Gegenbilder zu einem rot-weiß-roten Credo.

Ein Editorial

“Wir erleben wirklich einen Clash of Civilizations“, schreibt der bekannte italienische Philosoph und politische Publizist Paolo Flores d’Arcais in seinem aktuellen Buch Der Souverän und der Dissident, “aber im Westen selbst, zwischen der Demokratie als bloßem Geschwätz des Establishments, das ihre Prinzipien im Müll seines täglichen Regierens zertrampelt, und der beim Wort genommenen Demokratie mit ihren unbeugsamen substantiellen Forderungen”.

rebranding images ist diesem Spannungsfeld unmittelbar entsprungen. Als ein Streitbares Lesebuch zu Geschichtspolitik und Erinnerungskultur in Österreich setzt der nun vorliegende Essay-Band eine Vielzahl von künstlerischen, kulturellen, wissenschaftlichen und politischen Projekten fort, die bereits im Frühjahr 2004 ihren Auftakt genommen haben, nachdem erstmals Pläne der Bundesregierung bekannt geworden waren, sich im Jahr 2005 an einem nationalen Festakt enormen Ausmaßes zu versuchen. Die damals ins Leben gerufene Aktionsplattform war von der Befürchtung getragen, dass der bevor stehende Reigen an Feierlichkeiten (60 Jahre Wiederherstellung der Republik, 50 Jahre Staatsvertrag, 10 Jahre EU-Beitritt) sowie die damit einher gehenden historischen Erzählungen in erster Linie dem national-konservativen Interesse der Regierenden dienen – und nicht, wie uns das Veranstaltungsmarketing von ORF und Bundeskanzleramt glauben machen wollte, einer Schärfung des kritischen Denkens oder einer differenzierten Betrachtung der Geschichte dieses Lands und seiner politischen Kultur.

Jubiläen zielen auf positiv erlebbare Wahrnehmungswelten ab, nicht zuletzt deshalb ist der Anspruch aufklärerischer Betrachtungsweisen mit Inszenierungen von Macht und Herrschaft nicht vereinbar. Sie trachten danach, Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühle über ritual-ähnliche Handlungen zu erzeugen. Die Rekonstruktion von Vergangenheit findet vor allem im Zeitalter der Massenmedien reichhaltige Möglichkeiten, emotional aufgeladene Bilder vorzuführen, die sich schließlich tief in das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft einschreiben. Und tatsächlich: Im so genannten “Gedankenjahr 2005” erlebte Österreich eine ungewöhnliche Verdichtung von Ausstellungen, TV‑Dokumentationen und Druckwerken, die vor allem die Unterzeichnung des Staatsvertrags 1955 – und nicht das Jahr 1945 – als Freiheitsmarke und zentralen Gedächtnisort der Zweiten Republik zum Inhalt hatten. Gemüsebeete am Heldenplatz, nachgestellte Bombennächte als Multimedia-Spektakel sowie weidende Kühe vor dem Belvedere folgten vor allem einem Zweck: Den “Opfermythos” in volksfestartigen Massenveranstaltungen zu einer gemeinschaftlichen “Erfolgsgeschichte” der Nachkriegsgenerationen umzudeuten und dabei in ein rot-weiß-rotes Credo einzurahmen, das als verbindliches Paradigma weit über das Jahr 2005 hinaus seine politische und kulturelle Wirkung entfalten sollte.

Österreich bildet in dieser Hinsicht keinen Sonderfall. Im Schatten der sozialen und demokratiepolitischen Krisen der europäischen Integration liegt die Rückkehr zu Identitätspolitiken und Geschichtsdeutungen unter nationalistischen Gesichtspunkten ungebrochen im Aufwärtstrend. Es bleibt somit auch hier zu Lande dringend geboten, Sichtweisen zu entwickeln, die sich von den geläufigen Narrativen grundlegend unterscheiden. Auch dieses Buch hat es sich zur Aufgabe gemacht, der zweifelhaften Darstellung einer heroischen Nachkriegsgeschichte, die im “Gedankenjahr 2005” einen neuen Höhepunkt erfahren musste, der bewussten Ausblendung der NS-Kontinuitäten sowie dem zunehmend provinziellen Chauvinismus mit Positionen entgegen zu treten, die den hegemonialen Auffassungen eine klare Absage erteilen und auch deshalb kaum Zugänge zu massenmedialen Informations- und Verbreitungskanälen finden können. Schon die Wahl des Buchtitels soll in Erinnerung rufen, dass nicht Resignation die Konsequenz auf das Ungleichgewicht der Machtverhältnisse in Politik und Medien sein darf, sondern politisches Handeln vor allem auch Initiativen in der Bild- und Bedeutungsproduktion erfordert. Längst schon haben sich Österreichs führender Geschichtenerzähler Hugo Portisch und seine Fernsehdokumentationen wie langlebige Brandings in unsere Köpfe eingeschrieben. Nun gilt es, dagegen zu halten und Gegenbilder in Umlauf zu bringen, um die Zeichensysteme, die auch als Grundlage jeder Identitätskonstruktion und Nationalgeschichte zu betrachten sind, offen zu legen und direkt und eigenmächtig in sie einzugreifen.

rebranding images setzt sich mit Gedächtnispolitik und ihrer Einbettung in das System nationalstaatlicher Politik auseinander, die auch nach dem “Gedankenjahr 2005” nichts an ihrer Bedeutung eingebüßt hat. Die Debatten um die Restitution der Klimt-Bilder, das “Haus der Geschichte” sowie um das NS-Verbotsgesetz belegen, dass auch über 2005 hinaus die diskursive Konfrontation mit der Produktion von Identitätsbildern und historischen Mythen einer Fortführung bedarf, die insbesondere auch zu Fragen der historischen Verantwortung, Wiedergutmachung und politischem Neubeginn Stellung beziehen muss. rebranding images möchte dazu einen Beitrag leisten – nicht zuletzt in der Hoffnung, dass in Hinblick auf das Jahr 2008 und die damit einher gehende Erinnerung an die Auslöschung der staatlichen Souveränität Österreichs im Jahr 1938 sowie den damit einsetzenden NS-Terror erneut eine Politik der Einmischung und Intervention in den öffentlichen Diskurs in die Wege geleitet wird.

Dementsprechend versammelt rebranding images literarische Texte, Essays und wissenschaftliche Analysen, die deutungsmächtige Erzählungen dekonstruieren, zugleich aber auch in Gegenposition zueinander stehen. Ein streitbares Lesebuch, als das sich rebranding images versteht, will also nicht den kritischen “Gegen-Blick” auf die hegemoniale Geschichts- und die Bedeutungsproduktion vereinheitlichen. Vielmehr geht es darum, kontroversielle Positionen vorzustellen und damit weitere Diskussionsfelder zu eröffnen.

So stellt rebranding images inhaltlich zunächst eine Auswahl von Beiträgen bereit, die entweder schon im Vorfeld oder im Lauf des Jubiläumsjahrs verfasst und in der Zeitschrift Kulturrisse veröffentlicht wurden bzw. auf der Internet-Plattform oesterreich-2005.at abrufbar sind. Sie veranschaulichen die Erwartungen sowie auch Befürchtungen einer kritischen Öffentlichkeit bzw. deren “frische” Reaktionen auf Veranstaltungen und Ereignisse des so genannten “Gedankenjahrs”. Daran fügen sich allgemeine Analysen des Jubiläumsreigens, die bereits aus der Distanz den Blick zurück auf die Höhen und Tiefen des Jahrs 2005 werfen und sie in ein (historisches) Kontinuum der österreichischen Erinnerungskultur und Gedächtnispolitik einbetten. Anschließend finden Beiträge zu Debatten Platz, die während des so genannten “Gedankenjahrs” aufbrachen und – wie etwa die Frage der vollständigen Anerkennung der in der Verfassung festgelegten “Minderheitenrechte” – bis heute nichts an Aktualität eingebüßt haben. Sie zeigen die Leerstellen in den aktuellen Vergangenheitserzählungen der Deutungsmächtigen auf und stehen somit auch im Kontrast zur medialen Geschichtsvermittlung und rot-weiß-roten Heimat-Politik im ORF-Fernsehen. Strategien gegen die im offiziellen “Gedankenjahr” produzierten Geschichtsbilder haben verschiedene Gruppen zu entwickeln versucht. Einige Beispiele stellt rebranding images vor und geht auch der (theoretischen) Frage nach, wie im Streben nach Repräsentation der Falle, nur des Alibis wegen in die hegemoniale Erinnerungs- und Bedeutungsproduktion Eingang zu finden, entkommen werden könnte. Schließlich geht es – vor allem für minoritäre Positionen und Gruppen – darum, eigene Bilder und Erzählungen bekannt zu machen und so ihren legitimen Platz in der Gesellschaft zu behaupten. – (Nationales) Zugehörigkeitsgefühl will eben auch sichtbar gemacht werden. Daher schließt dieses streitbare Lesebuch auch mit der Frage nach dem Wesen nationaler Identität, ihrer Aktualität bzw. Überholtheit in Zeiten der Globalisierung und nach der Bedeutung von patriotisch-emphatischer Österreich-Gesinnungs-Produktion – etwa in Literaturkanons und Geschichtshäusern.

“Die Demokratie” schreibt Paolo Flores d’Arcais, “ist ein Projekt für die gesamte Menschheit, andernfalls ist sie das hassenswerteste Privileg: eine Menschheit in unterschiedlichen Höllenkreisen, des Have and Have-not, hier unser reiches Purgatorium, dort ihre Höllen, eine ungeheuerliche – die globale – Verhöhnung des demokratischen Universalismus”. In diesem Sinn bleibt nur zu wünschen, dass auch dieses Buch Denkanstöße und Impulse für eine Vielzahl politischer Aktivitäten bereit stellen kann. Gesellschaftliche Teilnahme darf schließlich vor dem Terrain der Konflikte um historische Deutungshoheit und eines kritischen Umgangs mit Identitätspolitiken, die unter der Flagge des Clash of Civilizations zunehmend in reale Kriege münden, nicht Halt machen. Andernfalls bleibt uns auch hier in Österreich der Höllenkreis einer endgültigen Verhöhnung der demokratischen Kultur nicht erspart.

Ausgewählte Texte aus dem Buch:

Heimat. Wirkung und Nebenwirkungen in Medien und Politik

Privatisiert und eingestampft!

Bestellungen sind direkt über den Studienverlag möglich!