Krieg: Satellitenjournalismus und das Lichten des Nebels

Konserve Kontroverse - die Kolumne mit Haltbarkeit

Alexander Kluge, mittlerweile 91 Jahre alt, stellt den Intellekt seit jeher auf den Prüfstand. Mit “Kriegsfibel 2023” hat der Schriftsteller, Theoretiker und Filmemacher aktuell ein viel beachtetes Druckwerk veröffentlicht, das der dialektischen Verknäuelung militärischer Konflikte auf die Schliche kommen will. Kluge geht es dabei “um eine Ebene der Abstraktionen und der Schriftlichkeit, auf der Sprachregelungen, Vereinbarungen und gemeinsame Werte festgehalten sind”. Wichtig ist ihm vor allem eine für die Rezeption maßgebliche Unterscheidung: “Was nach Kriegsausbruch die Fluchtbewegung auslöst und die Toten verursacht, also die Konkretion, ist ein anderer Aggregatzustand als die politische Kartographie”.

Alexander Kluge stellt Fragen. Um Antworten zu suchen, die sich niemandem in den Dienst stellen, nicht nach dem Wohlwollen trachten, sondern der Auseinandersetzung, der Gegenrede, einen Anstoß bieten. So hält es Kluge auch mit dem Krieg, der, so schreibt er, “sich in den Bahnen nicht gekannter Widersprüche bewegt”. Erhellung beansprucht meist auch ein auf Datamining beruhender Journalismus, der seit einigen Jahren immer größere Beachtung findet. Ende August 2023 war im OÖ. Presseclub ein zweifacher Pulitzer-Preisträger zu Gast, der das Publikum, mehrheitlich bestehend aus regionalen Kommerzradios, Lokalblättern sowie dem Volksblatt der Volkspartei, mit aufdeckerischen Erzählungen aus Afghanistan und der Ukraine zu begeistern wusste. Und ja, Satellitenbilder, die über schwere Kriegsverbrechen detailgetreu Auskunft geben, sind im Internet mittlerweile für 40 Euro zu haben. In Verbindung mit der akribischen Auswertung von Handydaten lässt sich ein Puzzle zusammenfügen, das selbst die stärksten Armeen der Welt das fürchten lehrt, weil diese sich nicht mehr unbeobachtet fühlen dürfen.

Die investigative Zuhilfenahme modernster Technologien verdient allemal einen Preis. Zugleich legt die Würdigung jedoch eine Leerstelle offen, die in Zeiten des Krieges das Verhältnis von Medien und Haltung problematisch erscheinen lässt. Alexander Kluge postuliert zurecht die Abstraktion, die kartographische Erfassung, um die Aussichten auf den so sehr ersehnten Frieden nicht bloß schemenhaft im Nebel des Krieges zu vernehmen. Der Journalismus wird nicht im Voyeurismus seine Bedeutung finden, schon gar nicht in der Verzückung durch Big-Data-Hokuspokus. Mediale Friedensarbeit, das Mitwirken an Konfliktprävention, an Vertrauensbildung, Traumabewältigung und Entrüstung erfordern eine radikale Abkehr von quotengesteuerten Konventionen der Medienhäuser. Und davon abgesehen: Julian Assange drohen für die Enthüllungen von US-Kriegsverbrechen im Irak bis zu 175 Jahre Haft. Warum erhält er nicht stattdessen einen Pulitzer-Preis?

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