Maulfauler Marboe

Eigentlich sollte auch die Politik ein Interesse daran haben, was im Museumsquartier passieren wird.

Marboes Eröffnungsrede nützt den festlichen Moment. Er spricht vom “Segen und Fluch der Künstler, die auch in Zukunft dieses Haus gestalten werden”. Und er verweist auf die raue Atmosphäre, die oft keine Schonung für die Künstler kennt. Das Erfreuliche: Öffentliches Interesse wird damit auf die Befindlichkeit von Kunst gelenkt, die im Allgemeinen nicht allzu große Wertschätzung erfährt. Und dennoch schade. Dieser Appell nimmt nicht als Vision das Jahr 2001 vorweg, wenn im Museumsquartier in einem Halbjahresreigen die großen Kunstinstitutionen eröffnet werden. Marboes Worte greifen zurück. Genauer in den November 1955, als es dem Leiter der Bundestheater Ernst Marboe vorbehalten war, mit der wieder errichteten Staatsoper nun auch ein Kultursymbol der Freiheit den Österreichern zum Geschenk zu machen.

Einen Marboe kennt auch die Gegenwart. Und wie schon zuvor der Vater wurde auch Peter Marboe über den Weg der Diplomatie zu höherer Verantwortung berufen. Kunst, Politik und kulturelle Wegbereitung iin ein Gefüge von historischer Tragweite zu verzahnen, ist ihm allemal bekannt. Welches Museumsquartier macht er also den Österreichern zum Geschenk?

Das kulturelle Großprojekt wurde an dieser Stelle bereits von Dietmar M. Steiner (“Die stille Debatte”, Falter 16/00) und Gerald Matt (“ZiemIich sexy”, Falter 17/00) im Hinblick auf die libidinöse Wirkung und auf das Ruhebedürfnis der an der Diskussion Beteiligten erörtert. Nun ist es an der Zeit, konkret nach der politischen Verantwortung zu fragen. Der Widerruf der Prekarien von Public Netbase t0, Depot, Springerin und basis wien hat Anfang April in aller Welt viel Irritation und Protest hervorgerufen. Gemeinsam blickt man im Augenblick ins Leere. Kein Angebot eines Ersatzquartiers zur temporären Überbrückung der für 2001 anberaumten Delogierung, kein Hinweis auf einen politischen Willen zum weiteren Verbleib im Areal.

Public Netbase t0, das Pionierprojekt an der Schnittstelle von Kunst und neuen Medien, steht damit vor einem ernsthaften Problem. Und eine Begleiterscheinung stellt eine besonders große Überraschung dar: die Teilnahmslosigkeit der kulturpolitischen Verantwortung in Wien. Anders ist der Umstand nicht zu deuten, dass ein briefliches Ersuchen an Peter Marboe, zu den Perspektiven der Kulturarbeit von Public Netbase t0 Stellung zu beziehen, bis heute ohne Antwort blieb.

Um eine kulturpolitische Nichtigkeit dürfte es sich bei dieser Angelegenheit nicht handeln, da selbst Finanzstadträtin Brigitte Ederer (als eine der wenigen auf dieser Ebene) ihre Besorgnis um die Vorgänge im Museumsquartier zum Ausdruck zu bringen wusste. Es nützt dem Kulturstadtrat daher wenig, sich auf den Standpunkt zurückzuziehen, er sei in der Frage der Gestaltung der künftig frei werdenden Flächen des Fischer-von-ErlachTraktes gar nicht zuständig. Das Museumsquartier befindet sich im Zentrum Wiens, man spricht mittlerweile von einem eigenen Bezirk. Ein Politiker, der in berechtigter Abgrenzung zur FPÖ nicht müde wird, seine Impulswirkung für Wien und sein Eintreten für eine “offene; zukunftsorientierte Politik” zu preisen, sollte vor dem Impact des Museumsquartiers auf die umliegenden Stadtgebiete seine Augen nicht verschließen. Politischer Wille ist nicht nur auf dem ehrenhaften Parkett festlicher Zeremonien gern gesehen, sondern vor allem auch in der Niederung der schwierigen Entscheidungen.

Public Netbase t0 erweist Wien mit der angewandten Implementierung der Zukunft einen großen Dienst (den man sich noch dazu nicht allzu viel kosten lässt), die Stadt wurde um eine spannende Perspektive reicher. Marboe könnte sich auch dadurch erkenntlich zeigen, indem er seiner Parteikollegin Elisabeth Gehrer deutlich widerspricht, wenn diese als ressortverantwortliche Ministerin in der Öffentlichkeit erklärt, die “Pragmatisierungsbegierde” der kleinen Prekaristen würde dem Einzug des Neuen in das Museumsquartier im Wege stehen. Die Initiativen der lebendigen Vielfalt als Modernisierungsverhinderer? Der Herr Stadtrat zieht es vor zu schweigen.

Im Jahre 1955, zum Zeitpunkt der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper, war der Ansturm der jungen österreichischen Moderne gegen das faule System der neuen Republik bereits weitgehend verzweifelt. Eine Mischung aus konservativer Politik, dumpfsinnigem Heimatbild und dem Hang zur verklärten Tradition (nach Theodor W. Adorno eine “musikalische Backhendlzeit”) gewann im Alltag schnell die Oberhand. Der Marboe der Jahrhundertmitte wurde an verantwortlicher Stelle Zeuge seiner Zeit. Der Marboe der Jahrtausendwende könnte das Blatt von morgen allerdings schon heute wenden. Nicht der Stillstand sollte als Spektakel den Auftakt des Museumsquartiers zieren, sondern ein klares und aktives Bekenntnis zur kulturpolitischen Verantwortung. Public Netbase t0 hat die Hoffnung nicht aufgegeben.