Wien und sein Kulturstadtrat

Eine Bilanz Peter Marboes nach einhundert Tagen im Amt

Ein Politik-Quereinsteiger ist vielleicht noch die “Enttäuschung” wert: Peter Marboe, der neue Kulturstadtrat von Wien. Gerade erst hundert Tage im Amt, verdient der zunächst Beargwöhnte nun auch das Augenmerk der KUPF.

Im Anfang war das Wort: “Bei einer Beteiligung der ÖVP an der Wiener Stadtregierung erhalten das WUK und die ARENA keine Subventionen mehr!” Wortgewaltig unterstrich Bernhard Görg im Wiener Wahlherbst vergangenen Jahres seinen Anspruch auf die Galionsfigur der bürgerlichen Wende. Tatsächlich hat er – möglich gemacht nur durch kräftiges Zutun aller anderen Parteien – den Sozialdemokraten im Rathaus mit dem Kulturressort eine der kostbaren Bastionen jahrzehntelanger Allmacht abgetrotzt. Ursula Pasterk mußte als bereits legendäre Kulturstadträtin gehen, und dem Verlust folgte sogleich ein kollektiver Aufschrei der Entrüstung. Mittlerweile ist ein halbes Jahr vergangen. Fast ebensolange sieht sich die Kulturszene bei Peter Marboe mit erkennbar neuen, keineswegs aber, wie noch zuvor angekündigt, mit böswillig destruktiven Herausforderungen der Kulturpolitik in Wien konfrontiert.

Zu Jahresbeginn hat sich im WUK die Aufregung rund um das Görg-Zitat gelegt. Im Bezirk war man bereits an ÖVP-Politiker gewohnt. So etwa an deren abstruse Idee, das Areal lebendiger Vielfalt an der Währingerstraße mittels Tiefgaragen zu unterminieren. Nun aber sorgte das erste Gespräch mit Peter Marboe für große Überraschung. “Der Mann hat durchaus überzeugende Qualitäten.” Vorstandsmitglied Gerald Raunig skizziert nach seiner Begegnung mit dem neuen Kulturstadtrat ein erstes vorsichtiges Profil: “Marboe ist ein Intellektueller und als Politiker auch Diplomat, er ist liberal, welterfahren, insgesamt sympathisch.” Das WUK-Team fühlte sich in jeder Hinsicht respektiert. Und auch von Kürzungen war keine Rede mehr. Im Gegenteil. Marboe erklärte, er wolle seine Partei in Zukunft von der Bedeutung des Hauses überzeugen, von der Unverzichtbarkeit für eine Stadt wie Wien. Hier ist erstmals Skepsis angebracht: “Marboe könnte es wie seiner Vorgängerin ergehen”, hegt Gerald Raunig konkrete Zweifel. “Pasterk hatte in der SPÖ keine Hausmacht hinter sich, und Marboe gerät schon jetzt mit ambitioniertem Kurs unter den Druck seiner Fraktion.”

Folgt man alleine den Medienberichten, besticht der zuvor noch Unbekannte tatsächlich mit Tatendrang und eifrigen Ideen. Das ins Unendliche verschleppte Projekt “Museumsquartier” taucht mit dem Ruf nach Realisierung ebenso wieder auf, wie eine Radikalkur der “Vereinigten Bühnen” oder die überfällige Restrukturierung des Wiener Beirätesystems. Unter den Aktivistinnen dagegen ist Stille eingetreten. Enthält die numehrige Zurückhaltung der Vereine und Kulturstätten nicht auch Kritik am Vorgehen der “Kulturfigur” Pasterk? “Mit der Ernennung Peter Marboes zum Ressortverantwortlichen ist etwas in Bewegung geraten”, erklärt Gernot Lechner, Vorsitzender der Wiener IG Kultur. “Die Szene ist mit einem Male aus ihrem Dämmerschlaf erwacht.” Über lange Jahre hinweg habe die “Rote Ursel” den Kulturschaffenden soziale Wärme und Sicherheit geboten, manches dringende Anliegen jedoch wurde selbst unter sozialdemokratischer Ägide ganz bewußt hintangestellt. So kommt es, daß ausgerechnet Wien im Vergleich der Bundesländer noch immer über kein Kulturförderungsgesetz verfügt. Und auch um die Weiterentwicklung der im letzten Jahre erstmals mit Geld ausgestatteten Ländervernetzung steht es im großen und ganzen noch immer eher schlecht.

Nach den ersten einhundert Tagen sehen jetzt also nicht nur die Betroffenen viele Dinge klarer. Peter Marboe selbst mußte in der Schnupperzeit erfahren, daß etwa die Verantwortlichkeit über die ARENA keineswegs seinem gerade eben übernommenen, sondern vielmehr dem Sozialressort obliegt. Dennoch erschien der Politiker im ehemaligen Schlachthof ohne Anmeldung zum Rave, tauchte spät nach Mitternacht in dröhnender Ekstase unter rund sucht im Anschluß daran einmal mehr das direkte Gespräch. Gemeinsam mit AktivistInnen kam Marboe letztlich dahingehend überein, in Hinkunft eigene Pforten auch für kulturelle Projekte der ARENA zu eröffnen,. “Die Berührungsflächen allerdings”, schränkt Thomas Thaler, ein Sprecher des Hauses, gleich ein, “Bleiben auch weiterhin sehr gering”. Das gesellschaftliche Experiment ARENA ist in der Öffentlichkeit unverändert heftig umstritten, und selbst SozialdemokratInnen sprechen kaum mehr von alternativer Lebensform. Sie sehen in der ARENA jetzt vielmehr eine Einrichtung des Magistrats, ähnlich dem Stadtgartenamt oder etwa den Bibliotheken, vor allem aber als institutionalisierte Verfügungsmasse und Bollwerk gegen “Rechts”.

Vom ersten Tage an sprach Peter Marboe von seiner Vision der Entpolitisierung von Kultur und Kunst. “Was darunter im konkreten zu verstehen ist”, darüber sind sich alle Befragten einig, “daran wird der neue Kulturstadtrat zu messen sein.” Wenn Marboe mit der Zahnlosigkeit im kulturellen Engagement der Initiativen spekuliert, sind schwerwiegende Konflikte von vornherein programmiert. Es liegt nun an allen Beteiligten, auf den ersten Erfahrungen im Umgang miteinander aufzubauen und diese für konkrete Gestattung in der Kulturpolitik zu nutzen. “Ich fordere eine Politik der Entwicklung un der Ermutigung!” Vielleicht kann Gernot Lechner für die IG Kultur Wien mit einem der zu Zeit aktuellsten Schritte Peter Marboes tatsächlich noch zufrieden sein. Der Nachfolger Ursula Pasterks hat erstmals Konzepte mittelfristiger Finanzierung VerwaltungsjuristInnen zur Überprüfung vorgelegt. Nicht zuletzt in dieser Frage, einer in Oberösterreich ebensosehr zur Verwirklichung anstehende Notwendigkeit, verdient Peter Marboe auch weiterhin das Augenmerk der KUPF.