Der Ausstieg aus Europa

Kommentar zum Brexit

Die monatelang andauernde Aufregung rund um den Brexit findet im Vatikan vermutlich wenig nacheifernden Widerhall. Als König Heinrich VIII. im Jahre 1534 den völligen Bruch der englischen Kirche mit Rom und dem Pontifex Maximus vollzog, geriet die europäische Ordnung schon einmal gehörig ins Wanken. Da verwundert es nicht, wenn in den päpstlichen Refugien mittlerweile eine gewisse Gelassenheit überwiegt. Dem Eigensinn und Trotz der Royals war bereits vor einem knappen halben Jahrtausend nicht beizukommen. Also warum jetzt in die allgemeine Panik mit einstimmen?

Das Europa der Gegenwart wirkt angesichts der britischen Entscheidung, die Union verlassen zu wollen, tatsächlich wie paralysiert. Zweieinhalb Jahre nach dem Votum wird die Ratlosigkeit auf dem Kontinent fast täglich größer. Zudem sitzt der Groll tief, dass Großbritannien, so eine der dramatisierenden Vorhaltungen, dem einzigartigen Friedensprojekt nach zwei Weltkriegen den Rücken kehrt. Und dann noch die Konsequenzen für Handel und Unternehmen. Das mag sich niemand so gerne ausmalen.

Dabei sind die Ursachen, die bei geringer Abstimmungsbeteiligung zum Brexit führten, keineswegs eine Besonderheit des Vereinigten Königreichs. Ultranationalismus, rechtsextreme Angstmache und wirtschaftlicher Protektionismus vermengen sich nicht bloß auf der Insel mit politischer Realitätsverweigerung und der Pervertierung demokratischer Prozesse zum populistischen Spektakel. Autoritarismus und illiberale Machtausübung gefährden in vielen Mitgliedsstaaten das gemeinsame europäische Fundament von Rechtsstaat, politischer Teilnahme und gerechtem Ausgleich.

Zur Stunde weiß niemand, wie und mit welchen Konsequenzen die Trennung auf lange Sicht erfolgt. Besonders schwer wiegt dabei die Sorge, dass im Falle einer No-Deal-Lösung mit der Grenze zwischen Nordirland und der irischen Republik wieder die alten Dämonen der kriegerischen Konflikte wachgerufen werden. So gesehen ist der Brexit für die EU mehr als nur eine Warnung vor dem völligen Zerfall. Heinrich VIII. löste sich mit seiner Suprematsakte von der Gemeinschaft der höheren Ordnung. Heutzutage ist der Anspruch auf Überlegenheit und Alleingang längst auch in den europäischen Zentren anzutreffen. Diese Gefahr führt uns der Brexit deutlich vor Augen – umso mehr kommt es jetzt darauf an, dem immer öfter zutage tretenden Ausstieg so vieler Menschen mit einer neuen europäischen Perspektive von Solidarität und Zusammenhalt entschlossen zu begegnen.