Renard hoch zwei

Vor der WM 2023 präsentierten sich Frankreichs Fußballfrauen wenig weltmeisterlich

Frankreichs Nationalteam hat viele Stars im Kader. Groß ist daher die Hoffnung auf den überfälligen Triumph bei der WM 2023. Doch aufgrund einer Revolte und eines überstürzten Trainerwechsels läuft die Vorbereitung nicht gerade weltmeisterlich.

Frankreich erlebt seit Jahresbeginn zahlreiche Turbulenzen. Energiekrise und Teuerung treffen die Bevölkerung hart, zudem hat Staatspräsident Emmanuel Macron eine Anhebung des Pensionsalters durchgepeitscht, was im Land der vielen Streiks eine tiefe Spaltung nach sich zog. Unter diesen Umständen ist es gar nicht so leicht, für fußballerische Schlagzeilen zu sorgen. Die Tumulte beim Nationalteam der Frauen, die aus einer Eskalation von internen Streitigkeiten resultierten, fanden aber dennoch reichlich mediales Echo.

Im Februar bestritt das Team, wie schon in den Jahren zuvor, erfolgreich das Einladungsturnier Tournoi de France, diesmal gegen Norwegen, Dänemark und Uruguay. Doch schon die Freude bei der Siegesfeier blieb verhalten – und noch nicht einmal eine Woche später platzte eine Bombe, deren Sprengkraft auch die Spitze des Verbands erfasste. „Ich habe keine Lust mehr zu leiden und werde die WM unter den aktuellen Bedingungen nicht bestreiten“, schrieb Kapitänin Wendie Renard in ihren Social-Media-Kanälen. „Ich kann das derzeitige System nicht mehr gutheißen, das weit entfernt ist von den Anforderungen auf höchstem Niveau.“ Damit lockte sie einen Geist aus der blau-weiß-roten Flasche, der sich bereits im Vorfeld der EM 2022 bemerkbar gemacht hatte und nun nicht mehr aufzuhalten war. Das Wort der Kapitänin hat Gewicht, das ist der großgewachsenen Abwehrchefin von Olympique Lyon durchaus bewusst.

Am und im Out

Somit überrascht es wenig, dass wenig später die Stürmerinnen Kadidiatou Diani und Marie-Antoinette Katoto, beide bei Paris Saint-Germain unter Vertrag, dem Beispiel folgten und ebenfalls öffentlichkeitswirksam den Verzicht auf eine WM-Teilnahme erklärten. Damit war die Revolte perfekt, ein Erbstück der französischen Republikgründung, das auch in der Dramaturgie des Frauenteams nicht fehlen darf. Es bestand kein Zweifel, gegen wen sich der Zorn richtete: Teamchefin Corinne Diacre. Sie hatte das Amt im September 2017 übernommen und immer wieder für polarisierenden Gesprächsstoff gesorgt, was ihr nicht nur aufgrund des ausbleibenden Erfolgs bei der WM 2019 wenig Sympathien bescherte. Die Fans haben ihr vor allem nicht verzeihen, dass sie die verdienstvollen Spielerinnen Amandine Henry und Eugenie Le Sommer ausmusterte. Diacre zeigte sich in dieser Angelegenheit nicht gesprächsbereit. Sie stand meist mit eiserner Miene am Spielfeldrand und versuchte von dort aus, ihre zunehmend enervierte Truppe zu mehr Loyalität und Disziplin anzuspornen.

Anfang März trat schließlich ein, was abzusehen war: Der Verband bereitete dem ursprünglich bis zu den Olympischen Spielen 2024 in Paris verlängerten Vertrag mit der Teamchefin ein Ende. Er begründete das mit der Notwendigkeit, so kurz vor der WM in Australien und Neuseeland weiteren Schaden abzuwenden. Diacre wurde mit einer Abfertigung in Höhe von 900.000 Euro entschädigt, das alleine reichte jedoch nicht für ein Ende des Schreckens. Der umstrittene Verbandspräsident Noel Le Graet trat Ende Februar ebenfalls zurück. Nach Vorwürfen der sexuellen Belästigung hatte die Justiz Ermittlungen gegen den 81-Jährigen begonnen. Für den französischen Fußball bleibt wohl ein Bild noch lange Zeit erhalten: Le Graet stand Diacre stets als Schutzpatron zur Seite, was ihn vielleicht dazu verleitete, ihre Spielerinnen verächtlich als Zicken zu bezeichnen.

Traumabewältigung

Jetzt sind Le Graet und Diacre weg, doch mit diesem Aufatmen alleine lässt sich kein Turnier bestreiten, das den überfälligen Titel bescheren soll. Die Gerüchtebörse überschlug sich, war doch in euphorischen Medienberichten von Thierry Henry als möglichem neuen Teamchef zu lesen – doch daraus wurde nichts. Der Verband erkannte, dass in Anbetracht der knappen Zeit wohl kleinere Brötchen zu backen seien. Dann kam er: Herve Renard, ein Abenteurer des Weltfußballs, der auf mehreren Kontinenten Station gemacht hat. Mit Sambias Männern gewann er 2012 den Afrika-Cup, mit der Elfenbeinküste 2015. Bei der WM 2022 stand er als Teamchef von Saudi-Arabien im Rampenlicht.

Das sorgt nun für Optimismus, wenn in den Cafés des Landes die WM-Aussichten debattiert werden. Der Neue ist immerhin der einzige Franzose, dem es in Katar gelungen ist, den Argentiniern eine Ohrfeige zu verpassen. Er hat einen vorläufigen Kader präsentiert, der mit der Konfliktvergangenheit abschließen soll und viele klingende Namen aus den europäischen Topligen aufzuweisen hat. Henry und Le Sommer aus Lyon dürfen sich zur Wiedergutmachung ihres Diacre-Traumas über ein WM-Ticket freuen. Daneben ruhen die Hoffnungen auf Offensivkräften wie Clara Mateo (Paris FC), Viviane Asseyi (West Ham United) und Diani, die anders als die verletzte Katoto wieder dabei ist. Auch Mittelfeld und Verteidigung können sich sehen lassen: Selma Bacha (Olympique Lyon) und Sakina Karchaoui (Paris Saint-Germain) haben bereits einige Turniererfahrung, hinzu kommen Sandie Toletti (Real Madrid), Kenza Dali (Aston Villa) und Estelle Cascarino (Manchester United). Und natürlich die vom Rücktritt zurückgetretene Wendie Renard, die den Umbruch mit Freude begrüßte. “Ich spüre eine Welle der Begeisterung, auf der wir gerne reiten möchten”, sagte sie dem Fernsehsender TF1. “Wir haben ein gemeinsames Ziel.”

Jetzt beginnt das große Bangen von vorne. Den Neuanfang will niemand so recht als weltmeisterlich betrachten, dennoch sind die Weichen gestellt. Anfang Juni wurde Philippe Diallo, der als Geschäftsführer der Vereinigung der professionellen Fußballvereine bereits Bekanntheit erzielt hatte, bis 2024 zum Interimsverbandspräsidenten gewählt. Mit ihm an der Spitze soll die neue Erfolgsformel nun lauten: Herve Renard plus Wendie Renard ergeben einen Titel. Am 26. September trifft Österreich in der Nations League auf Frankreich. Vielleicht werden die ÖFB-Frauen dann die Weltmeisterinnen willkommen heißen.

Fotocredit: Oliver H, CC BY-SA 3.0

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