Überlebensgroß, schemenhaft, aber dennoch unverkennbar. Mit grün stechendem Auge, einem Krieger gleich. Die Kindeskinder der Revolution blickten auf wie zu einem König, als Zizou, wie er liebevoll genannt wird, Ende Mai plötzlich an den Fassaden der großen Städte seinen Platz einnahm. Die Plakate im Großformat dienten der Ankündigung eines neuen Films, der nur einen Protagonisten kennt.
Zidane – Ein Portrait im 21. Jahrhundert ist das Ergebnis der künstlerischen Arbeit des schottischen Regisseurs Douglas Gordon sowie seines französischen Kollegen Philippe Parreno. Die konzeptive Überlegung, die dem Werk zu Grunde liegt, ist ebenso gewagt wie simpel und wurde auch schon in den frühen 70er Jahren von Hellmuth Costard am Beispiel von George Best erprobt. Beim Antreten Real Madrids gegen den FC Villareal am 23. April 2005 im Stadion Santiago Bernabeu sind über 90 Minuten 17 Kameras nur auf einen Mann gerichtet. Nichts entgeht den Augen der Betrachter. Als handle es sich um eine anatomische Studie, richtet sich der Blick auf jede Bewegung, jede Geste, ja selbst auf die ansonsten verborgenen Details im Gesichtsausdruck des Hauptdarstellers.
Der Film erlebt seit seiner Erstaufführung in Cannes einen regelrechten Hype, weshalb fast darauf vergessen wird, dass Zinédine Zidane bei den Filmfestspielen noch ein weiteres Mal zu sehen war. “Une équipe de reve” (Eine Traum-Mannschaft) vereint in einer dokumentarischen Verfilmung noch einmal jene kleine Gemeinschaft, die als Zöglinge des AS Cannes vor zwei Jahrzehnten eine enge und dauerhafte Freundschaft schlossen. Mit wenig Budget ausgestattet, erzählt das Werk von René Letzgus vom Traum einiger junger Männer, eines Tages als Profifußballer im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit zu stehen. Und: Einer von ihnen hat es doch tatsächlich geschafft.
Mythen der Banlieue
Zinédine Zidane wird nicht mehr im Trikot des Gallischen Hahns zu sehen sein. Er hinterlässt eine Erinnerung, die nun auch auf Zelluloid ihre heroisierende Nachhaltigkeit gefunden hat. Zurück bleiben aber auch die Realitäten der französischen Gesellschaft, ihre sozialen Gegensätze und kulturellen Konflikte, ohne die eine Popularität des Yazid, wie der nunmehrige Star noch als Kind algerischer Einwanderer in Marseille gerufen wurde, nicht zu erklären ist. Nicht von ungefähr hebt ihn die als lautstarkes Sprachrohr der Vorstadtjugend bekannte Rapperin Diam’s in einem Atemzug mit einer weiteren Fußball-Legende zu einem Anknüpfungspunkt jugendlicher Hoffnungen empor: “Das Frankreich der Banlieusards bewegt sich auf Skateboards, Scootern und in aufgemotzten Boliden, Basile Boli ist ein Mythos, Zinédine sein Synonym!”
Der Erfolg, entgegen allen Unkenrufen wieder im Spitzenfeld des Weltfußballs zu stehen, kann nicht lange darüber hinweg täuschen, dass der Glanz eben auch im Falle des Zinédine Zidane die Projektionsflächen ungezählter Sehnsüchte verziert. “Er ist eine Ikone”, schreibt das angesehene Magazin L’Express Anfang Juni, “aber gegen seinen Willen”. Seit dem Triumph von 1998 sei er zu einem Helden stilisiert worden, zum Ursprung neuer Träume. Dass der wahre Zizou dieser Rolle eigentlich nicht entspricht, ist demzufolge auch in medialen Diskussionen zur filmischen Historisierung immer häufiger zu erfahren. “Er fordert nicht, bezieht keine Position und ist für den politischen Kampf nicht zu haben”, urteilt auch Pascal Boniface, der mit seinem neuen Buch “Fußball und Globalisierung” vor allem die geostrategischen Aspekte dieses Weltsports erkundet hat. Der renommierte Politologe kommt zu dem Schluss, dass sich Zidane “nur äußert, wenn Konsens herrscht, nicht aber in Angelegenheiten, die konfliktuell betrachtet werden”. Ein oppositionelles Statement gegen Le Pen ließ daher bei den Präsidentschaftswahlen 2002 lange auf sich warten. Er habe eben nicht die “Seele eines Fahnenträgers”, dennoch verehrt ihn die Grande Nation. Ihr “Chouchou” (Liebling) verkörpere die Einheit von Hochleistungsprinzip und Augenmaß, seine Biographie das multikulturelle Frankreich der Black-blanc-beur – eine Wortschöpfung, mit der ganz bewusst auch die afrikanischen, karibischen und maghrebinischen Wurzeln des Weltmeistertitels in Erinnerung gerufen werden.
Schweigen
Dieses Frankreich ist eine konstruierte Wirklichkeit, die ihre Fassade – und hier wird die Analogie zum aktuellen Film geradezu paradigmatisch – mit dem Konterfei des modernen Heroismus schmückt. In seinem Portrait “spricht der Gott des Stadions kein Wort, sondern murmelt lediglich wie eine Tempelpriesterin in Delphi”, klatschte das konservative Blatt Le Figaro schon am Tag nach der Premiere Beifall. Zeitgleich entlädt sich die Trostlosigkeit der Vorstadtjugend ungebrochen in Form von Massenprotesten und Gewalt. Mit dem Anwachsen der Ausschreitungen seit Herbst 2005 ist daher gerade auch in Clichy-sous-Bois immer öfter der Ruf zu hören: “Wo ist Zidane?” Doch das große Idol schweigt auch in diesem Fall bis heute.