Reaktionen auf die lückenhafte Erinnerungskultur des offiziellen
"Gedankenjahrs 2005" versammelt das Buch rebranding images –
Präsentation und Diskussion am Donnerstag
Wien – Fast ein ganzes Jahr ist das so genannte "Gedankenjahr 2005" nun
vorbei. Die Art und Weise wie das öffentliche Österreichs im Rahmen des
Jubiläums versuchte, Geschichtsbewusstsein zu vertiefen und verstärktes
Nachdenken über die Vergangenheit anzuregen, wurden von verschiedener
Seite als sowohl lücken- wie auch mangelhaft kritisiert. Einige
Aufsätze, die in diesem Zusammenhang – als Gegenreaktion – entstanden
sind, haben Martin Wassermair und Katharina Wegan im Essay-Band
"rebranding images. Ein streitbares Lesebuch zu Geschichtspolitik und
Erinnerungskultur" versammelt.
derStandard.at/Kultur lud Martin Wassermair zum E-Mail-Interview.
derStandard.at: "Rebranding Images". Der Titel des Buches läßt zunächst
an den Werbesektor und deren Sprache, an den Aufbau von Marken –
"Branding" – denken. Inwiefern verbindet sich dieser Begriff mit
Geschichtspolitik und Erinnerungskultur?
Martin Wassermair: Der Titel wurde von Katharina Wegan und mir ganz
bewusst gewählt, um auf die vielfach unterschätzte Wirkungsmacht von
historischen Bildern und Erzählungen hinzuweisen. – Gerade das
Multimedia-Zeitalter bietet emotional aufgeladene Möglichkeiten, etwa
den österreichischen Opfermythos oder die Überlieferung einer
sozio-ökonomischen Erfolgsgeschichte in der Nachkriegszeit tief und
nachhaltig zu verankern. Hier gibt es tatsächlich Parallelen mit den
Techniken der Werbewirtschaft.
Wir wollen mit unserem Essay-Band, an dem insgesamt 21 Expertinnen und
Experten aus den Bereichen Zeitgeschichte, Politikwissenschaft, Kunst,
Kultur und Aktivismus mitgewirkt haben, nicht zuletzt darauf hinweisen,
dass in der Geschichtspolitik und Erinnerungskultur selbstverständlich
politische Interessen und Herrschaftsmuster zum Ausdruck kommen.
Profunde Kritik und Reflexion müssen mit dem Wissen um die
Zusammenhänge auch die Erörterung von Handlungsoptionen nach sich ziehen.
derStandard.at: Sind Bilder und Images, die von öffentlicher Seite zu
politisch oder gesellschaftlich relevanten Themen gebildet werden, für
jedermann zu entschlüsseln? Müsste ein Beitrag geleistet werden, dass
man zukünftig quer durch alle Bevölkerungsschichten, besser damit
umgehen kann.
Wassermair: Wir wollen mit unserem "Lesebuch" nicht den pädagogischen
Finger erheben, sondern eine Sammlung streitbarer Positionen und
Standpunkte vorstellen. Alleine das Beispiel der TV-Dokumentationen von
Hugo Portisch macht seit nunmehr 20 Jahren deutlich, dass gängige
Narrative kaum hinterfragt werden.
"rebranding images" versucht, die Bedeutung der Medien gerade auch im
Hinblick einer Selbstermächtigung hervor zu streichen. Wir wollen dazu
motivieren, der mächtigen Mainstream- und Massenunterhaltungsindustrie
auch in der Produktion von Geschichtsbildern das Terrain ein bisschen
streitig zu machen. Mit eigenständig erarbeiteten Videos, Websites,
Radiosendungen und nicht zuletzt auch Büchern lässt sich vermitteln, was
eben in ORF, Kronen Zeitung und NEWS großteils nicht anzutreffen ist.
derStandard.at: Inhaltlich geht es ja um eine Aufarbeitung dessen, was
im österreichischen "Gedankenjahr 2005" von offizieller Seite passiert
ist. Eine Abrechnung mit dem Vorschlag Gegenbilder für das
"rot-weiß-rote Credo" zu finden? Wie sehen einige dieser Gegenbilder aus?
Wassermair: Das so genannte Gedankenjahr war vor allem von einer
Erzählung des österreichischen "Wirtschaftswunders" und einer bewussten
Missdeutung des Begriffs "Freiheit" durch die Verknüpfung mit dem
Staatsvertrag 1955 geprägt. In den Regierungsfeierlichkeiten fanden die
NS-Kontinuitäten ebenso wenig Erwähnung wie die Rolle der Frauen oder
der Migrantinnen und Migranten.
Gegenerzählungen finden daher viele Leerstellen vor, die es aufzufüllen
gilt. Alleine die aktuelle Sozialentwicklung und die zunehmende Schere
zwischen Arm und Reich macht einen Rückblick notwendig, der die
Jahrzehnte nach 1945 nicht mit angeblichen Errungenschaften der
Sozialpartnerschaft verklärt, sondern gesellschaftliche Gegensätze als
historisch-politische Realitäten vermittelt.
derStandard.at: An welchen Leser richtet sich das Buch?
Wassermair: Schon vor Erscheinen des Buches gab es ein reges Interesse
aus Politik, Kultur und Wissenschaft. Zumal wir aber ganz bewusst auch
junge Autorinnen und Autoren eingeladen haben, sind wir sehr
zuversichtlich, damit auch ein jugendliches Publikum zu erreichen.
Jedenfalls wünschen wir uns, dass wir damit für weitere
geschichtspolitische Aktivitäten Anstöße bieten können. Schließlich
werden 2007 für das "Haus der Geschichte" wichtige Entscheidungen
getroffen, schon ein Jahr später wird Österreich der Auslöschung durch
das NS-Terrorregime 1938 gedenken. (Interview: Anne Katrin Feßler)