Der Stachel in Grieskirchen

Die Schwierigkeiten des Kulturvereins Rossmarkt in der Stadtgemeinde

Warum Grieskirchen vor langer Zeit eine Stadt geworden ist, interessiert heute niemanden mehr so richtig. Wichtig ist nur, dass dem so ist. Dabei war das ehrgeizige Vorhaben für Gundacker von Pollheim im Februar 1613 sicher keine leichte Sache. Doch ihm kam zugute, dass die gottesfürchtige Region bei der Niederschlagung des aufständischen Protestantismus in den Erblanden ins Auge fiel. Lutherische Glaubensspaltung, soziale Unruhen, vor allem aber die verzweifelten Versuche der Bauern, sich von ihren unerbittlichen Herren zu emanzipieren, sollten gerade in Grieskirchen nicht einen Funken von Chance haben. Kaiser Matthias wusste die Loyalität zum katholischen Hause Habsburg zu schätzen. Seine Dankbarkeit fand Ausdruck im Privilegium der Stadterhebung.

Knapp 400 Jahre später ist Grieskirchen eine Stadt, die sich um ein urbanes Erscheinungsbild bemüht. Schulstadt, Braustadt, Einkaufsstadt. Hinter der modern und erfolgreich anmutenden Fassade herrschen weitgehend eintönige Stille, Demut und Zufriedenheit. Und so gilt seit ehedem: Wer in Grieskirchen aufwächst, passt sich an – oder eben nicht.

Als Anfang der 80er Jahre eine Handvoll junger Leute das alte “Kaiserwirtshaus” am Rossmarkt 1 dazu ausersehen hatte, sich in Grieskirchen einen Platz zu schaffen, entstand auch in dieser eher unscheinbaren Stadt ein Ort der Dissidenz, dessen Wurzeln in den sozio-kulturellen Bewegungen unschwer zu erkennen waren. Das Aufbegehren gegen die Generation der Väter entlud sich in lauten Jazz-Konzerten, kritischen Diskussionszirkeln zu Tabuthemen wie Sexualität und Kirche sowie in der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Die “Rossmarktler” – so die fortan eingeführte Fremdbeschreibung eines nahezu eigenständigen städtischen Segments – wollten tatsächlich anders sein. Alternativ, selbstbestimmt, fernab jeder bürgerlichen Wertewelt.

Dass damit für die weitere Zukunft auch gesellschaftlicher Argwohn auf den Plan gerufen wird, war sicherlich kein unvorhergesehener Betriebsunfall. Es würde an dieser Stelle eindeutig zu weit führen, alle Konfliktfälle anzuführen, die Grieskirchen im Laufe der mehr als zwanzig Jahre seit der Gründung des Rossmarkt erleben durfte. Eines lässt sich jedoch mit Gewissheit sagen: Die Stadt hat mannigfaltig davon profitiert. Wie sonst hätten deren BürgerInnen die Gelegenheit gehabt, gemeinsam in eine dauerhafte Debatte einzutreten, ob ein Verein geduldet und gefördert werden kann, der nicht immer bereit ist, sich der Verhaltenskonformität einer Mehrheitsbevölkerung anzuschließen.

1988 stand das Verhältnis des Rossmarkt zu Grieskirchen auf einem besonderen Prüfstand. Eines Tages tauchten eigentlich unauffällig gestaltete Plakate in den Straßen auf, deren Wirkung niemand abzuschätzen wusste. Der Verein lud zu einem “saugeilen Osterfest, mit allem Scheiß, der so dazugehört”. Mehr war nicht nötig. Die ganze Stadt stand plötzlich in Erregung. Mit einem Male war von Grieskirchen und seinem renitenten Kulturzentrum auch in Zeitungen zu lesen, deren Fokus die ferne Provinz ansonsten nicht erfasst. Ein Krisenmanagement wurde eingerichtet, aber auch zwischen den Vereinsverantwortlichen und führenden RepräsentantInnen der Pfarrgemeinde machte sich diplomatische Hektik breit. Den Höhepunkt der Auseinandersetzung bildete eine Sitzung im Gemeinderat, in der französische Philosophen der Aufklärung und ihre Appelle zur Toleranz gegenüber Andersdenkenden ebenso beschworen wurden, wie das Blut-und-Boden-Bewusstsein einer freiheitlichen Mandatarin, die dem missliebigen Treiben der “linken Zelle” ein jähes Ende bereiten wollte. Zuletzt genügte eine offizielle Entschuldigung seitens des Kulturvereins, um die Angelegenheit sehr unspektakulär abzuschließen.

Der Rossmarkt war immer starkem Seegang ausgesetzt. Freund-Feind-Schemata sind da gar nicht so einfach auszumachen. So steht die konservative Fraktion der ÖVP dem politischen Anspruch des Vereins, in Grieskirchen aktiv und aktionistisch an Entwicklungen teilzuhaben, mitunter aufgeschlossener gegenüber als manch einer in der SPÖ. Die Vorbehalte der Sozialdemokraten reichen oftmals weit zurück und zeugen von nachhaltiger Beleidigtheit. Noch heute nimmt man es den KulturaktivistInnen übel, dass man den Spitzenkandidaten zur Gemeinderatswahl 1991 brieflich dazu aufforderte, im Hof des alten Hauses allerlei Unrat zu beseitigen. Der Rossmarkt traf also bei den Roten voll ins Schwarze, denn der SP-Vordere hatte für seinen Wahlkampf ausgerechnet den dummen Slogan “Rudi räumt auf!” ausgewählt und damit auch verloren.

Der Kulturverein hat – so wie vieles andere – auch diesen Polit-Trotz überstanden. Seine Bedeutung musste keine Einbrüche erleiden. Im Gegenteil: Seit über zwanzig Jahren nimmt der Rossmarkt in Grieskirchen als Zentrum für Jugend-, Bildungs- und Kulturarbeit eine unverzichtbare Rolle ein. Das breit gefächerte Programmangebot hat seit jeher ganz wesentlich dazu beigetragen, dass die Menschen außerhalb der Ballungszentren mit zeitgenössischer Kunst und Kultur erreicht werden konnten. Namhaften KünstlerInnen, wie etwa H.C Artmann, Joe Zawinul, Milo Dor, Josef Hader, u.a. wurde Grieskirchen überhaupt nur durch den Rossmarkt ein Begriff.

Als mit dem unerwarteten Eigentümerwechsel im Juni 2002 ein lange geplanter Ankauf des sanierungsbedürftigen Hauses durch die Gemeinde überraschend übervorteilt wurde, wird dem neuen Besitzer, einem Autohändler mit Nebeninteressen im Spekulationsgeschäft, die reichhaltige Geschichte und die Bedeutung eines Kulturzentrums im Zentrum Grieskirchens gar nicht so recht bewusst gewesen sein. Er hat den Abriss des Hauses unverzüglich in Angriff genommen, indem er dem Verein einen gerichtlichen Antrag auf Räumung zustellen ließ, der umgehend negativ beschieden wurde.

Damit geht die Provinzposse in die nächste Runde. Der Autohändler fühlt sich unbestritten seiner Sache sicher. Er hat auf den Rückhalt eines raffgierigen Wirtschaftsbundes sowie den Vergeltungshunger einiger Grieskirchner gesetzt. Das ist nicht besonders viel. Denn ihnen steht eine eindrucksvolle Welle der Solidarität weit über Grieskirchen hinaus gegenüber, die den barbarischen Akt eines Abbruchs hoffentlich abzuwenden weiß. Jetzt ist die Politik am Zug. An ihr ist es nun, dafür zu sorgen, dass dem Kulturzentrum das Haus erhalten bleibt – und die Autonomie des Vereins.

Gundacker von Pollheim hatte 1613 die große Chance. Seine Stadterhebung bedurfte der Anbiederung an herrschaftliche Macht. Grieskirchens Bürgermeister Wolfgang Großruck muss den Anforderungen des 21. Jahrhunderts entsprechen. Ein neues Stadtbild und die Umstellung der Verkehrsleitsysteme alleine reichen dafür schon lange nicht mehr aus.

KUPF