch temporäre Störungen der kognitiven Gewohnheiten Nachdenkprozesse einzuleiten. Dazu noch einmal die autonome a.f.r.i.k.a. gruppe, die alle hier genannten Ebenen zueinander in Verbindung setzt. Eine Netz- und Medienkultur, die politische Position einnehmen will, ist demnach eng “verbunden mit Gegenöffentlichkeit und bezieht sich auf Themen und Anliegen sozialer Bewegungen. In den letzten Jahren haben sich diese Bewegungen neue Technologien zu eigen gemacht, vom Handy über die Nutzung (und Fälschung) von zunehmend interaktiven Websites und Videos zum Live-Streaming.”
Eindrücke, wie das Verständnis einer taktischen Netz- und Medienpraxis im künstlerischen Feld zum Einsatz kommen kann, bietet seit Jahren das Kollektiv von 0100101110101101.ORG. Im Herbst 2003 entwickelte die Gruppe gemeinsam mit der Internet-Kulturplattform Public Netbase das Projekt nike ground. rethinking space, das weltweit für großes Aufsehen sorgte. Das Konzept wurde für den Karlsplatz im Wiener Stadtzentrum entwickelt, der als Austragungsort eines Gedankenexperiments zu einer breiten – vor allem auch medialen – Diskussion anregen sollte. Vier Wochen lang suggerierte ein gläserner Hightech-Pavillon die unmittelbar bevorstehende Umbenennung des Karlsplatzes in Nike-Platz. Parallel zu einer Website und einer breiten Vermittlungskampagne in lokalen Leserbriefkolumnen kündigte ein vor Ort weithin sichtbares Zeichen die Errichtung eines 36 Meter hohen Monuments in Gestalt des Firmenlogos an und löste erwartungsgemäß heftige Reaktionen aus. Zahlreiche Bürger und Bürgerinnen wandten sich mit ihren Beschwerden an Politik und Medien, die auch umgehend über einen “Riesen-Wirbel” um den Verkauf des Karlsplatzes berichteten. Die Frage, inwieweit der öffentliche Raum, seine kulturelle Ausgestaltung einer aggressiven Aneignung durch Kapitalinteressen und deren Deutungsmacht über die Symbole des Alltags zum Opfer fallen, hat damit tatsächlich auch in Wien eine kontroversielle Debatte in Gang gesetzt.
Derartige Projekte, erklärte der US-amerikanische Medientheoretiker Timothy Druckrey in der Kunstzeitschrift springerin in seiner Nachbetrachtung, “zeigen Schwachstellen auf, schaffen Öffentlichkeiten, überdenken Präsenz, hinterfragen die Problematik des Eigentums und testen das Recht auf frei zugängliche Informationen aus.” Ihre Bedeutung sieht er vor allem in einer öffentlichen und medialen Debatte “über die ‘andere’ Seite der Macht, über die Prämissen, anhand derer Kultur vermarktet und zusehends reguliert wird, sowie darüber, dass Corporate Identity sich nicht einfach als Stellvertreter der Öffentlichkeit begreifen kann – oder als gegen die Auswirkungen ihrer Aktionen immun.” Bei der politischen Positionierung durch Medienaktivismus gehe es schließlich darum, “in technische und soziale Sphären zu intervenieren, in Informations- und Kommunikationsräume verschiedenster Ausprägungen”, wobei immer auch “die Entmystifizierung von Systemen” im Mittelpunkt stehen muss.
Es ist kaum möglich, ein simples und rundum gebrauchsfertiges Rezept für Medienaktivismus zur Wiederaneignung von öffentlichen Räumen anzubieten. Entscheidend ist vielmehr, dass Menschen sich Medien zu Nutze machen, um auf diesem Wege auch an einem Demokratisierungsschub in der Bedeutungsproduktion zu partizipieren. Eine schrittweise Wiederherstellung von öffentlichen Interessen muss mediale Räume als Aktionsgebiete von Öffentlichkeiten jedenfalls noch mehr ins Auge fassen. Denn angesichts der Umkämpftheit dieses Territoriums ist gerade hier im Hinblick auf Allianzbildungen noch mehr konfliktuelle Intensität erforderlich. Voraussetzungen, einer taktischen Netz- und Medienkultur zu mehr politischer Nachhaltigkeit in der Positionsfindung zu verhelfen, sind gegeben: “Die neuen Medientechnologien”, schreibt Timothy Druckrey, “erzeugen plötzlich Geographien der Kognition, Rezeption und Kommunikation, Territorien, in denen sich Materialität verflüchtigt und die räumliche Lage relativ ist und in denen sich Präsenz durch Partizipation und nicht mehr durch Gleichzeitigkeit am selben Ort ausdrückt.” Es bleibt also zu hoffen, dass sich auch in Österreich den Mächtigen bereits in absehbarer Zeit eine sehr lange Nase drehen lässt.
Quellen:
autonome a.f.r.i.k.a. gruppe, Kommunikationsguerilla – Transversalität im Alltag, in: Gerald Raunig (Hg.), Transversal. Kunst und Globalisierungskritik. Republicart 1, Turia + Kant (2003).
Critical Art Ensemble, Elektronischer ziviler Ungehorsam, in: nettime (Hg.), Netzkritik. Materialien zur Internet-Debatte, Edition ID-Archiv, Berlin (1997).
Timothy Druckrey, Kontaminierte Enklaven. Überlegungen zum Verhältnis von Kommerzialisierung und Dissens am Beispiel des Projekts “Nike Ground”, in: springerin. Hefte für Gegenwartskunst, Band IX, Heft 4, Winter 2003.
Timothy Druckrey, C++, in: nettime (Hg.), Netzkritik. Materialien zur Internet-Debatte, Edition ID-Archiv, Berlin (1997).
Geert Lovink, Dark Fiber. Auf den Spuren einer kritischen Internetkultur, Opladen (2004).