Pastorale Digitale IV

Polit-Seelsorge für das Unbehagen im Netz

__ Überholspur

Das Land ist überfordert, Europa ist überfordert – und zu allem Überdruss droht nun auch noch dem Internet, vor Überlastung in die Knie zu gehen. Die Welt ist im Fluss, stöhnt allüberall unter unkontrollierten Strömen und ruft nach Grenzen, Transitzonen und Umzäunung. Ende Oktober wurde dann geklotzt, nicht gekleckert – und zumindest das digitale Chaos in erste Schranken verwiesen. Doch wer atmet auf?

Das World Wide Web, so sein Erfinder Tim Berners-Lee, war ursprünglich dafür gedacht, als offene Plattform einen unermesslichen Raum für Innovation und Kollaboration zu schaffen. Gleichbehandlung galt dabei als oberstes Gebot, kein Datenpaket durfte gegenüber einem anderen bevorzugt werden. Damit ist bald Schluss. Mit der Entscheidung des Europäischen Parlaments, sich von der Netzneutralität zu verabschieden, hat die radikale Kommerzialisierung den egalitären Netz-Utopien eine mehr als deutliche Absage erteilt. Und in der Tat geht es um weitaus mehr als nur um Technik. Das sich nun endgültig abzeichnende Zweiklassen-Internet sieht vor, dass das Ausscheren auf die Überholspur der Daten-Highways mit spürbaren Mehrkosten verbunden ist. Wer sich diese aber nicht leisten kann, wird wohl ohnmächtig erdulden müssen, dass vor allem die inhaltliche Pluralität im kriechenden Trott den Staub der vorbeirasenden Content-Prätorianergarde zu schlucken hat.

Als einzige österreichische Fraktion hat die ÖVP im EU-Parlament gegen die dringend gebotenen Abänderungsanträge gestimmt – mit dem Argument, das Internet sei allmählich an seiner Belastungsgrenze angelangt. Autsch – das tut so richtig weh! Denn im selben Zeitraum hat die UNESCO das zehnjährige Jubiläum ihrer Konvention zur kulturellen Vielfalt gefeiert, zu deren Wahrung und Gewährleistung auch hierzulande die staatlichen Institutionen verpflichtet sind. Aber was wiegt das alles letzten Endes, wenn die Telekom-Industrie ebenso festlich die Champagnerkorken knallen lässt?

die KUPFzeitung