Wäre Karl Kraus noch am Leben, er hätte beim Anblick des Museumsquartiers keine ruhige Minute mehr. “Talentlose Flickschneider” seien hier am Werk, “im Bündnis mit dem Geist des Drahertums”. Das absehbare Resultat, eine “ernst genommene Sinnlosigkeit”, verzichte “auf das Opfer der Phantasie, das man früher noch den Genießern zugemutet hat”. So oder so ähnlich könnte heute das aufgebrachte Urteil lauten.
Die hier angeführten Anleihen entstammen alle einer Ausgabe der Fackel aus dem Jahre 1909. Voller Verachtung hatte Karl Kraus damals anhand der “Fledermaus” die Grässlichkeiten der bürgerlichen Salonoperette” vorgeführt, die ihm als geeigneter Nachweis des kulturellen Verfalls erschien.
Zur aktuellen Debatte um das Museumsquartier taugt eine Parallele allemal. Denn auch die politischen Vorgänge rund um das kulturelle Großprojekt tragen durchaus operettenhafte Züge.
Wessen Bier ist das Quartier?
Mit seiner Kulturarbeit an der Schnittstelle von Kunst und neuen Medien glaubte sich Public Netbase t0 aufgrund der glaubwürdigen Versicherung von kulturpolitischer Wertschätzung im Museumsquartier bislang auf sicherem Terrain.
Groß war daher die Hoffnung, als mit dem Baufortschritt Anfang April die Prekarien der kleineren Nutzer widerrufen wurden: Der Kulturpolitik, nunmehr ausschließlich in der Hand der ÖVP, müsse doch an der lebendigen Vielfalt gelegen sein. Und auch Wolfgang Waldner, der Geschäftsführer der Museumsquartier GesmbH., bestätigte: Die inhaltliche Gestaltung des heranwachsenden Kulturbezirks sei vornehmlich Aufgabe der Politik.
Einem Angebot, für den Zeitraum der Renovierung Ersatzräumlichkeiten im Areal zur Verfügung zu stellen und damit einen zukünftigen Verbleib zu sichern, stand demnach also nichts im Wege. Doch. dieser Schritt ist bis heute nicht erfolgt. Franz Morak, der ehemals expressive Kunststaatssekretär, hält sich zum Museumsquartier bedeckt (“nicht mein Bier”). Erstaunlich, dass er am 1. Mai in einer aktuellen Meldung der Bundesregierung verlautbaren ließ, der bisherige österreichische Weg einer “autistischen Kulturpolitik” müsse mit dem Internet nunmehr ein Ende finden.
Eine Stellungnahme, wie es mit Public Netbase t0 und der Verankerung der neuen Medien im Museumsquartier weitergehen soll, steht allerdings bis heute aus. Kulturministerin Gehrer ist da schon ein wenig auskunftsfreudiger – wenn auch nur indirekt -, indem sie zu verstehen gibt, dass sich der kulturelle Anspruch der Bundesregierung im Zuge der milliardenschweren Internet-Offensive “e-Austria” auf eine “Digitalisierung des historischen Volksliedguts” beschränkt. Dass zeitgenössische Ausdrucksformen von Kunst und Kultur mit keiner Silbe erwähnt werden, dokumentiert eine eigentümliche Art von Weitblick, zumal das digitale Kulturerbe von morgen damit bereits heute massiv gefährdet wird.
Kulturpolitik im Dreivierteltakt?
Zu allem Überfluss weist auch der als liberal geltende Peter Marboe jede Zuständigkeit von sich. Auf Anfrage hatte er keine Ahnung, wie es mit den frei werdenden Flächen des Fischer-von-Erlach-Traktes weitergehen solle. Schließlich musste der Wiener Kulturstadtrat sogar zur aktuellen Planung und schrittweisen Realisierung des Museumsquartiers seine Unkenntnis eingestehen.
“Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist” – mit der “Fledermaus” hat Johann Strauß sich selbst zu großem Ruhm verholfen, der Trinkfreudigkeit der Osterreicher vielleicht auch zu mehr Geselligkeit. Als Maxime einer verantwortungsbewussten Kulturpolitik wirkt sie jedoch nicht gerade überzeugend. Denn eine zukunftsgewandte Gestaltung der Kulturentwicklung dieses Landes erfordert Ideenreichtum, Offenheit für Kritik und Entschlossenheit – vor allem aber auch klare Entscheidungsstrukturen und Verantwortungsbewusstsein. Und wer gegenwärtig danach sucht, läuft sich dabei die Füße wund.
Der Zustand des Museumsquartiers als Terra incognita der Politik ist endlich zu beenden. In diesem Sinne hat Public Netbase t0 mit Karl Kraus durchaus einiges gemein.