2016 wird Politik – von der Empörung zur politischen Aktion

Schlussfolgerungen aus dem Mikrokosmos des eigenen Unbehagens

In ihrem streitbaren Beitrag zum kulturpolitischen Sammelband “Nach dem Ende der Politik” nimmt Jodi Dean sehr nachdrücklich davon Abstand, eine allgegenwärtig empfundene Entpolitisierung als Rechtfertigung zu akzeptieren, die das Versagen von Verantwortlichkeit überdecken soll. Die derzeitigen Verhältnisse, so nimmt die renommierte US-amerikanische Politikwissenschaftlerin zerknirscht zur Kenntnis, seien in den Paradigmen von “Ent-Demokratisierung und Post-Demokratie” deshalb “post-politisch, weil die rasante Verbreitung und Intensivierung der neoliberalen Wirtschaftspolitik die einzelnen Staaten den Forderungen von Konzernen und der scheinbar unausweichlichen Logik des Markts unterwerfen”.

Die Darstellung der Zusammenhänge lässt es nicht an analytischer Präzision vermissen. Doch bedeutet das “Ende der Politik” auch tatsächlich das Ausbleiben politischer Ideen und politischer Aktion? In dieser Frage ist sicherlich hilfreich, sich in die Überlegungen von Jodi Dean noch weiter zu vertiefen. Mitunter genügt aber auch schon der geschärfte Blick in den Mikrokosmos des eigenen politischen Unbehagens. Dass aus dem Selbstopfer der Politik auf dem Altar des Neoliberalismus auch die Verzweiflung der eigenen Handlungsunfähigkeit abgeleitet werden muss, ist jedenfalls keineswegs in ewigen Stein gemeißelt.

Empörung und Angst

Und so erlebt vor allem die Empörung schon seit geraumer Zeit einen bis heute ungebrochenen Konjunkturaufschwung. Den aus emanzipatorischer Perspektive vielleicht wichtigsten Anstoß bot vermutlich Stéphane Hessel, ein ehemaliger Kämpfer der französischen Résistance, der mit seinen Streitschriften “Empört euch!” und “Engagiert euch!” die Kritik an der Macht des Finanzkapitalismus sowie an der misslichen Lage der Menschenrechte zu popularisieren wusste. Auf alle Fälle bleibt – auch über dessen Tod im Jahr 2013 hinaus – Hessels eindringliche Warnung vor einem gefährlichen Leitmotiv der Politik erhalten, das die Gesellschaft und ihre Zuversicht, auf demokratischem Wege Lösungen für bevorstehende Herausforderungen zu entwickeln, gegenwärtig unerbittlich in Geiselhaft zu halten scheint – die Angst.

Angst lag, so glaubt es die Motivforschung zu wissen, als wirkmächtiges Paradigma wohl auch der oberösterreichischen Landtagswahl am 27. September 2015 zugrunde. Ein ganz erstaunliches Phänomen, das es aber allemal ernst zu nehmen gilt. Aber wie kommt es, dass – wie etwa schon geraume Zeit vor dem Urnengang – eine in ihrer hegemonialen Dominanz unbeeinträchtigte Mehrheitsgesellschaft in Furcht vor Fluchtsuchenden geradezu erstarrt und demzufolge den Vormarsch der Rechtsextremen sowie deren politische Agenda mit großem Zuspruch stärkt? Die Ursachen sind unbestritten vielfältig. Zuerst sollte man sich vor Augen halten, dass Politik ganz allgemein ein zunehmend schlechter werdendes Ansehen genießt. Grundsätzlich sind demokratische Werte in Österreich noch weitgehend verankert. Dennoch schwindet neuesten Umfragen zufolge auch in der breiten Bevölkerung das Vertrauen in die staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen. Eine von zehn der befragten Personen bezweifelt mittlerweile, dass es sich bei Demokratie um die beste Regierungsform handle, während bereits jede vierte einer autoritären Führerfigur, die sich nicht mit Parlament oder Wahlen zu befassen hat, etwas Positives abgewinnen kann.

Privatisierung der öffentlichen Diskurse

Hinzu kommt die vielfach fatale Rolle zahlreicher Medien. Diese tragen mittlerweile ganz wesentlich zur Privatisierung der öffentlichen Diskurse bei, verschaffen jenen, die vor allem über Geld verfügen, die entscheidenden Vorteile, Meinungsvielfalt einzuengen und auf diese Weise dem vermeintlich alternativlosen Wertekanon einer profitgierigen Finanz- und Wirtschaftsmacht endgültig zum Durchbruch zu verhelfen. Mediale Kontrolle, mutige Widerrede sowie der Anspruch auf kritische und vom Mainstream abweichende Meinungsbildung sind vor allem im ohnehin dürren Blätterwald längst ins Hintertreffen geraten. Unter derartigen Voraussetzungen findet das autoritär-neoliberale Programm auch in der oberösterreichischen Landespolitik neuerdings erweiterte Verwirklichungsmöglichkeiten. Die Veränderungen seit dem Wahlergebnis 2015, die anwachsende Stimmungsmache gegen Flüchtlinge, Arme und Andersdenkende sowie die Krise der Menschrechte gefährden zunehmend die demokratischen Grundlagen. Das schreibt sich – wenig verwunderlich – schließlich auch in einem geistig-kulturellen Klima fest, in dem etwa Kürzungen von Sozialleistungen für die Schwächsten der Gesellschaft als Ordnungsmaßnahme zur Aufrechterhaltung des Miteinanders nur auf geringen Protest und Ablehnung stoßen.

Doch noch einmal ganz allgemein: Wenn gesellschaftliche Entwicklungen, insbesondere zu Zeiten tiefgreifender Umbrüche und Diskontinuitäten, in den unterschiedlichsten Formen einer Typisierung unterzogen werden, lässt sich nur selten Näheres über die sozialen und ökonomischen Macht- und Herrschaftsverhältnisse erfahren. Arbeits-, Informations-, Medien-, Überfluss-, Wissens- und Zivilgesellschaft sind da nur ein paar Auszüge aus dem Register der trendigen Beschlagwortung, die oftmals Ratlosigkeit erzeugt, anstatt der gebotenen Orientierung zu mehr Klarsicht zu verhelfen. Die Empörung hat sich jedenfalls bereits ausreichend begründet. Wenn ein plurales und sozial gerechtes Gemeinwesen, ganz gleich, mit welchem Etikett von Gesellschaft es versehen wird, als öffentliche Angelegenheit neue Bedeutung – und zwar im Sinne ihrer Repolitisierung – erlangen soll, ist der Kampf gegen die kapitalistische Unterwerfungsdoktrin geradezu unausweichlich. Doch welche Schlüsse sind daraus zu ziehen? Wie manifestiert sich politische Aktion nun ganz konkret?

Notwendige Konflikte

“Nach der Empörung” ist der vielversprechende Titel eines neuen Buches von Klaus Werner-Lobo, das sich vor allem der Frage widmen möchte, was denn zu tun sei, wenn wählen alleine schon lange nicht mehr reicht. Der Autor und langjährige Aktivist hält unbeirrt daran fest: Gegen Machtmissbrauch, Umweltzerstörung, Demokratieabbau und die Missachtung von Menschenrechten helfen nur “Selbstermächtigung, Information, solidarisches Handeln und aktiver Widerstand”. Das führt unweigerlich zu Konflikten, die gerade im Hinblick auf eine Stärkung der demokratischen Wertehaltung zu den wesentlichsten Vorbedingungen zu zählen sind. Wer sich Menschen empathisch verbunden fühlt, die in immer größerer Zahl prekär leben und grundlegender Rechte sowie der Möglichkeit zur Mitbestimmung beraubt werden, kommt nicht umhin, sich gegen jene zu stellen, die aus der sich abzeichnenden Verelendung einen enormen Nutzen ziehen. “Wollen wir diesen Unterschied”, schreibt Klaus Werner-Lobo folgerichtig, “zumindest so ausgleichen, dass niemand mehr in Armut leben muss, müssen wir Reichtum und hohe Erbschaften besteuern, um Armutsbekämpfung und soziale Infrastruktur wie öffentliche Bildung und Gesundheit finanzieren zu können. Das heißt, mit jenen, die von ihren – in den meisten Fällen ererbten oder auf den Kapitalmärkten erbeuteten – Reichtümern nichts hergeben wollen, in Konflikt treten”.

Mediale Austragungsorte

Konflikte benötigen allerdings adäquate Austragungsorte, deren Wahrnehmung sich nicht bloß auf gesellschaftliche Randlagen beschränken darf. Das stellt insbesondere auch Freie Medien vor die große Herausforderung, den Projekten, Gruppen und Organisationen einer vielseitigen Zivilgesellschaft ein wirksames Sprachrohr zu bieten und zur Bewusstseinsbildung für mehr politische Courage und Engagement beizutragen. Und noch mehr: “2016 wird Politik” ist unter diesem Gesichtspunkt auch das ambitionierte Motto einer engen Kooperation von Radio FRO und dorf TV, um die Auseinandersetzung mit Politik und politischen Inhalten in den jeweiligen Programmen der beiden nicht-kommerziellen Linzer Sender noch weiter auszubauen und in der Medienlandschaft nachhaltig zu verankern.

Post-Politik, die in den vergangenen Jahren einen erstaunlichen Werdegang erleben durfte, gibt sich meist auf zweierlei Weise zu erkennen. Zum einen als Ideal des Konsens und der von oben verordneten Inklusion, die beide abzulehnen sind. Andererseits aber auch als Beschreibung  der derzeit stattfindenden Ausgrenzung und Abschottung des Politischen an sich. Politik aber, so zeigt sich auch Jodi Dean abschließend davon überzeugt, “muss immer Uneinigkeit stiften”. Und das ist doch schon ein sehr naheliegender Impuls, der zur Überwindung der Empörung auch in Oberösterreich einen ermunternden Weg in Richtung politischer Handlung weist.

 

Literaturhinweise

Konrad Becker, Martin Wassermair (Hrsg.), Nach dem Ende der Politik. Texte zur Zukunft der Kulturpolitik III, Löcker Verlag, Wien 2011.

Stéphane Hessel, Empört euch!, Ullstein, Berlin 2011.

Klaus Werner-Lobo, Nach dem Ende der Empörung. Was tun, wenn wählen nicht mehr reicht?, Deuticke, Wien 2016.