Unzufriedenheit, Sprachlosigkeit, Wut. In den späten 1970er Jahren geriet der Zeitenlauf der vermeintlichen Nachkriegsidylle auch in Linz endgültig in den Hochofen der gesellschaftlichen und kulturellen Widersprüche. Die Stahlstadt, so hatte sich schon seit geraumer Zeit bei den Unzufriedenen, Sprachlosen und Wütenden der Eindruck breit gemacht, stank in vielerlei Hinsicht bis zum Himmel. Leer stehende Wohnungen als Spekulationsobjekte, allmächtige Meinungsmonopole, Atemnot durch völlig überhöhte Emissionswerte, Kinosterben – und dann zu allem Überdruss noch eine Kunsthochschule, die mit überholten Schablonen und einer professoralen Weltfremdheit den Zynismus der städtischen Trübsinnigkeiten auch noch auf die Spitze zu treiben wusste.
Doch schließlich kam der Sommer 1979. Der Linzer Hauptplatz sollte neu gestaltet werden – und entpuppte sich ausgerechnet im Zentrum der Stadt als Entzündungsherd eines planerischen Dirigismus, der, wie schon so oft zuvor, die Bedürfnisse der Menschen ganz einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Womit im Rathaus allerdings niemand gerechnet hatte, war die Rückkehr einer Gruppe von Studierenden der Kunsthochschule, auf die im niederländischen Delft beim ausgiebigen Besuch einer alternativen Gruppe namens Stichting Planwinkel der so lange ersehnte Impuls übergesprungen war, die urbane Gestaltung nicht mehr alleine den Betonköpfen der Magistratsabteilungen zu überlassen. In der von oben herab angeordneten Verpflasterung des öffentlichen Raumes begann damit ein erster widerständiger Keim zu sprießen – die Linzer Stadtwerkstatt.
Fortan hieß es: Wir fordern! Eine menschliche Stadt. Und Basismitbestimmung schon bei der Planung. Nicht Pflastersteine sollten – wie in den Jahren zuvor bei den zahlreichen Protesten und Unruhen in Washington, Paris und Berlin – zur Übertragung der nachdrücklichen Einmischung herangezogen werden. Nein, die jungen Empörten griffen zunächst zu Klopapier. Eines Morgens waren die Bagger und Schubraupen am Hauptplatz verhüllt, umso klarer kam damit aber die Botschaft zum Vorschein, dass die undemokratische Vorgangsweise bei der Neugestaltung nicht unwidersprochen bleiben darf.
Stadt geht eben anders – entsprechend tatenfreudig ging die Linzer Stadtwerkstatt in den Anfängen zu Werke. Das Ziel, der desillusionierenden Zukunft ein Ende zu bereiten, erforderte Risiko, setzte den Konflikt voraus, die Konfrontation. “Die Stadtwerkstatt ist ein kleiner Aderlaß”, erinnert sich Franz Blaas Jahre später als Gründungsmitglied in seinem Roman Omas kleine Erde. “Als Stadtwerkstätter ist die Rolle des Bösewichts für Politiker und Professoren durchaus auch mit einem Blutegel vergleichbar. Ihnen graut vor uns.” Und schon bald entstand aus dem Aufbegehren ein komplexer Organismus, der Platz greifen musste. Als Skulptur eines sich alltäglich gestaltenden Prozesses, als ein Ort, der auch Anlass bieten sollte, sich den künstlerischen und gesellschaftlichen Konventionen zu entziehen und, wie Wolfgang Georgsdorf schon sehr früh als gemeinsame Losung auszugeben versuchte, “im Tohuwabohu ein Muster zu hinterlassen”.
Die Zeit war also reif, sich in der kulturellen Topographie in Linz mit allem Nachdruck festzuschreiben. Zunächst durch das erste Haus in der Urfahrer Friedhofstraße, inmitten eines Abbruchsviertels. Durch Aktionismen im öffentlichen Raum. Aber ebenso auch durch eine Ausstellung in der Kunstgalerie MAERZ noch im Jahre 1979, die unter dem Titel Anstiftung zur Initiative der Öffentlichkeit sehr eindrücklich vermittelte, wie dem städtischen Notstand beizukommen sei. Auf zusammenrollbarem Packpapier wurde handschriftlich vermerkt, dass sich eine menschenfreundliche Stadtgestaltung einer radikalen Neuausrichtung zu unterziehen habe. Etwa durch mehr Mitbestimmung und die Einrichtung kooperativer Betriebe, welche die Mitstreiterinnen und Mitstreiter der ersten Stunde, die sich in schier endlosen Diskussionsrunden oftmals die Nächte um die Ohren schlagen mussten, zuvor bei Stichting Planwinkel als vielversprechende Demokratieanreize aufgegriffen hatten.
Mit der Gründung der Stadtwerkstatt 1979 stand die Anstiftung zur Initiative auch selbst auf dem Prüfstand. Die kulturelle Pionierarbeit im nachhaltig etablierten Kultur- und Werkstatthaus setzte auf die Aneignung und Öffnung von Freiräumen, auf die Verbindung von Aktionismus mit Leben und Arbeit, mit Experiment und Kunst. Eine konsequente Entgrenzung des Kulturbegriffs stellte sich der gesellschaftlichen Erstarrung entgegen – und ohne Zweifel auch der Überheblichkeit der Macht, die plötzlich selbst in den Mittelpunkt dauerhafter Konflikte geraten ist.
Und doch wollte die Stadtwerkstatt nie 68er-Seife sein. Hier traf die kulturgeschichtliche Kontinuität der rebellischen Aufbruchsjahre, die auch in Linz und Oberösterreich ihre unübersehbaren Spuren hinterlassen haben, schon ein Jahrzehnt später auf den emanzipatorischen Wunsch, die eigene künstlerische Selbstbestimmung von der Kanonisierung der kritischen Gesellschaftstheorien und ihrer oft starren politischen Kaderorganisation zu lösen. Die Stadt selbst verbleibt auch noch lange darüber hinaus im Brennpunkt der vielen Widersprüche des Zeitenlaufs. Welche Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft zu finden sind, ist dann aber unausweichlich mit den Unzufriedenen, Sprachlosen und Wütenden zu verhandeln. Und darin liegt die vielleicht größte historische Bedeutung der Stadtwerkstatt.