Wer sich in aller Öffentlichkeit blamiert, muss auf den Spott nicht lange warten. Da tut es dann auch nichts mehr zur Sache, wenn sich – wie am Sonntag im Zuge der Stichwahl zur österreichischen Bundespräsidentschaft – die Bekanntgabe des Endergebnisses doch noch um 24 Stunden verzögert, weil sich die Auszählung so lange in Geiselhaft der Schwankungsbreiten befindet.
Nur Heinz-Christian Strache wusste es an dem Abend der Nicht-Entscheidung jedenfalls schon wieder einmal ganz genau. Oder besser – er glaubte es zu wissen. Sollte Alexander Van der Bellen das Rennen machen, gäbe es keine Zweifel. Das System der Briefwahlstimmen sei eine verschwörerische Machenschaft, weil, wie der FPÖ-Frontkämpfer sogleich mit Schaum vor dem Mund die Presse informierte, ein Sieg des gegnerischen Lagers durch die Wahlkarten dem Trend einer deutlichen Zustimmung für den rechtsextremen Kandidaten Norbert Hofer “diametral entgegenstehe” und “allen internationalen Erfahrungen widerspreche”.
Schwankungsbreiten sind eben ein vermintes Terrain. Das gilt nicht nur für Umfrage-Institute, die zuletzt alles dafür getan haben, ihr Ansehen mit großem Nachdruck zu beschädigen. Nein, auch Strache selbst hat sich darauf zum Gespött gemacht. Angesichts der Anzahl der noch auszuzählenden Stimmen – der FP-Chef bezifferte diese mit 650.000 bis 700.000 – müsste Van der Bellen mindestens 50% davon erreichen und dann auch noch zusätzlich die 144.006, mit denen Gegenkandidat Hofer nach dem langen Wahlabend als Vorsprung schlafen gehen durfte.
Die simple Rechnung ging aber gründlich in die Hose – denn sie ist vollkommen falsch. Die Kenntnisse der Grundrechnungsarten müssen nicht zwingend als politische Kategorie Anerkennung finden. Auch nicht im Falle Heinz-Christian Straches, der mit seiner Herumzählerei um peinliche 10% danebenlag. Die Unfähigkeit wird sehr schnell wieder in Vergessenheit geraten. Viel eher interessieren in diesem Zusammenhang die Resultate der Wahlforschung, die in erster Linie die Ursachen der doch signifikanten Gegensätze beim Urnengang zu ergründen suchten.
Die Städte, so lautet eine Feststellung, haben sich klar für Van der Bellen ausgesprochen, die ländlichen Regionen wiederum mehr für Norbert Hofer. Ältere Generationen neigen zudem eher zu autoritären Politikangeboten, die Jüngeren hingegen bevorzugen Weltoffenheit und ein international ausgerichtetes Österreich. Ließe man wiederum nur Frauen hierzulande wählen, hätte sich das Problem mit dem tiefsitzenden Rechtsextremismus vermutlich schon erledigt. Die Männer kippen offensichtlich mehrheitlich hinein, wenn sich Xenophobie, Abschottung und soziale “Gib Gummi”-Phantasien gegen Grundprinzipien von Demokratie und Menschenrechten stellen.
So lässt sich eine Gesellschaft quotenträchtig filetieren, wobei sich vor allem der Boulevard die medialen Hände reiben darf. Tatsächlich aber wird der politischen Entwicklung genau damit eine Richtung gewiesen, in der nicht mehr so oft das Aufatmen anzutreffen sein wird, wie es mit dem knappen Sieg Van der Bellens am Tag nach der Wahl noch zu spüren war. Wer zu allem Überdruss glaubt, damit auch auf genau jene Karte gegen den rechtsextremen Erfolgslauf setzen zu können, der zufolge FPÖ-Wählerinnen und -Wähler einen deutlich geringeren Bildungsgrad aufweisen, hat das Spiel im Hinblick auf die nächste Wahlauseinandersetzung schon jetzt verloren.
Denn zukünftige Schwankungsbreiten sind als Hoffungsanker ungeeignet. Gesellschaftliche Integration, Rechtsstaatlichkeit und eine deutliche Wiederbelebung demokratischer Grundhaltungen sind nur zu erreichen, wenn die aktuell fatalen Entwicklungen – etwa in den Bereichen Bildung, Arbeitsmarkt und Sicherheit – eine grundlegende Schubumkehr erfahren. Das gelingt nur, wenn Politik, Medien und Zivilgesellschaft wieder die Querschnitte ins Blickfeld der Lösungsfindung rücken – und nicht in den Gräben der sozialen und kulturellen Spaltungsneurosen für immer unheilvoll versinken.