“Nichts war ihm unerträglicher”, schrieb Bertolt Brecht in einem Nachruf über Karl Kraus, “als die Verflechtung von Meinung und persönlichem Vorteil, nichts schaler als eine ‘Pressefreiheit’ für Meinungen, die keiner Freiheit bedürfen.” Ein knappes Jahrhundert nach dem Tod des streitbaren Wiener Publizisten wirkt der Unmut gar nicht so sehr entrückt. War der Streit um das Verhältnis von Medien und Macht in der Zeit zwischen den Weltkriegen noch kleineren Zirkeln der Feuilletons vorbehalten, so ging der österreichische Absturz im internationalen Ranking der Pressefreiheit zuletzt vor den Augen eines Massenpublikums über die digitale Bühne.
2017 machte sich ÖVP-Chef Sebastian Kurz in Koalition mit der FPÖ zum Bundeskanzler, damit ging es auch mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung bergab. Message Control, ein neuerliches Anwachsen der Inseratenkorruption und die anhaltende Unterdrückung von Informationsfreiheit in den Amtsstuben rückten Österreich immer mehr in die Nähe illiberaler Herrschaftstechniken. Das hatte für den Journalismus seinen Preis: 2019 fiel das Land auf Platz 16, drei Jahr später, unter den Vorzeichen der Regierungsallianz einer vorübergehend türkisen Volkspartei mit den Grünen, gar auf Platz 31. Mit Spannung erwartet, liegen nunmehr auch die Ergebnisse für 2023 vor. Darin weist der Trend mit Platz 29 wieder leicht nach oben – eine Entwarnung wäre allerdings völlig fehl am Platz.
Karl Kraus setzte zu seiner Zeit, als sich der kritische Geist noch der Bewährungsprobe einer von demokratiefeindlichen Kräften gepeinigten Gesellschaft zu stellen hatte, die eigene Hoffnung auf die widerständige Vernunft der Nachwelt. Der namhafte Dramatiker wurde jedoch meist enttäuscht, denn ausgerechnet jene, die Kraus als seine wohlwollende Gefolgschaft wähnte, verachteten ihn als Kritiker oft mehr als das Kritisierte, mit dem er seine Kompromisslosigkeit zum Ausdruck zu bringen gedachte. Was aber lernt die Gegenwart daraus?
Am 3. Mai, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, muss der politmediale Komplex vor allem auch aus der Perspektive seines kulturgeschichtlichen Werdegangs Betrachtung finden – als Spiegelbild der aktuellen Verhältnisse, die Kommunikation und Diskurs nur allzu gerne an die kurze Leine nehmen. Hier ist es nicht zuletzt an den Medien selbst, endlich den großen Befreiungsschlag zu wagen, mit mehr Mut das Bündnis mit Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit zu suchen und die rot-weiß-rote Freunderlwirtschaft sowie ihren Drang zur Meinungskontrolle endgültig in Schranken zu weisen. Österreich bietet ohnehin genug Grund zur Sorge. Umso mehr dürfen insbesondere die medialen Grundlagen von Demokratie und Vielfalt nicht leichtfertig einer politischen Haltung geopfert werden, die dem Leitsatz moderner Militärstrategien folgt: “Keep your friends close and your enemies closer!”