Anpassungsstörungen resultieren – neuesten Erkenntnissen zufolge – oft aus belastenden Lebensereignissen, mit denen die Betroffenen nicht zurande kommen. Meist handelt es sich um eine kurze bis mittelfristige Reaktion, überwiegend resigniert-depressiv, ängstlich-furchtsam, frustriert, gedemütigt, besorgt, angespannt, aber auch reizbar und aggressiv.
Eine geballte Ladung Aggression beherrschte auch den diesjährigen Politischen Aschermittwoch der FPÖ in der Rieder Jahnturnhalle. Schenkelklopfend wird hier seit nunmehr einem Vierteljahrhundert das Andenken an Jörg Haider, den Ziehvater des österreichischen Rechtsextremismus, hochgehalten, das Niveau hingegen so tief wie auch nur möglich. An diesem einen Abend werden Jahr für Jahr bei Bier und Heringsschmaus keinerlei Gefangene gemacht. Politik ist Totalangriff, ein Vernichtungsfeldzug – und der Schmutzkübel somit stets griffbereit. Schuld sind jedenfalls immer die anderen, sie trifft Verachtung, Spott und Hohn: die politische Konkurrenz, Fremde, sozial Schwache, Fluchtsuchende, der Halbmond, die Willkommenskultur, Gutmenschen sowieso – und selbstverständlich bezog auch Europa heuer wieder einmal kräftig Prügel.
Was hat es aber mit dieser Störung genau auf sich? “Der politische Rechtsruck in Europa ist die Lösung”, brüllte FP-Frontmann Manfred Haimbuchner seiner Gefolgschaft am Aschermittwoch mit dem Bierkrug in der Hand entgegen. Der Applaus war ihm dafür sogleich gewiss. Aber peitscht er auch in gleichem Tonfall den Partner in der oberösterreichischen Landespolitik vor sich her? Es fällt jedenfalls zunehmend auf, dass die einstmalige Europapartei ÖVP gegen derartige Ausfälle nichts einzuwenden weiß. Vielleicht hat die Mannschaft um Landeshauptmann Josef Pühringer auch bereits Gefallen daran gefunden, in den dissonanten Chor der anti-europäischen Meinungsmache einzustimmen. Vielleicht steckt sie aber auch nur aus Angst vor den Unwägbarkeiten unserer modernen Zeit den Kopf in den Sand aus Provinzialismus, Brauchtum und Heimattümelei. Wie auch immer – die oberösterreichische Volkspartei wird jedenfalls schon bald in dieser Angelegenheit Farbe bekennen müssen.
Ungeachtet dessen ist gegenwärtig festzuhalten, dass die rechts-rechte Lösung für Europa zu einem großen Problem einer veritablen Krise geworden ist. Nicht die seit 2015 andauernde Flüchtlingsdebatte alleine hat die Sollbruchstellen der europäischen Integration offengelegt, sondern schon zuvor auch die Euro- und Schuldenproblematik. Die Mitgliedsstaaten haben die Solidarität, einen der Grundpfeiler des gemeinsamen Hauses, leichtfertig der neoliberalen Dampfwalze geopfert. Die zur Disziplinierung verordnete Austeritätspolitik gilt heute nicht als Markenzeichen prosperierender Staatshaushalte, sondern kennzeichnet bereits seit geraumer Zeit das Ansteigen von Armut und Arbeitslosigkeit, desolate Infrastrukturen sowie den Rückbau des Gemeinwesens und der demokratischen Grundlagen unserer Gesellschaft.
Aber wen wundert es? “Dass die EU nicht recht vorankommt”, war vor wenigen Tagen in einer ÖVP-nahen Tageszeitung nachzulesen, “ist eine Nebenwirkung stark demokratisierter und daher etwas behäbiger Entscheidungsprozesse”. So schnell wird Europas historisch einzigartiges Demokratieprojekt zur Bedrohung seiner selbst. Da darf es dann aber auch nicht überraschen, dass solcherart Reaktionsweisen in der unsäglichen Allianz aus Victor Orban, Marine Le Pen, Geert Wilders und Heinz-Christian Strache ihr aggressives und zerstörerisches Entlastungsgerinne finden, das immer breitere Kreise zieht.
Der Rechtspopulismus verweigert die Anpassung an Grundwerte wie Gleichheit, Freiheit und Menschenrechte – eine Störung, die allemal sehr ernst zu nehmen ist. Noch aber steht die Mehrheit – in Europa wie auch in Österreich – nicht auf der falschen Seite. Umso mehr muss Beachtung finden, dass unser demokratischer Zusammenhalt nicht auf der Schlachtbank eines zunehmend repressiver werdenden Regimes in hoch umzäunten Schrebergärten landet. Es ist also höchste Zeit, das Projekt Demokratie ganz neu in Angriff zu nehmen – und damit vielleicht die Europäische Union zugleich völlig neu zu denken. Als ein verwirklichtes Bekenntnis zu Beteiligung am öffentlichen Leben, zu Menschenrechten, ökologischer Nachhaltigkeit, Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit. Da braucht es dann eigentlich auch keine Grenzen mehr. Vor allem könnte den Anpassungsstörungen und anderen rechten Verhaltensauffälligkeiten dauerhaft der Boden entzogen werden – und Ried hoffentlich schon bald vom Politischen Aschermittwoch der FPÖ erlöst.