Die Raserei beginnt im Kopf. Wer Amok läuft, sieht zuvor unentrinnbar schwarz. Schon Stefan Zweig wusste 1922 darüber zu berichten: “Es ist eine Art Trunkenheit, eine Tollheit, eine Art menschlicher Hundswut, ein Anfall sinnloser Monomanie”. Eine Farbe, so sehr diskreditiert? “Schwarz sehen”, so will uns – ganz im Gegenteil – die Politische Akademie der ÖVP in zeit_schritt (Nr.15, März 2003), einem Magazin für modern politics, glauben machen, sei sexy, opportun und auf alle Fälle “wieder in”. Es gebe demnach keinen Grund, “Angst vor dem schwarzen Mann zu haben”. Die Farbe Schwarz symbolisiere “republikanische Gleichheit”, das hat die Kaderschmiede zumindest in Goethes Farbenlehre aus dem Jahre 1810 ausfindig gemacht. Wie auch immer: Schwarz ist im Gespräch und – Schwarz ist an der Macht. Das ist allemal schlimm genug.
Im Frühjahr 2003 versinkt Österreich im Matrix-Rausch. Hollywoods Unterhaltungsindustrie lässt die Fieberkurven nach oben schnellen. Schüttelfrost dominiert hingegen die Matrix Österreich. Hier wird seit Monaten ganz ungeniert eine neue Droge für das Überleben in der “Wüste des Realen” herumgereicht. “Schwarz bringt Glück”, erinnert ein Text im Magazin der VP-Akademie und erfreut sich am rußigen Rauchfangkehrer, der im 18. Jahrhundert durch sein Lauschen im Kamin der Hofburg so manches Komplott gegen die Herrschenden abzuwenden geholfen hatte. Jedes System wird irgendwie beherrscht. Auch die Matrix unterliegt einem unentwegten Kräfteringen. Die “schwarze Kraft des Faktischen”, schreibt Akademie-Direktor Günther Burkert-Dottolo, habe den Wind im Inneren gewendet. “Die gesamtgesellschaftliche Entwicklung zeigt, dass Konservativ-Sein plötzlich mit zukunftsfähiger Politik assoziiert wird. Nach den Jahren des sozialdemokratischen Plagiats liegt die Hoffnung im Original.” Voraussetzung dafür sei auch noch immer ein “gesundes Misstrauen gegenüber der Obrigkeit”, denn “da sind die Ahnherren der Zivilgesellschaft zu finden”.
Die schwarze Wirklichkeit hat sich nach dem Wahlerfolg der ÖVP im November 2002 erst recht als unerbittlicher Blue Screen entpuppt, auf den soziale Kälte, kultureller Chauvinismus und reichlich Autoritarismus und Herrschsucht aufgetragen werden. Das eigentliche Skript ist in den Budgetbegleitgesetzen nachzulesen. Darin finden sich ein mehrfach milliardenschwerer Ankauf von Luftsicherungskriegsgerät sowie eine Pensionsreform, die die Menschen ihrer sozialen Sicherheit beraubt. Die gesellschaftliche Prioritätensetzung gleicht den Qualitätsstandards eines B-Movie. Selber schuld, versucht Zukunftsforscher Matthias Horx die Sachlage in seiner notorischen Schwarzdenker-Kolumne umzudeuten (Die Presse, 24. Mai 2003): “Die ‘Matrix’, das ist unser Sozialsystem mit seinen doppelten und dreifachen Absicherungen und Ausnahmeregeln. Die Matrix, das sind die komfortablen Selbstverständlichkeiten von Frühpension, Kindergeld, Arbeitsmarktzulage und Sozialpartnerschaft. Wir hängen am Draht.” Finanzminister Karlheinz Grasser fasst sich dagegen kurz: “Der Speck muss weg!” So wird es hierzulande besser verstanden.
Franz Morak ist im Kabinett Schüssel II als Staatssekretär für Kunst und Medien erneut mit von der Partie. Die Matrix hat ihn also wieder. In einer Welt, in der alles vernetzt, verkabelt und unüberschaubar geworden ist. Alles greift ineinander, selbst Wahn und Sinn. Diese Welt ist von Grund auf schlecht. Rote Schurken, prickelnder Prosecco und geschützte Werkstätten, wohin das Auge reicht. Die Matrix wäre das ideale Terrain für kulturpolitischen Heroismus. “Die im Schatten sieht man nicht”, heißt es in einem Beitrag des genannten Magazins für modern politics. Morak ist ein Schattenwesen, dessen Konturen doch zu erkennen sind. Sein politisches Schicksal hängt wie ein hauchdünner Lebensfaden an der fragilen Gunst eines Bundeskanzlers, dessen siegestrunkener Taumel vorerst noch nicht enden will. Modern politics für das Redesign der Matrix?
Ende April eröffnete der Kunststaatssekretär eine Konferenz im Wiener Museumsquartier, die sich der Frage nach den “Medien in der Informationsgesellschaft” widmete. Wie den Mitteilungen des Bundeskanzleramts zu entnehmen ist, verstand sich diese Veranstaltung als österreichischer Beitrag im Vorfeld des World Summit on Information Society, der – unter der Patronanz von UNO-Generalsekretär Kofi Annan – ab Dezember 2003 einen globalen Aktionsplan erstellen soll, um “Maßnahmen gegen die zunehmende Kluft zwischen ‘informationsreichen’ und den ‘informationsarmen’ Staaten und Regionen zu beschließen”.
Kennzeichen einer jeden Matrix ist es, dass sich neben einer Erweiterung des Speicherplatzes auch die Prozessorleistung merklich verbessern lässt. Höheren Versionen seien darüber hinaus gelegentliche Debugging-Fortschritte gedankt. Wir erinnern uns: Noch im März 2001 (siehe dazu Kulturrisse 02/01: Kampfeslaune und Vergeltungsdurst) war für Franz Morak die “Gefahr einer Zweiklassengesellschaft” nicht der Rede wert. “Es sei dies ein nicht weiter ernst zu nehmendes Phänomen”, erklärte er damals in einer Diskussionsveranstaltung, das ihn “bestenfalls an die Unterteilung der Menschen ‘in Zeitungsleser und Nichtzeitungsleser, in Theaterbesucher und Nichttheaterbesucher’ erinnere”. Die Warnung, dass eine ungleiche Verteilung von Zugangsmöglichkeiten zu Information und Zukunftstechnologien weltweit eine bislang ungeahnte Dynamik der sozialen und kulturellen Friktionen entfesseln werde (siehe dazu auch S.24), hatte den Staatssekretär für Kunst und Medien schlichtweg kalt gelassen.
Morak reloaded? Zwei Jahre später gibt sich der Staatssekretär in offizieller Mission der Bundesregierung davon überzeugt, dass “die Politik für eine erfolgreiche Entwicklung der Informationsgesellschaft für die geeigneten Rahmenbedingungen sorgen muss”. Und siehe da: “Die Aufgaben umfassen nicht-regulatorisches, förderndes Handeln, etwa die Unterstützung bildungspolitischer Maßnahmen zur Vermeidung der viel zitierten ‘digitalen Kluft’.” Der Matrix drohe eine Gefahr der gesellschaftlichen Spaltung, aus der wiederum “Risiken für die politische Stabilität” des ganzen Landes resultieren würden. Die Hoffnung sei dennoch nicht aufzugeben, denn Österreich verfüge über “eine der höchsten Mobiltelefon-Nutzungsraten Europas”, ein Hinweis darauf, dass die Menschen durchaus bereit sind, “die großen kommunikativen Chancen der Informationsgesellschaft anzunehmen”. Der Matrix wird konsumistische Lebensfreude zur geistig-kulturellen Daseinsvorsorge eingehaucht.
Dass wichtige Kulturinitiativen, die als partizipative Medienplattformen seit langem im kulturellen Feld Bewusstseinsarbeit für die gesellschaftlichen Implikationen der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien leisten, von eben diesem Franz Morak in ihrer Existenz massiv gefährdet werden, ist weder im schwarz gestylten Magazin für modern politics nachzulesen noch wird Kofi Annan wohl je davon erfahren. Der nachhaltige Bestand der Grundlagen einer kritischen und unabhängigen kulturellen Praxis wurde in der Programmschrift für das Redesign der Matrix als Code Inconnu in ein kulturpolitisches Nichts getaucht.
Aufschluss darüber gibt die Regierungserklärung zur Neuauflage der Koalition von ÖVP und FPÖ. Im Kapitel Kunst und Kultur findet sich gleich vorweg eine Anhäufung von Allgemeinplätzen und allerlei hohlen Phrasen. Man werde “dafür Sorge tragen”, verpflichtet sich die schwarz-blaue Equipe, “dass sich Künstlerinnen und Künstler in einem pluralistischen Dialog frei entwickeln können.” Diese große Geste musste noch mit einer Präzisierung versehen werden: “Ein zeitgemäßer Kulturbegriff schließt alle Formen etablierter sowie jene neuer Kunst und Kultur mit ein.” Dieses Bekenntnis für das Neue ist für die Matrix der schwarzen Hippness ein wohldosiertes Grundbekenntnis. Doch was steckt im Detail?
Im Vergleich zu den kulturpolitischen Zielformulierungen des Kabinetts Schüssel I fällt auf, dass im neuen Papier die Kräfteverschiebung zu Gunsten der christlich-konservativen Kanzlerpartei zu erkennen ist. So wie die Freiheitliche Partei angesichts des Wahlergebnisses von 2002 auch in der Bundeskulturpolitik eine kräftige Einschränkung ihrer Macht erfahren musste, ist die national-populistische Handschrift nicht mehr in dem bisher gewohnten Ausmaß auszumachen. FP-affine Begrifflichkeiten, am auffälligsten ist hier die Volkskultur, wurden für die zweite Legislaturperiode kurzerhand entfernt.
Von der Alarmmeldung ist in der Matrix dennoch nicht abzulassen. Regionale Kulturarbeit darf keinesfalls aufatmen, wenn sie – wie etwa auch im neuen Regierungsprogramm – zu einem der Schwerpunkte auserkoren wird. Tatsächlich zählten die nonkonformen Kulturprojekte seit dem Februar 2000 zu den ersten Betroffenen einer von politischem Argwohn geleiteten Förderpolitik. Darüber täuscht auch der verlockende Wink mit Subventionsstreichungen bei Mainstream-Festivals in der missliebigen Bundeshauptstadt Wien nicht hinweg. Der angebliche Vorteil der Regionen kam bisher vor allem dem Kärntner Landeshauptmann für ein Denkmal des anti-slowenischen Abwehrkampfs, dem Land Salzburg für die Ausrichtung eines Wirtschaftspreises (Europrix des Forschungs- und Entwicklungszentrums Techno-Z) sowie dem Kunststaatssekretär selbst zugute. Der Kunstbericht 2001 belegt, dass sich Franz Morak mit 6 Millionen Schilling (ca. 436.000 Euro) für seine PR-Kampagne unter dem Titel Kunst gegen Gewalt geradezu fürstlich selbst versorgte.
Insgesamt ist im Kapitel Kunst und Kultur des Regierungsprogramms nicht viel politischer Gestaltungswille ausfindig zu machen. Die Absicht, “sich für eine “Nichtaufnahme der Bereiche Kunst und Kultur in die Verhandlungen zum GATS” einzusetzen, kann dieses Manko nicht ersetzen. Eine “Gesamtstudie zur Museumslandschaft”, die Vorbereitung der “Sonderausstellung 50 Jahre Staatsvertrag” sowie die “Erarbeitung eines Gesamtprogramms zur Wahrnehmung der baukulturellen Verantwortung des Bundes” deuten zudem klar darauf hin, dass die Kulturpolitik dieser Bundesregierung nicht in die Zukunft weist. Es findet sich keine Andeutung, wie der demokratie- und gesellschaftspolitischen Bedeutung von Kunst und Kultur durch Regierungspolitik Rechnung getragen werden soll.
Stattdessen liest sich der Wunsch nach einer Verbesserung der “kulturellen Beziehungen zu den EU-Kandidatenländern und zu den Ländern Südosteuropas” geradezu zynisch. Viele Kulturinitiativen pflegen seit langem über Grenzen hinweg ausgezeichnete Kontakte. Nicht zu übersehen ist jedoch, dass diese vor allem durch den Überlebenskampf im eigenen Land gefährdet sind. Das langfristige Problem dabei: Unplugged wird die Matrix bestenfalls in schwarzen Löchern enden.
“Matrix Reloaded gerät außer Kontrolle, denkt aber wenigstens darüber nach”, schreibt Telepolis, das Online-Magazin für Netzkultur, kurz nach der Filmpremiere des Blockbusters in den deutschsprachigen Kinos. Die Kulturpolitik unter Franz Morak scheint in einem Tempo außer Kontrolle geraten zu sein, dass ein Einlenken auf rationale Weise kaum herbeizuführen wäre. Ein Amoklauf in Bullet-Time? Ist der Staatssekretär für Kunst und Medien von der Schnelligkeit seiner Zeit so sehr überfordert? Der Begriff Amok entstammt dem Malayischen und bedeutet “blindwütiges Verrichten”. Die ansteigende Häufigkeit gilt als immer noch untrügliches Zeichen dafür, dass die gesellschaftliche Stabilität nicht mehr vorhanden ist. Das bleibt – ohne Ausnahme – natürlich auch für das Individuum nicht ohne Folgen. Die überfallsartige Streichung der Bundessubvention der Wiener Festwochen sowie der ebenso abrupte Entzug der ohnehin bescheidenen Finanzmittel für die Austria FilmCoop zeugen alleine in diesem Jahr von Verhaltensauffälligkeiten eines nervösen Pistoleros. Ob menschliche Hundswut oder sinnlose Monomanie – Stefan Zweig würde diesem Franz Morak wohl großräumig aus dem Wege gehen. Ob ihm die Repression damit erspart bliebe, ist dennoch nicht gewiss. Was also tun, bei soviel Unglück im schwarzen Glück der Modern Politics?
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, machen Sie es wie im Film. Die Losung lautet: Get me out of here! Schließlich wird auch der Science Fiction-Saga, soviel hat Hollywoods PR-Industrie bereits verraten, unter dem verheißungsvollen Filmtitel Matrix Revolutions ein fulminantes Happy End beschert (wenn’s jemandem ein Trost ist: Der letzte Teil der Matrix-Trilogie ist bereits ab Dezember 2003 auf der Kinoleinwand zu sehen).