Es gibt kaum eine Trophäe, die Nia Künzer in ihrer Karriere nicht gewonnen hat. Im Interview spricht die langjährige deutsche Teamverteidigerin über Technik und Härte im Frauenfußball, mögliche Gewissenskonflikte mit Metzger Müller und unersättliche Deutsche.
Wir haben uns im Museum der Eintracht Frankfurt getroffen. Angenommen, Nia Künzer könnte eine Ausstellung über Nia Künzer gestalten. Was wäre da zu sehen?
Nia Künzer: Eigentlich würde ich nie auf die Idee kommen, eine Ausstellung über mich zu machen, aber wahrscheinlich würde sie sich an meinem Leben entlanghangeln. Von meinem Geburtsort in Botsuana über meine Kindheit, die ich mit meiner relativ großen Familie in einem Albert-Schweitzer-Kinderdorf verbracht habe. Dann würde sie sich mit Fußball beschäftigen. Wenn es mein persönliches Museum wäre, würde es auch noch berufliche und private Abzweigungen geben, aber der Zweig Fußball wäre sicher ganz reich geschmückt. Von meinen Anfängen bei den Jungs in der Eintracht Wetzlar, wo ich eine richtig gute Zeit gehabt und vor allem Fußball spielen gelernt habe. Und dann meine Stationen in Gießen, beim FFC Frankfurt und in der Nationalmannschaft.
Du hast mit deiner Geburt in Botsuana ein kleines Stück afrikanischer Geschichte. Was bedeutet dir das?
Ich bin nach der Geburt nur relativ kurz in Afrika geblieben, weil meine Eltern bald wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind. Wenn es dabei geblieben wäre, wäre der Bezug wirklich nur der Geburtsort. Das war auch lange so, denn in meiner Jugend habe ich in Deutschland gelebt und bin lange nicht nach Afrika gefahren. Meine Eltern sind 1999 wieder nach Swasiland gegangen und danach noch einmal nach Namibia. In meiner Studienzeit habe ich dann die Möglichkeit gehabt, dort öfters Zeit zu verbringen. Die größere Bindung ist also erst ab meinem 18. Lebensjahr entstanden, und heute schlägt mein Herz für das südliche Afrika.
In Namibia engagierst du dich für das Mädchen- und Frauenfußballprojekt “Galz & Goals”. Welche Rolle spielst du dabei?
Das ist über persönliche Beziehungen entstanden, weil mein Vater in Namibia an einem Fußballprojekt in Katutura (Township der Hauptstadt Windhoek, Anm.) ehrenamtlich mitgemacht hat. Über zwei Frauen im namibischen Fußballverband, eine Nationaltrainerin und eine Funktionärin, ist der Kontakt dann entstanden. Die beiden waren sehr engagiert in der Mädchen- und Frauenfußballarbeit und haben mit Unterstützung der UNICEF das Projekt “Galz & Goals” gegründet. Dafür haben sie eine internationale Botschafterin gesucht und mich angefragt, weil das für die Mädchen eine Riesensache wäre, eine Weltmeisterin dabeizuhaben. Eine erfolgreiche Frau zu sein, ist für die Mädchen dort noch viel faszinierender als in Deutschland. Für mich war es selbstverständlich, sofort zuzusagen. Wobei so ein Auslandsprojekt schon die Gefahr in sich birgt, dass man es nicht immer begleiten kann. Aber ich war immerhin schon einmal vor Ort dabei. Das ist ein Wahnsinnsprojekt, weil es viele Mädchen erreicht und wirklich viel bewegt. Ich bin sehr stolz darauf und habe durch meinen Job im hessischen Innenministerium jetzt auch die Möglichkeit, etwas zur Fortführung des Projekts beisteuern zu können.
In deinem Engagement ist ein sozialer und politischer Anspruch zu erkennen. Parallel dazu laufen auch im Frauenfußball die Spielerinnen immer mehr wie Litfasssäulen aufs Feld. Die Kommerzialisierung hat voll Einzug gehalten. Wie passt das alles zusammen?
Diese Frage stelle ich mir auch, wobei man da seinen eigenen Weg finden muss. Ich engagiere mich nicht, weil ich politisch aktiv sein will. Das sind meistens Projekte, zu denen ich einen persönlichen Bezug habe, von denen ich weiß, dass gut gearbeitet wird. Natürlich ist auch der Frauenfußball wirtschaftlich entwickelt, und jede Weiterentwicklung hat auch Schattenseiten. Das ist ein Balanceakt, bei dem man Kompromisse eingehen muss. Aber ich mache nur Sachen, die ich für mich vertreten kann. Ich habe auch ein sehr gesundes Umfeld, das mir sagen würde: “Stopp, das passt jetzt bei dir gar nicht zusammen.” Was unseren Trikotsponsor Commerzbank betrifft, wenn man das nicht akzeptieren kann, darf man die Sportart nicht betreiben. Da müsste man gegen einen so großen Strom anschwimmen. Man muss auch ganz ehrlich sein, der deutsche Sport lebt davon. Ob du da jetzt die Commerzbank drauf hast oder in einem Dorfverein den Metzger Müller, obwohl du kein Fleisch isst. Das wird irgendwann schon schwierig. Ich fahre mit meiner Linie aber ganz gut.
Es fällt auch auf, dass selbst kritische Medien das Aussehen und die Körperlichkeit von Fußballerinnen ins Spiel bringen. Auf deiner Website ist zu lesen, dass du zwar nicht als Glamourgirl gesehen werden willst, dennoch bist du auch da mehr als nur einmal die Blondine. Wie gehst du damit um?
Das kann ich von mir ganz gut abspalten. Ich lebe ja zum Teil von den Veranstaltungen, zu denen ich eingeladen werde. Mein Management betont diese Aspekte vielleicht etwas mehr, aber ich mache mir da auch nichts vor: Ich werde nicht nur eingeladen, weil ich so tolle Sachen sage. Ich bin mir schon bewusst, dass die Leute das ganze Paket kaufen. Auch wenn ich nicht wahnsinnig viel Geld damit verdiene, ist das auch Teil meines Berufs. Deshalb nehme ich das in Kauf, aber immer nur mit einem gewissen Maß. Um einen Extremfall zu nennen: Ich werde immer wieder vom Playboy angefragt, da sind für mich Grenzen überschritten, das möchte ich nicht.
Beim Männerfußball gibt es das in dieser Form nicht …
Da ist es anders. Du kannst Fußballer sein und nicht gut aussehen, dann bist du trotzdem in den Medien. Bei den Frauen ist das Paket viel wichtiger. Und doch haben auch bei den Männern attraktivere Fußballer mehr Fotoshootings. Nur ist es nicht so extrem.
In den vergangenen Jahren ist auch bei den Frauen das Verletzungsrisiko merklich angestiegen. Woran liegt das?
Ich bin dafür ein schlechtes Beispiel, weil meine Verletzungen immer ohne gegnerische Einwirkung passiert sind. Somit sind meine Kreuzbandrisse kein guter Maßstab für die Härte. Das ist schon eher ein Hinweis auf die höhere Belastung im Allgemeinen. Aber der Frauenfußball ist sicher schneller und athletischer geworden. Damit geht auch eine höhere Zweikampfdichte einher. Ich habe auch nie behauptet, dass der Frauenfußball nicht hart sei. Bei uns gibt’s auch rote Karten. Aber die Zweikampfdichte war früher nicht so hoch, dementsprechend waren auch mehr Spielfluss und Spieltempo gegeben – und das gibt’s immer noch. Das macht den Frauenfußball zum Ansehen auch ein bisschen angenehmer.
Damit sind wir auch bei der Frage nach dem Publikum. Wer sind eigentlich die Fans des Frauenfußballs?
Das lässt sich schwer beantworten. In Deutschland muss man zwischen Nationalmannschaft und Bundesliga unterscheiden. Bei der Nationalmannschaft gibt es ganz eindeutig ein Familienpublikum, aber auch das ganz allgemein interessierte Fußballpublikum, das den Horizont erweitert und sieht, dass die Frauen einen sehr attraktiven Fußball spielen. In der Bundesliga ist das alles etwas kleiner.
Die Vereinbarkeit von Beruf und Karriere mit Kind und Familie ist in allen gesellschaftlichen Bereichen eine umstrittene Frage und führt vielfach zur Verdrängung von Frauen. Welche Strategien verfolgen Profifußballerinnen?
Abgesehen von Martina Voss hat es in den vergangenen 15 Jahren keine Nationalspielerin gegeben, die während ihrer aktiven Karriere ein Kind bekommen hat und zurückgekommen ist. Da bin ich mir ziemlich sicher. Das ist in Deutschland so. In Norwegen, Schweden und den USA ist es anders. Da gibt es immer wieder Spielerinnen, die nach einem Kind sofort wieder in den Leistungssport zurückkehren. Das ist in Deutschland nicht Usus, vielleicht auch deshalb, weil das Leistungsniveau hier relativ hoch ist. Man kennt das ja auch von großen Verletzungen, es ist sehr schwer, sich dann wieder zurückzukämpfen.
Du bist unter großer öffentlicher Beobachtung und für viele sicherlich ein Rolemodel. Wie nimmst du diese Vorbildfunktion wahr?
Ich bin kein perfektes Vorbild. Das würde ich mir nicht anmaßen. Ich glaube, dass mir Mädchen, die Fußball spielen und Karriere machen möchten, besser zuhören, wenn ich ihnen erzähle, neben dem Spaß an der Sache auch an die Schulausbildung zu denken, als wenn das die Lehrerin sagt. Ich engagiere mich ja auch für die Initiative “Kinder stark machen”, wo es um Sucht- und Drogenprävention geht. Da sage ich nicht, dass ich niemals Alkohol anrühre. Darum geht es nicht, sondern um einen verantwortungsvollen Umgang.
Du bist WM-Botschafterin für das Bundesland Hessen. Was genau sind da deine Aufgaben?
Ich übernehme repräsentative Aufgaben, also Talkrunden und Podiumsdiskussionen. Ich mache aber auch Mädchenfußball-Projekte, die Themen wie Integration und Gewaltprävention im Mittelpunkt haben und die WM 2011 als Aufhänger nutzen. Damit sollen vor allem Mädchen mit Migrationshintergrund erreicht werden, die in Deutschland im Sport noch immer sehr fehlen. Der Sport könnte ihnen ja viel bieten. Ob es nun die gesellige Seite ist oder die Strukturen als Teilbereiche der deutschen Gesellschaft.
Der Terminplan der internationalen Fußballereignisse ist sehr dicht. Die Frauen-WM findet immer ein Jahr nach der Männer-Endrunde statt, also kurz nach Erreichen des Sättigungsgrades. Ist das nicht ein großer Nachteil?
Die Frauen-WM 2011 ist nicht so sehr ein internationales Großereignis, das wird sich mehr hier in Deutschland abspielen. Und ich habe das Gefühl, dass die Deutschen beim Fußball recht selten gesättigt sind. Es wird kein Weltsportereignis, aber ganz sicher eine schöne Sache. Was wir diesen Sommer erleben werden, wird der Frauenfußball so noch nicht erlebt haben. Denn Sport funktioniert einfach in Deutschland. Und Sport und eine erfolgreiche deutsche Mannschaft funktionieren noch einmal besser.
Zur Person
Die Verteidigerin Nia Künzer (31) gewann mit ihrem Stammverein 1. FFC Frankfurt sieben deutsche Meistertitel, sieben Pokalsiege und drei Mal den UEFA Women’s Cup (heute UEFA Women’s Champions League). Dank ihres Golden Goals im Finale gegen Schweden holte Deutschland 2003 erstmals die Weltmeisterschaft. In Folge ihrer vier Kreuzbandrisse beendete Künzer 2008 ihre aktive Karriere, aus der Nationalmannschaft war die 34-fache Teamspielerin bereits 2006 zurückgetreten. Heute arbeitet die Pädagogin im hessischen Innenministerium und ist u.a. Botschafterin des namibischen Frauenfußballprojekts “Galz & Goals”.