Samuel Eto’o hat schon bessere Zeiten erlebt. Nach der WM-Pleite und der misslungenen Qualifikation für den Afrika-Cup 2012 warten auf ihn zu Hause nur noch Spott und Häme. Kamerun ist im Zeitalter des globalisierten Fußballs angekommen – und das berühmte Aushängeschild muss jetzt dafür büßen.
Was wäre der Fußball ohne seine Erzählungen von Rivalität und Missgunst? Am 2. August 2011, wenige Wochen vor seinem Wechsel zum russischen Erstligisten Anschi Machatschkala, betrat Samuel Eto’o vor Wesley Sneijder das Flugzeug nach Peking, wo der FC Internazionale vier Tage später das italienische Supercup-Finale gegen den Stadtrivalen Milan bestreiten sollte. Warum er als Einziger in der Ersten Klasse Platz genommen habe, soll Sneijder seinen Teamkollegen gefragt haben. Die lapidare Antwort: “Weil ich bisher alles gewonnen habe.” Der Holländer erwiderte: “Du bist bei einer WM noch nicht einmal ins Viertelfinale gekommen, ich war im Finale.” Daraufhin Eto’o: “Zeig mir deine olympische Goldmedaille! Der WM-Pokal ist in Spanien, nur der Sieg zählt.” Es war letztlich der Intervention eines Mitglieds des Betreuerstabs zu verdanken, dass das Wortgefecht nicht eskalierte. Eto’o gesellte sich zu seinen Mitspielern in die Business Class.
Ungeachtet der Frage, ob sich der Vorfall tatsächlich so ereignet hat, sind es Berichte wie dieser der Wochenzeitung L’Actu Sport, die sich in Kamerun gut verkaufen lassen. Schon am 4. Juni kam es zu einer großen öffentlichen Erregung, nachdem Eto’o in der 90. Minute das Schicksal der Fußballnation vor dem Elfmeterpunkt auf dem Fuß hatte. Das Heimspiel gegen Senegal in Yaoundé bot die letzte Gelegenheit zur Qualifikation für den Afrika-Cup 2012. Doch der Superstar patzte, es blieb beim 0:0. Nach dem Spiel glich der Stadtteil rund um das Stade Ahmadou Ahidjo einem Trümmerfeld, die Polizei vermerkte vier Tote und hunderte Schwerverletzte. Das ganze Land befindet sich seither in einem Schockzustand aus Ratlosigkeit, Verzweiflung und Wut, die sich vor allem an einer Person immer wieder neu entzündet: Samuel Eto’o.
Saustall der Löwen
Schon vor der WM 2010, bei der Kamerun ohne Punktgewinn die Heimreise antreten musste, war das Terrain für schwere Zerwürfnisse aufbereitet. Roger Milla, der auch 20 Jahre nach seinem großen Auftritt bei der WM in Italien noch ein gewichtiges Wort mitzureden hat, ging mit dem Kapitän der “Unbezwingbaren Löwen” hart ins Gericht. Eto’o lasse jeden nationalen Stolz vermissen, er beweise nur im europäischen Vereinsfußball Ehrgeiz und Leistung. Die Schelte zeigte anhaltende Wirkung. Seit dem Desaster von Südafrika verschwinden nicht nur die Trikots mit der Nummer 9 zunehmend aus dem öffentlichen Alltagsbild, auch das mediale Dauerfeuer kommt nicht zur Ruhe. “Der große Saustall” titelte etwa das Magazin Jeune Afrique im Juli, nachdem das Fiasko in der Qualifikation nicht mehr abzuwenden war. Das Cover zeigte Samuel Eto’o, das Drama hatte seinen Hauptschuldigen gefunden.
Eto’o wird vorgeworfen, dass er sich den Charakter vom vielen Geld der globalen Fußballarena ruinieren lassen habe. Während in Kamerun Ex-Spieler wie Thomas Nkono und Theophile Abega, Afrika-Cup-Sieger von 1984, für ihre Bescheidenheit und patriotische Überzeugung gewürdigt werden, trete Eto’o bestenfalls mit Arroganz und Geringschätzung für seine Mitspieler in Erscheinung. Als Nachweis dient etwa der Zwist mit Arsenal-Mittelfeldspieler Alexandre Song, der Eto’o für die Ausmusterung seines Onkels Rigobert nach 137 Länderspielen verantwortlich macht. Eine Intrige ist Eto’o nicht nachzuweisen, dennoch verweigerte ihm sein Teamkollege vor dem Spiel gegen Senegal den Handschlag. Eine Disziplinarkommission des nationalen Fußballverbands ließ die beiden Streithähne daraufhin zu sich rufen.
Tore gegen die soziale Misere
Eto’o bekommt derzeit wie kein anderer zu spüren, welche Bedeutung der Fußball für die Menschen in Kamerun hat. Dabei ist die aktuelle Fußballkrise hausgemacht: Noch immer bestimmen Korruption und Günstlingswirtschaft das Geschehen, Strukturreformen sind längst überfällig, und auch der Nachwuchs kann von einer Zukunft auf afrikanischem Boden bestenfalls träumen. Und trotzdem versprechen Erfolge der “Löwen” im Mosaik der 250 Sprachen und Kulturen ethnischen Einklang und Zusammenhalt. Niederlagen hingegen – oder auch nur verschossene Elfmeter – können tribalistische Vorbehalte wie gegen die Volksgruppen der Bamilike, Bassa oder Fulbe verschärfen, das nationale Selbstwertgefühl mindern und gelten als Ausdruck der sozialen Misere. Wo Misstrauen und Abneigung gegenüber den wirtschaftlichen und politischen Eliten dominieren, kommt den sportlichen Ikonen eine umso bedeutsamere Rolle als Projektionsflächen zu.
Dabei werden Erfolge schnell vergessen. So hilft es Eto’o wenig, dass kein anderer Sportler eine vergleichbare Bilanz vorlegen kann. Dreifacher Champions-League-Sieger, bester Torjäger der spanischen Liga, viermal der Goldene Ball Afrikas. Samuel Eto’o verkörpert in Kamerun die Realitäten eines globalisierten Fußballs, dessen Logik von Profit und Reichweiten nichts mit Vaterlandsliebe zu tun hat. Diese Entwicklung wird durch einen mahnenden Milla ebenso wenig aufzuhalten sein wie durch Sportminister Michel Zoah. Dieser hatte verfügt, Eto’o die Auszahlung der Prämien des Afrika-Cup 2010 sowie der letzten WM-Teilnahme zu verweigern. Erst nach mehr als einem Jahr war der Minister zum Einlenken bereit. Eto’o reichte den Betrag an karitative Einrichtungen weiter. Die Geste des guten Willens sollte wohl zur Politur des öffentlichen Images dienen, denn fast zeitgleich steckte er mit seiner Verpflichtung bei Anschi Machatschkala einen Vertrag über jährlich 20 Millionen Euro in die Tasche. Mit seinem Engagement in Dagestan wurde Eto’o zum bestbezahlten Spieler der Welt, dennoch zeichnet sich damit auch der Anfang vom Ende seiner sportlichen Karriere ab. Ob Kamerun wieder auf die Siegerstraße zurückfindet, wird sich nicht mit der Zukunft Samuel Eto’os entscheiden. Sollte der angeschlagene Star Trost suchen, hilft ihm vielleicht eine jahrhundertealte Kameruner Überlieferung: “Ein Löwe stirbt nicht, er schläft.”